07.02.2014

Denkmalkultur in Namibia

Denkmalkultur in Namibia: Asiatische Bauarbeiter haben am 04.02.2014 die Zerstörung des Reiterdenkmal-Sockels fortgesetzt, von dem nur der massive Bodenteil übrig blieb. Die Granitsteine des Sockels waren bereits vor wenigen Wochen abgerissen und auf eine Müllkippe gebracht worden. Foto: Tanja Bause

Denkmalkultur in Namibia: Asiatische Bauarbeiter haben am 04.02.2014 die Zerstörung des Reiterdenkmal-Sockels fortgesetzt, von dem nur der massive Bodenteil übrig blieb. Die Granitsteine des Sockels waren bereits vor wenigen Wochen abgerissen und auf eine Müllkippe gebracht worden. Foto: Tanja Bause

Dr. Andreas Vogt, Bauhistoriker und Kulturexperte aus Namibia, über die Denkmalkultur und die vermeintlich legitime Frage nach der Zeitgemäßheit von Denkmälern.

Unter allen Bauwerken sind Denkmäler mit die interessantesten. Das normale Bauwerk hat neben seiner reinen Zweckfunktion – Unterkunft, Repräsentation und Nutzwert, z.B. einer Fabrik – allenfalls noch einen historischen Wert, wenn es beispielsweise einen interessanten Baustil aufweist oder eine historische Erinnerung mitträgt. Denkmäler hingegen, deren Hauptfunktion die Tradierung einer Erinnerung beinhaltet, sind etwas Besonders. So sehr wünscht sich eine Gesellschaft eine Erinnerung zu tradieren, dass sie dafür durch die Errichtung eines Denkmals, Kunstwerks oder Sonderbaus ein besonderes Zeichen setzt. Dies können personifizierte Denkmäler sein, die an herausragende Persönlichkeiten erinnern sollen, oder symbolische Denkmäler, die z.B. an eine Schlacht, einen Feldzug, ein entscheidendes Gefecht oder ein historisches Ereignis wie Kriegsende erinnern sollen. Wie ein Wegweiser auf einem Pfad soll es künftigen Generationen einen konkreten historischen und räumlichen Anhaltspunkt auf dem Gang durch die Jahrhunderte bieten. In der Moderne (19. Jh.) ist das Denkmal etwas aus der Mode gekommen, da sich als Erinnerungsträger langsam die Fotografie durchzusetzen begann. Lediglich in der Militärkultur blieb das Denkmal in der Form des Kriegerdenkmals aktuell, ansonsten blieb seine Hauptaufgabe der Erinnerung im privaten sakralen Bereich (z.B. Friedhofs- und Bestattungskultur) vorbehalten. In Namibia können diese Trends sehr gut abgelesen werden. Es gibt gerade einmal eine Handvoll Kriegerdenkmäler und Gefechtssteine aus der Zeit der Aufstände sowie Herero- und Nama­kriege (z.B. Witbooidenkmal im Zoopark Windhoek, Marinedenkmal in Swakopmund und Reiterdenkmal in Windhoek). Doch bereits in der deutschen Kolonialzeit rückte man schon aktiv von der Errichtung personifizierter Denkmäler ab. So wurde in Lüderitzbucht die Lesehalle zur Erinnerung an den Pionier F.A.E. Lüderitz errichtet, während auf eine Statue desselben verzichtet wurde, da man eine solche bereits nicht mehr als zeitgemäß erachtete. Auch in der Mandatszeit war die Zahl der errichteten Denkmäler äußerst dürftig. Während man nach der Mandume-Kampagne (1917) am Bahnhof in Windhoek noch die Mandume-Säule im Jahre 1918 errichtete, wurde z.B. an den Bondelswart-Aufstand im Jahr 1922 nicht mehr in Denkmalform erinnert. Das bedeutendste Einzeldenkmal in der südafrikanischen Zeit wird das François-Denkmal sein, das zum 75.Geburtstag der Hauptstadt Windhoek eingeweiht wurde. Abgesehen von einigen Kriegerdenkmälern, die von privaten, englisch-südafrikanischen Veteranenverbänden für die Gefallenen des 1. und 2. Weltkriegs errichtet wurden, gibt es im Grunde auffallend wenige Denkmäler in Namibia. (Zum Vergleich: Nach dem Ersten Weltkrieg wurden in Frankreich allein über 23000 Kriegerdenkmäler errichtet.)

