03.05.2012

Die Felsenkirche in Lüderitz, Namibia

Die Felsenkirche in Lüderitz, Namibia.

Die Felsenkirche in Lüderitz, Namibia. © Dirk Heinrich

2012 wird die Felsenkirche in Lüderitz, Namibia 100 Jahre alt. Sie hat sich gut gehalten, die alte Dame. Ein Jahrhundert Wind, Salzwasser und Sand haben versucht, an ihrer Haut zu zerren, doch sie hat dem Klima getrotzt.

Heute sitzt sie in luftiger Höhe auf kantigen Felsen und schaut wehmütig auf die Stadt unter sich. Was hat sie nicht alles gesehen! Viele Menschen haben hier einst gelebt, oft haben sie sie besucht und ihr Antlitz bewundert. Doch heute ist es stiller geworden, immer seltener kommen Besucher vorbei. Dabei ist sie noch immer eine Schönheit, noch immer stark, blickt mit geradem Rücken und offenem Auge über das Meer, als würde sie auf jemanden warten. Die Felsenkirche feiert in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag. Am 4. August 1912 wurde sie feierlich eingeweiht, und zu dem, was sie heute ist. Es war eine schwere Geburt an einem unwirtlichen Ort. Im November 1911 wurde ihr erster Stein am Diamantberg in Lüderitz gelegt. Damit sie wachsen und fest stehen konnte, musste der Untergrund mit Sand aufgeschüttet werden. Sie sollte lange leben können auf ihrer exponierten Position. Eine stolze Dame inmitten einer erblühenden Stadt. Doch ein Gelöbnis des damaligen Pfarrers Alexander Mentzels zeigt bereits, dass die Felsenkirche nicht nur als Schöne die Stadt schmücken, sondern den Bewohnern auch mit Rat und Ermahnungen zur Seite stehen sollte: „Wenn drunten in der Stadt […] geschäftiges Leben sich regt und in hastiger Eile eine betriebsame Bevölkerung sich müht um der Arbeit Preis und Lohn […] dann soll dieses Haus sie alle mahnen: Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Selle?“

In ihren frühen Jahren, da sind sie alle gekommen. Die Reichen und Schönen, die Mutigen und Mächtigen aus Deutschland. Erobern wollten sie sie, beschenken und sie schmücken mit edlem Mitbringseln: Das große Altarfenster „Jesus stillt den Sturm“ von Kaiser Wilhelm II, das dreiteilige Lutherfenster, ein Geschenk Herzog Joachim Albrechts von Mecklenburg, die reich verzierte Bibel von Kaiserin Auguste Victoria, das silbernes Taufgeschirr des Ehepaar Franz Schusters und die geschnitzten Eichenmöbel (Kanzel, Altar und Sockel) von dem Künstler Friedrich Ditzel in tagelanger Arbeit angefertigt. Geschmückt und ausstaffiert wurde die Geburtsfeier der Felsenkirche zu einem prachtvollen Fest, über das auch damals schon die Presse berichtete. So melden die „Heimatglocken“ in Kaltennordheim: „Auf dem steilklippigen Diamantenberg erhebt sie sich in edler gothischer Form, so dass sie schon auf hoher See Ankommenden entgegen leuchtet.“

Auch heute trägt sie noch all diese Geschenke. Sie erinnern an längst vergangene Zeiten, an einen Rausch des Luxus und der Liebhaber. Erinnern an die deutsche Kolonialzeit, in der die lutherische Gemeinde sich hier einen Zufluchtsort schaffen wollte und sind zugleich historische Zeugen des Diamantenrauschs zu Beginn des Jahrhunderts in der Umgebung. Viel hat sie seitdem erlebt, die Dame auf dem Fels: Wie sich ihr Kirchenvorstand gegen die Vorschriften der Nationalsozialisten aus Deutschland wehrte, im zweiten Weltkrieg die Internierten mit Hilfeleistungen unterstützte, wie die Gemeinde nach Ende der Kolonialzeit immer weiter schrumpfte, bis sie sich nach dem wirtschaftlichen Abschwung in Lüderitz an zwei Händen abzählen ließ. Reden tut die steinerne Dame nicht. Sie ist eine gute Gastgeberin, die sich in die Gespräche ihrer Gäste nicht einmischt, sondern sie in ihrem Haus miteinander streiten, versöhnen und diskutieren lässt. Nur manchmal, dann läuten ihre Glocken über die Stadt. Drei große, wuchtige Kupferglocken, die zusammen gut 2000 Kilo wiegen. Zu schwer für eine menschliche Hand, aber fast filigran im Vergleich zur schroffen Umgebung. Heute läuten die Glocken nur noch einmal die Woche zum Sonntagsgottesdienst, meist sind die Tore der Felsenkirche geschlossen.

Die Kirche wacht jetzt über eine Stadt, die immer weniger Menschen beherbergt und mit einer Arbeitslosenquote von 60 Prozent bei kaum 20000 Einwohnern wohl auch in Zukunft noch weiter ausbluten wird. Eine traurige Angelegenheit für die Felsenkirche, die auf Menschen angewiesen ist und sich doch nicht fortbewegen kann. Zu ihrem Geburtstag hat sie einen besonderen Gast bei sich zu Hause: Pastor Karlfrieder Walz ist extra aus dem Schwarzwald nach Namibia geflogen, um die alte Dame zu pflegen und ihr Haus mit Leben zu füllen. „Die wenigen Menschen treffen sich hier nicht nur zum Gottesdienst, sondern vor allem um sich zu sehen“, sagt er, „die fahren zum Teil eine Stunde lang von ihren Farmen hierher.“ Die Felsenkirche ist immer noch Versammlungsort für die Menschen im Ort. Nur sind das eben wenige. „Bei meinem ersten Gottesdienst sprach ich vor fünf Personen“, sagt der pensionierte Pastor. Die Flucht aus Lüderitz hat große Lücken in der Gemeinde hinterlassen. Die wenigen Deutschsprachigen können die Felsenkirche nicht mit Leben füllen.

Doch gerade das wünscht sich Walz. „Ist das noch eine Gemeinde oder ein Museum?“, frage er sich manchmal, „wir müssen mit Anderen zusammenarbeiten, um wieder eine lebendige Gemeinschaft zu haben. Es geht um Zusammenhalt. Hier muss wieder Leben rein.“ Seine Idee: Die Gemeinde zu öffnen für andere Gemeinden. Deswegen will er zum Jubiläumsgottesdienst am 19. Mai um 15 Uhr einen Gottesdienst für alle: Auf Deutsch und Englisch wird aus der Bibel gelesen, aber auch Afrikaans, Nama und Oshivambo wird einfließen. Der Pastor hofft, dass viele Menschen kommen, 200 Plätze sind vorhanden. Die Festpredigt hält Bischof Erich Hertel aus Windhoek und nach dem Gottesdienst wird es eine anschließende Feier zum Jubiläum geben. Danach, am Abend, werden alle Besucher wieder nach Hause gehen und die alte Dame auf dem Felsen dort zurück lassen, wo sie seit 100 Jahren über das Meer schaut und wahrscheinlich noch die nächsten hundert Jahre über Lüderitz wacht. Geschmückt, majestätisch und still.

Julia Dombrowsky

Mit freundlicher Genehmigung der Allgemeinen Zeitung Windhoek-Namibia, veröffentlicht das Namibiana Buchdepot die Pressemeldung: Die Felsenkirche in Lüderitz, Namibia.

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