Um Scholle und Leben

Um Scholle und Leben: Zur Konstruktion von „Rasse“ und Geschlecht in der deutschen kolonialen Afrikaliteratur um 1900.
Schneider, Rosa B.
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€19.90 *

Untertitel: Zur Konstruktion von „Rasse“ und Geschlecht in der deutschen kolonialen Afrikaliteratur um 1900
Autorin: Rosa B. Schneider
Reihe: Perspektiven Südliches Afrika 1
Verlag: Brandes & Apsel
Frankfurt, 2003
Broschur, 15x21 cm, 296 Seiten, 14 sw-Fotos


Verlagsankündigung:

Vollkommen in Vergessenheit geraten sind heute die vielen Kolonialromane und Autobiographien, die in der Kaiserzeit erschienen sind und von einem breiten Publikum mit Begeisterung gelesen wurden. Ihre Wirkungsgeschichte dauert jedoch bis in die Gegenwart: Denn ganz entscheidend hat diese vor allem von Frauen geschriebene Literatur die Bilder geformt, die noch heute die Vorstellungen über Afrika, den dunklen Kontinent, prägen. Das Buch vermittelt überraschende Einsichten über die Ursprünge unserer heutigen Beziehungen zu Afrika. Es liefert einen wichtigen Beitrag zur Genderforschung. Die Autorin schafft ein Bewusstsein für offene und versteckte Rassismen und hält uns den Spiegel unseres europäischen Selbstverständnisses vor.

Geboren 1971, studierte die Autorin in Göttingen Deutsch, Philosophie und Ethnologie. 1996 machte sie an der University of Lancaster/ Großbritannien ihren Masters of Arts in Women’s Studies. Nach einem Forschungsaufenthalt 1998 in Namibia promovierte sie 2001 mit der vorliegenden Doktorarbeit an der Universität Greifswald. Rosa B. Schneider lebt heute in Bochum und arbeitet als freiberufliche Dozentin in der Frauen- und Mädchenbildung.


Inhalt:

l. Grenzüberschreitungen
Einführung
Forschungslage:
Literaturwissenschaft (17) Geschichtswissenschaft (19) Historischer Kontext (22) Nation und Narration (26) Nation und Geschlecht (32) >Rasse< als Konstruktion (35) Whiteness (38) Die Texte (40) Ein Rückblick (51) Von fremden Frauen und fremden Welten (55) Der Blick (58) Der Körper (60) Der Fetisch (63)

II. Schwarze und weiße Magie
Der Fetisch als Zeichen der Verunsicherung:
Raggys Fahrt nach Südwest (Lene Haase 1910) (72) Was Afrika mir gab und nahm (Margarethe von Eckenbrecher 1906) (74) Frauen und Fetische (77) Chinin und Opium statt Amulett und Zauberhölzchen (82) Schwankende Planken (87) Europäischer Zauber und elektrisches Lebensvermögen (93) Küste, Kolonisation und Krise (99) Glasperlen, Geld und Gold (103) Lebenswässer und flüssiges Leben (107) Extrahierte Nähr- und Mehrwerte (110) Schwarze Haut, weiße Leinen (115) Im Namen Christi und der bürgerlichen Moral (119)

III. Parasitäre Durchdringung, kannibalische Verschlingung
Über die Grenzen der Körper:
Weiß oder Schwarz (Ada Gramer 1913) (130) Alfreds Frauen (Hanna Christaller 1917) (136) Afrikanisches Wild und afrikanische Wilde (138) Unheimliche Entzündungsherde und schleichende Gifte (154) Zweileibige Körper und schwangere Kannibalinnen (159) Der Untergang des weißen Körpers? (167) Geistkörper und Unternehmensgeister (172) Licht- und Schattengestalten (175) Weißes Terrain und schwarze Untiefen (181)

IV. Augenblicke
Von der Macht des Blickes
Völker schauen Völkerschauen (198) Pan-Optik (201) Schwere Zeiten (Elise Bake 1913) (210) Als Farmerin in Deutsch-Südwest (Lydia Höpker 1927) (212) Äffische Menschen (214) Homi Bhabha: Mimicry (220) Das Geschlecht des Blickes (230) Aussichten (238) Sichtbarkeiten (249)