Über Nacht hochaktuell

Nun haben aber historische Denkmäler eine eigene Dynamik und ein eigenes Leben, das sich denjenigen mitteilt, die sie als aktiven Bestandteil der Kulturlandschaft erfahren, in der sie leben. Mitunter schlummern sie jahrzehntelang, werden dann für irgendeine Politik missbraucht oder buchstäblich über Nacht wieder hochaktuell. Man wird in den kommenden vier Jahren miterleben, wie weltweit mit der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg – auch in Namibia – umgegangen wird. Es stellt sich also die Frage, wie aktuell ein Denkmal ist oder ob es nicht schon so obsolet geworden ist, dass man es endlich komplett entsorgen soll. Dies entscheidet sich immer nach individuellen Kriterien und man muss deshalb das Denkmal individuell beurteilen. Nehmen wir das Reiterdenkmal: Ist es obsolet oder nicht? Zum einen ist es eines der wenigen deutschen kolonialen Kriegerdenkmäler, die noch bestehen. Deutschland war nur sehr kurze Zeit eine Kolonialmacht (1884-1915). Das damalige DSWA war die einzige deutsche Siedlerkolonie. Nur hier blieb auch nach dem Verlust der Kolonie ein Siedlerstamm zurück, der zur Keimzelle der „Südwester“ wurde. Für diese war das Reiterdenkmal immer das Identitätssymbol schlechthin, da damit die Erinnerung an die deutsche Zeit und auch der Verlust der Kolonie verbunden wurde. Noch heute leben die Nachfahren dieser Südwester in Namibia. Es ist weiterhin ihr Symbol, da ihre Erinnerung an ihre Vorfahren oder an die Kolonialzeit vielleicht etwas verblasst, aber keienswegs erloschen ist. Anders in den anderen ehemaligen Schutzgebieten Togo, Kamerun, DOA: Dort wurden direkt nach dem Ersten Weltkrieg alle Deutschen repatriiert. Die Erinnerung an die deutsche Zeit ist dort weitgehend, wenn nicht komplett erloschen. Hinzu kommt, dass das Reiterdenkmal seinerzeit als Landeskriegerdenkmal konzipiert und betrachtet wurde. Es nimmt daher vor allen anderen Kriegerdenkmälern aus jener Zeit einen Sonderstatus ein, da es als bedeutendstes oder wichtigstes betrachtet wurde. Daher auch sein Standort im historischen Zentrum Windhoeks, in unmittelbarer Nähe von Alte Feste, Tintenpalast und Christuskirche. Von allen Kriegerdenkmälern aus der deutschen Zeit in Namibia ist es auch das bekannteste, jeder im Lande kennt es.

Genutzt und gepflegt

Man muss sich auch fragen, ob die Denkmäler noch aktiv genutzt werden. In Namibia wurden die einzelnen Kriegerdenkmäler gewiss touristisch genutzt. Obwohl in zunehmend schwindendem Maße, prägen sie bis heute die Stadtbilder. Sie werden auch ab und an von Veteranenverbänden genutzt, die dort den einen oder anderen Kranz niederlegen. Dieses ist ein Usus, der auf der ganzen Welt gepflegt wird. Aufgrund ihres eher niedrigen Bewusstseinsprofils seitens der Bevölkerung haben sie kein auffälliges Profil und haben sie die einzelnen Epochenwechsel erstaunlich gut überlebt. In der Vergangenheit hat die Tatsache, dass sie unter allgemeiner gesellschaftlicher Ankennung genutzt wurden, auch dazu geführt, dass sie gepflegt wurden. Die einzelnen Maßnahmen waren nicht spektakulär, immerhin haben die Einzeldenkmäler dadurch ein gutes Jahrhundert überstanden. Zeit also, dass sie wegkommen? Was wird aus den Bemühungen, die in der Vergangenheit unternommen wurden, Denkmäler zu pflegen und zu schützen? Sollte man dann nicht auch das Grab von Jonker Afrikaner in Okahandja einebnen?

Was ist in 100 Jahren?

