20.01.2017

Wandergesellen auf Walz in Namibia, Botswana und Südafrika

Wandergesellen auf der Walz in Namibia, Botswana und Südafrika: (v.l.n.r.): Richard Thiele, Thomas Schmidt, Phillip Wagner, Kevin Wallisch, Henning Bruns, Dominik Reuter und Martin Pekrul in Windhoek. Foto: Hartmut Voigts

Wandergesellen auf der Walz in Namibia, Botswana und Südafrika: (v.l.n.r.): Richard Thiele, Thomas Schmidt, Phillip Wagner, Kevin Wallisch, Henning Bruns, Dominik Reuter und Martin Pekrul in Windhoek. Foto: Hartmut Voigts

Die jahrhundertealte Tradition deutscher Handwerksburschen auf die Walz zu gehen, ist in vielen Zweigen des Handwerks ungebrochen stark. Der Tischler Martin Pekrul ist einer der Wandergesellen, die sich auf Walz (Wanderschaft) begeben haben und nach seiner Zeit in Namibia, in Botswana und Südafrika arbeiten will.

„Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.“ Wilhelm II., letzter preußischer Kaiser, 1859 geboren, war bestimmt nicht der Einzige, der nicht auf eine langfristige Nutzung des Autos hoffte. Denn gerade Sattler und Wagner, die Zubehör und Kutschen herstellten, blickten nur wenige Jahre später auf die Auflösung ihres Berufes, unter anderem durch den Vormarsch des Autos bedingt. Und sie waren nicht allein. Im Zuge der Industrialisierung und der späteren Automatisierung lösten sich viele jahrhundertalte Handwerker- und Kaufmannberufe auf. Kupferstecher, die unter anderem Duplikate erstellten, wurden erst vom Lithografen und dann vom Offset-Verfahren abgelöst. Türmer, die ihre Städte vor Feuer und Angriffen warnten, wurden durch Sirenen und moderne Überwachungsmöglichkeiten abgelöst. Dank des elektrischen Lichts brauchte der Gaslaternenanzünder auch keine Gaslaternen mehr anzünden. Blaudrucker, Vergolder, Geigenbogenbauer, Köhler und noch viele andere – sie alle mussten sich über kurz oder lang damit auseinandersetzen, dass ihr Beruf ausstirbt. Das bedeutete jedoch nicht nur das Sterben eines Handwerks an sich, sondern auch einer sehr alten, tief verwurzelten Tradition: Die Walz, von vielen auch Tippelei genannt, deren Wurzeln im Hochmittelalter im 12. Jahrhundert liegen. In dieser Zeit organisierten sich die verschiedenen Handwerkbetriebe in Zünften. Diese sollten Arbeitszeiten, Bezahlung, Ausbildungsbedingungen und Qualität des Handwerks sichern, später durften Handwerker, die keiner Zunft angehörten, auch nicht in ihrem Beruf tätig sein. Die Walz sollte es den ausgebildeten Gesellen eines Betriebes jedoch ermöglichen, Berufserfahrungen zu sammeln. Es entwickelten sich überregionale Verbände, über die die Gesellen miteinander verbunden waren, die das Wandern erleichtern sollten und die Gesellen einer Rechtsprechung unterwarfen. Während damals auch die Wagner noch auf Walz gingen, sind heutzutage vor allem Zimmerleute, Dachdecker, Mauerer, Bierbrauer, Köche oder Tischler unterwegs, deren Berufe den Wandel der Zeit bisher überlebt haben. „Der Beruf muss etwa 120 bis 150 Jahre alt, damit man in ihm auf Walz gehen kann“, erklärt Martin Pekrul, seinerseits 25 Jahre alt, Tischler und seit zwei Jahren und vier Monaten auf Walz. Er trägt die typische Kluft eines Tischler-Gesellen auf Walz: schwarze Hose, weißes Hemd mit schwarzer Weste, schwarzer Hut und ein blaues Tuch mit Anstecknadel. Die Farbe schwarz symbolisiert sein Handwerk, die Holzgewerke. Metallgewerke würden Blau tragen und Steingewerke Weiß oder Beige. Die kleine Nadel zeigt das Gewerkszeichen der Tischler an, also Hobel, Winkel, Zirkel und mit dem blauen Tuch gibt sich Martin Pekrul als Mitglied der Rolandsbrüder zu erkennen. Die Rolandsbrüder sind eine Handwerksvereinigung, auch Schacht genannt, die sich in den 1980ern gegründet hat. Manche dieser neueren Schächte lassen auch Frauen zur Walz zu oder haben ein kleineres Regelwerk, das befolgt werden muss. Die Rolandsbrüder hingegen haben noch das alte Regelwerk aus dem Mittelalter. Das bedeutet genau: Eine abgeschlossene Gesellenausbildung mit Gesellenbrief, unverheiratet, keine Kinder, nicht vorbestraft, unter 27 Jahre und unverschuldet. Außerdem darf sich Pekrul nicht näher als 60 Kilometer seinem Heimatdorf in Brandenburg nähern, darf kein Handy benutzen, keine Plastikbeutel bei sich tragen und muss jeden Ort so verlassen, wie er ihn vorgefunden hat. Was passiert, wenn man gegen eine der Regeln verstößt? Er tippt sich an seinen goldenen Ohrring. „Früher wurde einem dieser Ohrring ausgerissen – daher kommt auch der Begriff Schlitzohr – und man wurde aus der Gilde verstoßen.