V.Schluss
Literatur
Danksagung
Glossar
Bildteil


Aus der Einführung:

Am 13. Januar mittags erschienen zwei mir gut bekannte Hereros mit ihren Dienern. [...] Sie baten um zwei Hemden. [...] Wir waren bald handelseinig und unterhielten uns, wie stets [...]. Das Gespräch drehte sich um den bevorstehenden Aufstand. Geert Afrika [...] fragte mich: .Hältst Du es für richtig, daß die Hereros den Krieg mit den Weißen anfangen wollen?< Ich antwortete [...] >Seid Ihr so unklug und fangt an, dann wird viel Blut fließen, Ihr werdet Land und Vieh verlieren, und Euer Leben wird in der Hand des weißen Mannes sein!« Da meinte ein anderer: >Oh, sorge Dich nicht. Wir sind die Diener des weißen Mannes. Der Löwe, der schläft, merkt nicht, wenn ihm Gefahr kommt.« [...] Mit einem Male ward ich mir der Gefahr und des Ernstes meiner Lage bewußt. [...] Mir klopfte das Herz sehr. Ich zwang mich zur Ruhe. Hilfe gabs keine, wenn ich mir nicht half.«

»Er hockte bescheiden unter dem Vordach, bis Nora sich umdrehte und ihn ansah. [...] >lch bitte Sie um noch ein Stück Land, für meinen Bruder. Er hat sich eine Frau genommen.« Als seine Worte auf ihre Ohren trafen, kannte sie ihre Nachricht bereits, erwartete sie. Ihre Antwort kam ihr schnell und abwehrend über die Lippen. >Warum fragst du mich? Warum fragst du nicht den Baas1? [...] Warum kannst du die Familie nicht von dem Land ernähren, das wir dir gegeben haben?« [...] Der Buschkrieg, von dem sie beide wußten, ließ James' Bitte wie eine Herausforderung klingen, ein Abwerfen der Einschränkungen, die zwischen denen bestanden, die dienten, und denen, die sie bedienten. [...] Sie mußte sofort entscheiden, was zu tun war, [...] er durfte die Furcht, die sie zu überwältigen drohte, nicht sehen.«

Wo würden Sie die Handlungen dieser beiden Textausschnitte zeitlich verorten? Wen halten Sie für die Autorin der Texte? Haben Sie in diesen beiden Zitaten zwei der unzähligen Episoden vermutet, die Afrika-Siedlerinnen vor rund hundert Jahren zu Papier brachten, um ihr Leben als weiße Frauen in den neuen Kolonien zu beschreiben? Zwei der autobiographischen oder fiktiven Erzählungen also, um die es in dieser Arbeit gehen wird? Das stimmt - allerdings nur zur Hälfte. Während das erste Zitat tatsächlich aus der Autobiographie einer Kolonialsiedlerin, nämlich aus Margarethe von Eckenbrechers 1906 erschienenen Lebenserinnerungen Was Afrika mir gab und nahm stammt, ist das zweite Zitat fast hundert Jahre jünger und beschreibt nicht etwa den Beginn eines der sogenannten »Eingeborenenaufstände« der vorletzten Jahrhundertwende, sondern den Anfang des simbabwischen Unabhängigkeitskrieges in den 1970er Jahren. Das Zitat stammt aus der 1992 veröffentlichten Erzählung Grenzüberschreitungen, in der die afrikanische Autorin Yvonne Vera die Zeit ihrer Kindheit im Simbabwe vor der Unabhängigkeit literarisch verarbeitet.2