Man muss sich fragen, was aus ihnen in 100 Jahren geworden sein wird? Und in 200 Jahren? Der Wappenpfeiler vom Kreuzkap, der im Deutschen Historischen Musem in Berlin steht, ist über fünfhundert Jahre alt und im Original erhalten. Das ist nicht selbstverständlich, viele andere ähnliche Wappenpfeiler sind auf immer verschwunden. Wie denkt man nach über kulturelle Artefakte, die Jahrhunderte oder Jahrtausende alt sind? Goldmünzen aus dem Schiffswrack, das bei Oranjemund gefunden wurde: einschmelzen, weil sie an das portugiesische Kolonialreich erinnern? Befragt man die hier Lebenden nach der Bedeutung der einzelnen Denkmäler, wird es kaum jemanden geben, der sie einem richtig erklären kann. Trotzdem weisen sie denjenigen, die sie zu deuten verstehen, den Weg zum Verständnis der Vergangenheit. Wer könnte einem auf Anhieb drei Missionare, ihre Wirkungsstätten und ihre Verdienste um das Land aufzählen? Kaum einer. Schaut man sich jedoch drei alte Missionskirchen, einige Missionsfriedhöfe und Einzelgräber an und liest dazu die entsprechende Literatur, wird das Bild ein anderes. Wer kann detaillierte Angaben zur deutschen Kolonialzeit machen? Auch nicht mehr viele. Die meisten Zeitgenossen heute leben ahistorisch und frönen dem Konsum, ihnen sind die Erinnerung an irgendwelche lange zurückliegenden Ereignisse oder längst verstorbenen Personen vollkommen egal. Dafür sind die Kolonialdenkmäler das gefundenen Fressen für Ideologen; für einige Salonmarxisten sind sie das bevorzugte Schlachtfeld für ideologische Scheingefechte, für manche Künstler der Hintergrund für surreale Malereien, für Literaten bisweilen der Hintergrund zu bizarren literarischen Kompositionen. Karikaturisten kommen hinsichtlich der freien Interpretation unserer Denkmallandschaft voll auf ihre Kosten.

Banausen statt Erneuerer

Dabei ist die derzeitige Nutzung unserer Denkmäler eine gefährliche, denn sie werden zurzeit politisch misshandelt. Entweder werden sie für ideologieüberfrachtete Welt- oder Geschichtsbilder missbraucht, oder um beleidigende politische Gesten zu simulieren. Dies ist eine bedenkliche Entwicklung. Sie weisen nämlich, was die vermeintliche Obsolezenz unserer Denkmäler betrifft, in genau die gegenüberliegende Richtung. Man bedient sich ihrer Popularität, sprich ihrer Aktualität und Attraktivität, um seiner eigenen sinnlosen Geste eine besondere Note zu verleihen. Zudem wird geglaubt, dass durch die Vernichtung eines Denkmals sich auch seine Vernichter sich ein positives „Denkmal setzen“. Dazu gehört eine ziemliche Unverfrorenheit, aber auch eine gehörige Portion Dummheit, da sich die Akteure - im Kleide der Kulturerneuerer - letztlich als Kulturbanausen darstellen. Man stelle sich vor, der Eiffelturm wird abgewrackt, da er nicht weiter ist als eine Erinnerung an ein Technikzeitalter, das längst vom Elektronikzeitalter abgelöst wurde und daher obsolet ist. Oder das Deutsche Historische Museum wirft den Diego-Cao-Wappenpfeiler vom Kreuzkap auf den Müll, da er an die schlimme portugiesische Kolonialzeit erinnert. Die Freiheitsstatue vor New York ist auch nicht mehr aktuell, weil die USA nicht mehr ein bevorzugtes Einwanderungsland, sondern eine Nation am finanziellen Abgrund sind. Auf diesem Niveau wird mit unserem Reiter umgegangen. Wo zieht man überhaupt den Strich? Die Erinnerung an das Reiterdenkmal gänzlich zu tilgen wird schwierig sein. Gelingt es also nicht, die Erinnerung daran gänzlich zu tilgen, ändert sich der Erinnerungsinhalt daran in Zukunft noch einmal beträchtlich. Erinnert wird nämlich nun nicht mehr nur, an was es ursprünglich erinnern sollte (an die Gefallenen und Opfer der Kolonialkriege 1904-08), nicht nur an die vielen Südwester, denen es immer ihr Lieblingsdenkmal, der „Reiter von Südwest“ war, sondern auch an diejenigen, die sich hundert Jahre danach an dem Denkmal übel vergriffen haben. Die Erinnerung an die Episode mit dem Presslufthammer kann sich halten. Dem Reiterdenkmal, oder was davon übrig ist, stehen daher interessante Zeiten bevor. Von Obsoleszenz kann keine Rede sein. Beobachten wir es weiterhin genau: Es lässt interessante Schlüsse zu auf die aufregenden Zeiten, in denen wir gerade leben!

Dr. Andreas Vogt, Windhoek

Mit freundlicher Genehmigung der Allgemeinen Zeitung in Windhoek (Namibia), veröffentlicht das Namibiana Buchdepot die Pressemeldung: Denkmalkultur in Namibia.

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