“ Doch abgesehen davon, dass seit langem niemand mehr gegen die Regeln verstoßen habe, würde das Ohr heute verschont bleiben. Stattdessen wird unter allen Wandergesellen das Vergehen des Einzelnen verbreitet. Dafür gäbe es aber eigentlich die Probezeit, mein Pekrul, damit die Gesellen selbst entscheiden können, ob sie für die Walz geeignet sind oder nicht. Wenn man in diesen zwei Monaten zum Beispiel nach Hause geht, würden keine Konsequenzen auf den Gesellen zukommen. Ansonsten darf sich dem vertrauten Heim nur genähert werden, wenn ein plötzlicher Todesfall eingetreten ist oder man von einem Familienmitglied Abschied nehmen muss, und dann auch nur für 48 Stunden. Eine Menge Verhaltensregeln, um bis zu drei Jahre frei jeder Bindungen durch die Welt zu reisen. Auf der Walz hat Tischler Martin Pekrul bereits Deutschland, Österreich, die Schweiz, Luxemburg, Spanien und Island bereist. Meist eine spontane Entscheidung, gesteht er. So auch Namibia: „Lust auf Afrika?“ – „Joa…?“ Auch wenn die Anzahl der Gesellen auf Walz stark zurückgegangen ist, erst zu Zeiten der Industrialisierung, dann in den beiden Weltkriegen, als die jungen Männer in den Krieg eingezogen wurden, wird trotzdem gut für sie gesorgt. Allein in Deutschland gibt es knapp 30 Anlaufstellen für die Gesellen. Manchmal, erzählt Pekrul, steht man an einem Autobahn-Rasthof in Deutschland und wartet auf eine Mitfahrgelegenheit, wenn plötzlich aus einem Auto mehrere Brüder austeigen. Man quatscht etwas und verabschiedet sich wieder. Und Dank der Anstecknadel kann jeder sofort erkennen, aus welchem Gewerbe man kommt. In Windhoek ist Pekrul erst einmal bei Hartmut Voigts untergekommen. Der Pensionär hat vor zwanzig Jahren ein paar der Brüder im Zoopark aufgelesen und hilft ihnen seitdem, sich in der Stadt zurechtzufinden. Und nicht nur das. Ohne Handy sind die Gesellen oftmals schwer zu erreichen. Ihre Mudder oder ihr Vadder, wie die Besitzer der Herbergen und Anlaufstellen im Walz-Slang genannt werden, halten somit das Kommunikationsnetz aufrecht. Im Grunde ist der Entzug der Technik jedoch nur halb so schlimm. „Wir haben ein sehr ausgeprägtes Informationsnetz untereinander“, so Pekrul. Zu Feiertagen wie Weihnachten oder 1. Mai treffen sich mehrere dutzend Wandergesellen, feiern zusammen und tauschen sich aus. Ab und zu werden auch Postkarten nach Hause geschickt oder kleine Päckchen, in die ein ganzer Souvenirladen gepackt wurde und der langsam zu schwer zum Tragen wird. Außerdem überwiegt die Freude am Reisen jegliches Heimweh und jegliche Entbehrungen. „Was ich an Ländern, Kulturen und Menschen kennenlerne, kann mir niemand mehr nehmen.“ Das sei das Schöne an der Walz, betont er. Die Möglichkeiten, die das „Arbeiten um zu reisen und das Reisen um zu arbeiten“ bieten, sind riesig. Er ist mit fünf Euro aus dem Haus gegangen und wird mit fünf Euro zurückkommen. Die Walz soll menschlich, kulturell und beruflich bereichern, nicht finanziell. Daher ist der Pekrul die meiste Zeit für Kost und Logis angestellt, momentan arbeitet er als Lackierer und geht ein paar Lehrlingen zur Hand. Bisher hat der Tischler überall eine Anstellung gefunden, manchmal nach einem Tag Arbeitssuche, manchmal nach fünf Wochen. In Namibia bleibt Pekrul etwa zwei Monate. Dann geht es mit seiner Walz-Truppe, die aus sieben Gesellen besteht, weiter nach Botswana und Südafrika, zum Reisen und weitere Erfahrungen sammeln, bevor er frühestens in einem halben Jahr nach Hause kann.

Jessica Bürger

Mit freundlicher Genehmigung der Allgemeinen Zeitung in Windhoek (Namibia), veröffentlicht das Namibiana Buchdepot die Pressemeldung: Wandergesellen auf Walz in Namibia, Botswana und Südafrika.
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