Die hier zugegebenermaßen gewollt erzeugte Ähnlichkeit zwischen einem Dokument der deutschen Kolonialvergangenheit und einem Beispiel postkolonialer afrikanischer Gegenwartsliteratur ist jedoch keine bloße Spielerei. Ich habe sie vielmehr an den Anfang meiner Überlegungen gestellt, um die Wirkungsmächtigkeit zu illustrieren, die das hier betrachtete koloniale Erbe immer noch für die afrikanische Gegenwart hat. Die vor mehr als einem Jahrhundert mit technologischer Überlegenheit, ökonomischer Übermacht und militärischer Waffen- sowie sprachlicher Definitionsgewalt erzwungene Ungleichheit zwischen Afrika und Europa weist - global wie auch innergesellschaftlich gesehen - eine strukturelle Hartnäckigkeit auf, die Reformbemühungen und Demokratisierungsprozesse weitgehend unbeschadet zu überdauern scheint. Der Kolonialismus als weiße Aneignungs- und schwarze Enteignungsgeschichte hat (nicht nur) im südlichen Afrika sozio-ökonomische Realitäten geschaffen, die die ungleichen Macht- und Besitzverhältnisse zwischen der reichen weißen Minderheit und der armen schwarzen Mehrheit nicht einfach und per politischem Dekret umkehrbar machen.

Das gilt ganz besonders für Namibia, jenem Stück Afrika also, das Eckenbrecher so viel »gab und nahm«. Denn Namibia wurde nicht nur die zweifelhafte Ehre zuteil, als Deutsch-Südwest-Afrika bedeutendste deutsche Kolonie zu werden.3 An die dreißig Jahre deutscher Kolonialherrschaft schlössen sich auch noch einmal fünfundsiebzig Jahre südafrikanische Fremdbestimmung an, bevor Namibia 1990 den traurigen Rekord aufstellte, das letzte afrikanische Land zu sein, das seine Unabhängigkeit erlangte.

Nachdem unter deutscher Herrschaft die Landverteilung im Süden und Zentralnamibia grundsätzlich verschoben und u.a. Herero und Nama von ihrem angestammten Land vertrieben worden waren, schrieb die von Südafrika eingesetzte Odendaal-Kommission in den 1960er Jahren eine zweite Landaufteilung zugunsten der Weißen fest: Über 40 % des Landes wurden unter großkommerziellen Farmbetrieben aufgeteilt, die von einer weißen Bevölkerungsminderheit (unter 10%) betrieben wurde, während weitere 40 % des Landes zu Homelands erklärt wurden, auf denen sich die ebenfalls überwiegend von der Landwirtschaft lebende schwarze Bevölkerungsmehrheit zusammendrängen musste. An dieser Verteilung hat sich in den letzten zehn Jahren seit der Unabhängigkeit wenig geändert, was der Regierung aus einstigen Freiheitskämpfern (und -kämpferinnen) massive Kritik von schwarzer und weißer Opposition eingetragen hat.4 Ihnen wird u.a. Korruption, persönliche Bereicherung und eben auch politische Instrumentalisierung sozialer Ungleichheit zum eigenen Machterhalt vorgeworfen.Tatsächlich hat die SWAPO in den gut zehn Jahren Regierungszeit wesentliche Vorhaben wie eine Landreform und materielle Umverteilung, mit denen sie zur Wahl angetreten war, nicht einlösen können.

Neben der berechtigten Kritik gilt es allerdings auch im Blick zu behalten, dass sich zehn Jahre postkolonialer Politik angesichts über einem Jahrhundert Fremdbestimmung rein numerisch vorerst noch gering ausnehmen. Doch wenden wir uns noch einmal den beiden Zitaten zu. Die Ähnlichkeit der beiden zeitlich so weit auseinander liegenden Texte gründet sich zu allererst auf ihr gemeinsames Thema. In beiden Zitaten geht es um Land: An den Vorabenden der antikolonialen Widerstandskriege in Namibia 1904 und im Simbabwe der 1970er Jahre trachten sowohl Eckenbrechers namenlose Herero als auch Yvonne Veras Squatter James danach, das Land, das sie selbst bzw. ihre Vorfahren durch europäische Vorteilsnahme, Enteignung und Betrügereien verloren haben, zurückzubekommen.

