Südafrikas Inszenierung der Wahrheit, von Michael Bösch et al.

Südafrikas Inszenierung der Wahrheit: Die politische Erinnerungskultur nach der Apartheid, von Michael Bösch et al.; Verlag: Monsenstein und Vannerdat. Münster, 2010. ISBN 9783927382688 / ISBN 978-3-927382-68-8

Südafrikas Inszenierung der Wahrheit: Die politische Erinnerungskultur nach der Apartheid, von Michael Bösch et al.; Verlag: Monsenstein und Vannerdat. Münster, 2010. ISBN 9783927382688 / ISBN 978-3-927382-68-8

Welche Bedeutung diese neue Form der Erinnerungskultur für den politischen Neuanfang Südafrikas gehabt hat, bildete die Leitfrage dieses von Michael Bösch herausgegebenen Bandes, 'Südafrikas Inszenierung der Wahrheit'. Hierbei wurden insbesondere die performativen Aspekte der Inszenierung sowie kulturelle Hintergründe der südafrikanischen Truth and Reconciliation Commission (TRC) diskutiert.

Susanne Kaul  

Vorwort: Südafrikas Inszenierung der Wahrheit

Nach Jahrhunderten der Gewalt und Jahrzehnten einer Politik der Rassentrennung (Apartheid) vollzog sich im Südafrika der 90er Jahre ein Übergangsprozess, in dem das Apartheidsregime abgeschafft und eine neue politische Ordnung der Freiheit und Gleichheit begründet wurde. In den freien Wahlen des Jahres 1994 ging der ANC als Sieger hervor und Nelson Mandela wurde erster Staatspräsident der neuen Republik. Mit seiner Freilassung im Jahre 1990 beendete der damalige Präsident de Klerk die letzte Phase der Apartheidspolitik, in der sich Südafrika im Ausnahmezustand befand und die Gewalt erschreckend eskalierte. Die nachfolgenden Verhandlungen über eine neue Ordnung waren sehr spannungsgeladen und drohten mehrmals zu scheitern. Insbesondere die Probleme der Aufarbeitung der Vergangenheit und der Integration der alten Mächte in den neuen Staat gehörten zu den schwierigsten Fragen. Vonseiten der alten Machthaber und der Sicherheitskräfte wurde eine Generalamnestie gefordert, was von den Widerstandsbewegungen abgelehnt wurde. Andererseits wäre der Versuch einer uneingeschränkten strafrechtlichen Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen mit erheblichen Schwierigkeiten konfrontiert gewesen und hätte möglicherweise zu gewaltsamem Widerstand vonseiten der Sicherheitskräfte geführt. So reifte in den Verhandlungen der Entschluss, eine „Wahrheitsund Versöhnungskommission" (Truth and Keconciliation Commission) einzusetzen, die sich mit der Aufarbeitung der Vergangenheit befassen und die künftige Achtung der Menschenrechte in einer befriedeten Gesellschaft fördern sollte. Mit dieser Entscheidung schloss man sich an Vorbilder aus Lateinamerika an und setzte zugleich ganz neue Akzente, da die TRC öffentlich arbeiten, den Opfern Gehör verschaffen und über Amnestieanträge entscheiden sollte. Im Gesetz zur „Förderung der Nationalen Einheit und Versöhnung" (Promotion of National Unity and Reconciliation Act) von 1995 wurde die doppelte Zielsetzung von Wahrheitsfindung und Versöhnung beschrieben und das Mandat der Kommission formuliert. Der Untersuchungszeitraum wurde auf die Jahre 1960 (nach dem Massaker von Sharpeville) bis 19941 (dem Amtsantritt von Präsident Mandela) festgelegt. Inhaltlich ging es um die Untersuchung „schwerer MenschenrechtsVerletzungen", allerdings schloss man hierbei das systematische Unrecht der Apartheidspolitik aus und bezog sich nur auf Einzeltaten wie Mord, Entführung, Misshandlung und Folter. Dabei sollten Verbrechen sowohl der herrschenden Mächte als auch der Widerstandsbewegungen untersucht werden.

Die Kommmission war untergliedert in drei Komitees:

1. Das Komitee für Menschenrechtsverletzungen sollte Erzählungen von Opfern sammeln und teilweise in öffentlichen Anhörungen zur Sprache bringen;

2. Das Komitee für Amnestierung entschied nach öffentlichen Anhörungen über individuelle Amnestieanträge, für die strenge Regeln erlassen wurden. So war notwendige Voraussetzung einer möglichen Amnestierung ein umfassendes Geständnis des Antragstellers und seine Bereitschaft, an der Aufdeckung aller Tatumstände mitzuwirken. Zugleich wurde die Antragsmöglichkeit zeitlich befristet. Der Weg einer strafrechtlichen Verfolgung der Verbrechen blieb somit offen, falls kein Amnestieantrag gestellt oder dieser abgelehnt wurde;

3. Das Komitee für Entschädigung und Wiedergutmachung befasste sich mit Entschädigungsleistungen für die Opfer und konnte hierzu der Regierung Vorschläge unterbreiten. Zum Vorsitzenden der Kommission wurde der Friedensnobelpreisträger und anglikanische Erzbischof Desmond Tutu ernannt. Am 16. April 1996 fand die erste öffentliche Anhörung in East London statt. 1998 überreichte Tutu Präsident Mandela den vorläufigen Abschlussbericht, der 2003 ergänzt wurde. Die Arbeit der TRC war von Anfang an sehr umstritten. Die vielfältigen Aufgaben, die das Mandat ihr zugewiesen hatte, standen in einem Spannungsverhältnis, das den Vorwurf laut werden ließ, hier sei die Gerechtigkeit dem politischen Versöhnungsauftrag geopfert worden. Insbesondere die Amnestieregelung fand heftigen Widerspruch. Auf der anderen Seite kann die TRC als eine ganz neuartige Form der politischen Erinnerungskultur gewürdigt werden, die im unmittelbaren Kontext eines politischen Übergangsprozesses und nicht erst Jahrzehnte später sich der schwierigen Aufarbeitung der Vergangenheit stellte und so das gesellschaftliche Bewusstsein zu prägen versuchte. Sie wurde getragen von einer öffentlichen Inszenierung, insbesondere der Anhörungen, die von einer breiten Medienpräsenz unterstützt wurde. Dieser Prozess hat weltweite Beachtung gefunden und wurde sowohl politisch als auch wissenschaftlich eingehend diskutiert. [...]

Dies ist ein Auszug aus dem Buch: Südafrikas Inszenierung der Wahrheit, von Michael Bösch et al.

Titel: Südafrikas Inszenierung der Wahrheit
Untertitel: Die politische Erinnerungskultur nach der Apartheid
Reihe: Veröffentlichungen von Akademietagungen, Band 51
Herausgeber: Michael Bösch
Autoren: siehe Inhaltsverzeichnis
Verlag: Monsenstein und Vannerdat
Münster, 2010
ISBN 9783927382688 / ISBN 978-3-927382-68-8
Broschur, 15 x 21 cm, 154 Seiten

Bösch, Michael und Wüstenberg, Ralf R. und Kattermann, Vera und Feltes, Thomas und Nitsche, Jessica und Kaul, Susanne im Namibiana-Buchangebot

Südafrikas Inszenierung der Wahrheit

Südafrikas Inszenierung der Wahrheit

Südafrikas derzeitige Inszenierung der Wahrheit und die politische Erinnerungskultur nach der Apartheid ist Thema dieser Beitragssammlung.