Dass beide Texte um Land kreisen, scheint kein Zufall. So sorgen die illegalen Enteignungen weißer Farmer/innen in Simbabwe, die von der Regierung teils geduldet, teils gezielt gefördert werden, seit vielen Monaten für Schlagzeilen. Doch mit den Enteignungen wird keineswegs die kolonial ererbte ungerechte Landverteilung aufgehoben, wie Yvonne Veras fiktiver Squatter James es noch vor der Unabhängigkeit zu hoffen wagt. Ganz im Gegenteil ist die Regierung daran interessiert, mit den Enteignungen die Ungleichheit zwischen der Land besitzenden weißen Minderheit und der landlosen, verarmten schwarzen Landbevölkerung effektvoll in Szene zu setzen und für den politischen Stimmenfang auszuschlachten. Die Verzweiflung und Enttäuschung der Benachteiligsten ist Teil eines politischen Kalküls, dass zynischerweise eine Verschlechterung der sozio-ökonomischen Lage nicht nur in Kauf nimmt, sondern zum eigenen Machterhalt braucht.5

Im Gegensatz zu Simbabwe stellt sich die derzeitige politische Situation in Namibia zwar als deutlich entspannter dar, doch auch hier ist die Landfrage ein weiterhin ungelöstes Problem. So trat Sam Nujomas Regierung 1990 mit vielversprechenden Vorhaben an, doch bereits ein Jahr später zeigte sich auf der mit Spannung erwarteten nationalen Konferenz zur Landfrage und Landreform in Windhoek, dass die geweckten Hoffnungen auf eine Umverteilung von Land weitgehend enttäuscht würden: Die Delegierten kamen zu dem Ergebnis, dass eine vollständige Wiedergutmachung angesichts konfligierender Landansprüche aufgrund komplexer historischer Verflechtungen nicht einvernehmlich zu erreichen sei - die Landfrage blieb damit weitgehend offen und liefert so weiterhin sozialen Zündstoff.6

Nicht zuletzt zeigt der bewaffnete Kampf der Separatisen im Caprivi-Streifen Ende der 1990er Jahre, welche Sprengkraft dem Thema auch in Namibia innewohnt. In der Diskussion um den Umgang mit kolonial ererbter Ungleichheit wird die Landfrage immer wieder zum zentralen Moment. Das gilt nicht nur für das südliche Afrika. So konnten namibische Damara und San, die in den 1990er Jahren Land besetzten und für Landrechte demonstrierten sich als Teil einer politischen Bewegung verstehen, in der indigene Gruppen weltweit für Landrechte kämpften. Während der Kampf der Damara und San sich bislang jedoch weitgehend in vereinzelten Aktionen erschöpft hat, gegen die teilweise mit großer polizeilicher Brutalität und gesetzlicher Härte vorgegangen wurde, können indigene Gruppen in ehemaligen Siedlungskolonien, allen voran Neuseeland, Australien und Kanada, inzwischen auf teils beachtliche Erfolge zurückschauen. Maori, Aborigines, Inuit und verschiedene indianische Gruppen, um nur einige zu nennen, haben auf lokaler, aber auch nationaler Ebene verschiedenste Landforderungen gegen den Staat durchsetzen können.

Es gibt sicherlich eine Vielzahl an Gründen, warum das politische Klima mancherorten günstiger und in anderen Regionen - wie etwa im wieder extrem eskalierten Nahost-Konflikt zwischen Israel und den Palästinenser/innen - nahezu hoffnungslos ungünstig erscheint. Doch auch wenn an dieser Stelle keine tiefere politische Analyse geleistet werden kann, weisen die weltweiten Konflikte um Land doch eine Gemeinsamkeit auf, die im Zusammenhang dieser Arbeit eine eingehendere Beachtung nahelegt. In allen hier genannten Konflikten um Land geht es neben politischer Macht und ökonomischen Forderungen zu allererst auch um Fragen von Identität.

Reduziert man die Landfrage auf ein bloßes Problem ökonomischer Rationalität, so lässt sich schwerlich nachvollziehen, warum mit Verzweiflung und Verbissenheit um manches - anscheinend so trostloses - Stück Erde gefochten wird. Nähert man sich den Konflikten um Land jedoch auf einer symbolischen Ebene, so erhalten sie eine tiefergehende Dimension, in der wissenschaftlich gern gemiedenen Begrifflichkeiten wie Gerechtigkeit, Würde, Moral, spiritueller Verbundenheit und eben auch Identität eine zentrale Rolle zukommt.

Henning Melber zeigt für Namibia, dass die Landfrage eigentlich keine oder allenfalls untergeordnete Bedeutung haben dürfte, da einerseits die Bevölkerungsmehrheit in Nordnamibia, zu keiner Zeit direktem kolonialem Einfluss unterworten gewesen sei und andererseits die extreme Trockenheit des gesamten Landes die landwirtschaftliche Nutzung ohnehin nur auf einem Bruchteil der Fläche erlaube.7 Eine Beobachtung, die auch die Vereinten Nationen 1998 in ihrem Human Development Report über Namibia zum Ergebnis kommen lassen, dass angesichts »solcher Trockenheit« »Landbesitz zu einem viel unwichtigeren Faktor als in den meisten anderen Ländern« werde.8 Doch warum nun ist und bleibt die Landfrage trotz der demographisch wie ökonomisch begründbaren Bedeutungslosigkeit von Land auch für Namibia ein ungelöstes Problem von solcher Brisanz? Auf diese Frage gibt es eine wissenschaftlich ganz und gar nicht begründete, dafür aber nur umso öfter vorgetragene Antwort, die sich in nuancenreichen Abstufungen ungefähr so anhört:

Die Afrikaner/innen stehen auf einer anderen Entwicklungsstufe und neigen deshalb zu Emotionalität, Irrationalität, Brutalität, Dummheit. Dieser weitverbreiteten Meinung, die in der Emotionalität, mit der in Afrika nicht nur rhetorisch gefochten wird, etwas typisch Afrikanisches und eine vor-moderne, um nicht zu sagen »primitive« Irrationalität ausmacht, stellt Melber die mindestens ebenso emotional vorgetragenen Forderungen der deutschen Landsmannschaften und Vertriebenenverbände gegenüber und entlarvt damit die rassistisch-stereotype Natur dieses Arguments. Es lassen sich Krisengebiete wie etwa Nordirland und das ehemalige Jugoslawien anfügen, deren Blutigkeit mitten in Europa ebenfalls eine deutliche Sprache spricht.

So abwegig und leicht zu entkräften das Stereotyp von der afrikanischen Irrationalität nun auch sein mag, es führt uns bei der Frage nach der Bedeutung von Land zu einem - wie ich meine - zentralen Aspekt. Im Stereotyp von der afrikanischen »Primitivität« werden klare Grenzen zwischen Europa und Afrika gezogen, und zwar indem gegensätzliche Eigenschaften wie modern/primitiv« oder rational/emotional zugeordnet werden. D.h. es findet eine Grenzziehung auf einer symbolischen Ebene statt. Genau dies nun ist die Grundannahme, die meine Arbeit im Folgenden leiten wird. Wenn ich hier davon ausgehe, dass der Landfrage vor allem auch auf einer symbolischen Ebene Bedeutung zukommt, so erwächst dieses Verständnis aus der Annahme, dass Kolonialismus sich als sozio-ökonomisches und politisches Phänomen nicht erschöpfend beschreiben lässt, sondern auch ein Projekt ist, das Europa notwendig brauchte, um eine europäische Identität in Abgrenzung zu einem kolonialen Anderen zu konstituieren. Die Polarität von der afrikanischen Emotionalität und der europäischen Vernunft illustriert genau dies und wird im Folgenden noch eingehender betrachtet werden.

Wie komplex und schwer zu lösen die aktuelle Landfrage im südlichen Afrika ist, ist inzwischen gut dargestellt worden. Hier sind ebenfalls mögliche Wege aus dem Dilemma aufgezeigt worden, die ernsthaftere politische Zurkenntnisnahme verdienten. Der Beitrag nun, den diese Arbeit zum Verständnis der postkolonialen Situation im südlichen Afrika leisten will, liegt in ersten Antworten auf die Fragen, mit welchen symbolischen Bedeutungen Land im Laufe des Kolonisierungsprozesses aufgeladen wurde und warum diese Mechanismen noch immer von Bedeutung sind.

Es wird sich dabei zeigen, dass die Landfrage ein spezifisch historisches Phänomen ist, dass Europa u.a. nach Afrika importierte, denn mit der Bildung von Nationalstaaten im Europa des 19. Jahrhunderts begann das europäische Denken in einem bis dahin unbekannten Ausmaß um territoriale Fragen zu kreisen. Betrachtet man die kolonialen Bestrebungen des damaligen deutschen Kaiserreiches, so stellt sich - ganz ähnlich zur Landfrage im heutigen Namibia - die Frage nach deren Motivation. Wie ich noch ausführen werde, fällt der ökonomische und bevölkerungspolitische Nutzen, den das deutsche Kaiserreich aus dem Erwerb der Kolonien ziehen konnte, im europäischen Vergleich extrem gering aus. Erst das Einbeziehen der symbolischen Bedeutung wiederum, kann hier umfassendere Antworten liefern. Das imperialistische Ausdehnen der nationalen Grenzen diente in untergeordnetem Maße zwar auch der Erschließung von Rohstoffquellen und neuen Absatzmärkten und sollte einer wachsenden Bevölkerung neue Siedlungsgebiete eröffnen. Angesichts des eher zurückhaltenden Emigrationsinteresses an den Kolonien und der wenigen Bodenschätze waren die Kolonien jedoch vor allem von politisch-ideologischer Bedeutung, die der junge aufstrebende Nationalstaat brauchte, um als Weltmacht ernst genommen zu werden. Das »Volk ohne Raum«, wie es Hans Grimm in seinem berühmten Titel auf den Punkt bringt und damit ideologisch den Bogen zwischen dem imperialen Wunsch des Kaiserreiches nach dem Platz an der Sonne und der nationalsozialistischen Lebensraumpolitik schlägt,9 muss seine Grenzen ausdehnen: Der noch junge Volkskörper muss wachsen, indem er sich territorial ausdehnt.

Ich bediene mich hier nicht ohne Grund der aus der nationalsozialistischen Ideologie entnommenen Analogie zwischen Land und Körper. Denn wie in dieser Arbeit zu sehen sein wird, stellen sich die symbolischen Bedeutungen von Land immer wieder als Ähnlichkeitbeziehung zwischen Land und Körper dar: Wir kennen die Metapher vom kolonialen Land als dem vom männlichen Eroberer zu durchdringenden und in Besitz zu nehmenden weiblichen Raum. Weniger bekannt, aber keineswegs weniger interessant ist der europäische Diskurs um Nomadentum, der u.a. den afrikanischen Körper als nomadisch, d.h. chaotisch ungeordnet und begrenzt darstellt und ihm einen geordneten, in sich geschlossenen, begrenzten europäischen Körper entgegenstellt. Eine Konstruktion, die auf derselben Polarität beruht, wie die oben erwähnte Dichotomie von afrikanischer Emotionaiität und europäischer Vernunft und wie diese dieselbe Funktion der europäischen Identitätserzeugung erfüllt.

Aus den Betrachtungen der kolonialen Bedeutungsproduktion, denen ich hier anhand der Texte von bzw. über deutsche Afrika-Siedlerinnen nachgehen werde, werden sich vielerlei Einblicke gewinnen lassen, welche zentrale Stellung Land für Fragen um Macht und Identität einnimmt. Kolonialismus stellt sich in diesem Sinne als Projekt zur Konstruktion von Grenzen dar, die mit Geschlechterkonnotationen - im Sinne des jungfräulichen Landes - und >Rassenkonnotationen< - im Sinne des nomadischen Afrikaners - durchzogen sind. Konstruktionen, die Europa zu Macht und Identität verholten und Afrika ein schwieriges, wie sich an der Landfrage im südlichen Afrika zeigt immer noch wirkungsmächtiges Erbe hinterlassen haben. […]