Niemand, der mit mir geht, von Nadine Gordimer

Niemand, der mit mir geht, Roman von Nadine Gordimer. Berlin Verlag. Berlin, 1995. ISBN 3827000017 / ISBN 3-8270-0001-7

Niemand, der mit mir geht, Roman von Nadine Gordimer. Berlin Verlag. Berlin, 1995. ISBN 3827000017 / ISBN 3-8270-0001-7

Nadine Gordimer galt als eine der bedeutendsten Autorinnen Südafrikas. Mit Furchtlosigkeit und großem Beharrungsvermögen trat sie für die Abschaffung der Apartheid in ihrem Heimatland ein. In Romanen wie Niemand, der mit mir geht schuf sie einen Spiegel der südafrikanischen Gesellschaft.

Nadine Gordimer  

Und wer war das? Es gibt immer jemanden, an den sich keiner mehr erinnert. In dem Gruppenfoto nehmen nur jene, die inzwischen prominent oder berüchtigt geworden sind oder deren Gesichter durch gemeinsam Erlebtes zurückverfolgt werden können, Raum und Zeit ein, glänzend verflacht. Wer könnte das gewesen sein? Die baumelnden Hände und die ordentlich für die Kamera zusammengestellten büße, das Halblächeln im Profil, den Kopf der Persönlichkeit zugewandt, die der Mittelpunkt des bewahrten Moments sein sollte. Es ist im Grunde ein Einzelbild, zu einer höheren Intensität entwickelt. Am Rande dieses Brennpunktes ist noch etwas, eine Anfügung, man könnte sie bei der Vergrößerung auch weglassen, da die periphere Gestalt im Akt des Erkennens und in der besonderen Erinnerung, die das Foto auslöst, keine Bedeutung hat. Wenn aber jemand käme, der - warte mal! - die Gestalt erkennen würde, an die sich niemand erinnert, dann würde sich sofort eine andere Lesart des Fotos entwickeln. Etwas anderes, eine andere Bedeutung wäre da; das, was damals, auf dem Weg, auf sich genommen wurde, wäre wieder gegenwärtig. Etwas Geheimes vielleicht. Das so unscheinbar eingefangen wurde. Vera Stark, mit ihrer Anwaltsausbildung und dem Ordnungsdrang, der mit dem Altern kommt, stieß auf ein Foto, das sie seit langem zusammen mit allem, was sie in den verschiedenen Neuanfängen der Jahre abgelegt hatte, weggeworfen glaubte. Aber es war kein Bild, das sie übersehen hatte. Es war das Foto, das sie ihrem ersten Mann während des Krieges in sein Offiziersquartier in Ägypten geschickt hatte, während ihres Krieges, des richtigen Krieges, nicht jener Kriege, die ihm folgten und die ohne Siegesparaden kamen und gingen. Er mußte das Foto aufgehoben haben. Mußte es in seiner Feldausrüstung mit zurückgebracht haben. Es war eine Ansichtskarte - die Ansichtskarte, die sie ihm von einem Ausflug in die Berge geschickt hatte; ein Foto der kleinen Feriengruppe von Freunden, mit denen sie gefahren war. Was sie auf die Rückseite geschrieben hatte (sie drehte das Foto jetzt um, als höbe sie einen alten Stein), waren die üblichen telegrafischen paar Zeilen, die sie hingekritzelt hatte, während sie die Briefmarke kaufte, das Wetter wunderbar, sie kletterte, wanderte Meilen pro Tag, schwamm in kleinen, sauberen Teichen, das Hotel so, wie er es kannte, aber ziemlich runtergekommen. Grüße von diesem oder jenem, denn die, die da untergehakt standen, waren ihre gemeinsamen Freunde. Es gab nur ein neues Gesicht: ein Mann zu ihrer Linken, dem sie einen Kreis um den Kopf gemalt hatte. Sie nannte ihn in einer Zeile, die senkrecht neben ihren Bericht vom Wetter gequetscht war, beim Namen. Was auf dem Rücken des Fotos geschrieben stand, war nicht ihre Botschaft. Ihre Botschaft war der Tintenring um das Gesicht des Fremden: dies ist das Bild des Mannes, der mein Liebhaber ist. Ich bin in ihn verliebt, ich schlafe mit diesem Mann, der neben mir steht; siehst du, ich bin offen und ehrlich zu dir. Ihr Mann hatte nur den Text auf der Rückseite gelesen. Als er nach Hause kam, verstand er nicht, daß er nicht zu ihr zurückkehren konnte. Sie verteidigte sich, überrascht, wieder und wieder: »Ich hab's dir doch gezeigt, ich hab sein Foto neben mir umkringelt. Ich hab geglaubt, daß wir uns zumindest so gut kennen ... Wie konntest du das nicht verstehen! Du wolltest das nicht verstehen.« Aber ja, er mußte es in aller Unschuld mit seinen anderen Souvenirs zurückgebracht haben, den Dingen aus seinem Krieg. Er brachte es mit und hier war es, war irgendwie nicht zerrissen oder fortgeworfen worden, als sie im praktischen Teil der Scheidung ihre Besitztümer aufteilten. [...]

Dies ist ein Auszug aus dem Roman: Niemand, der mit mir geht, von Nadine Gordimer.

Titel: Niemand, der mit mir geht
Autorin: Nadine Gordimer
Übersetzung: Friederike Kuhn
Genre: Roman
Verlag: Berlin Verlag
Berlin, 1995
ISBN 3827000017 / ISBN 3-8270-0001-7
Original-Kartoneinband, Original-Schutzumschlag, 14 x 22 cm, 304 Seiten

Gordimer, Nadine im Namibiana-Buchangebot

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Niemand, der mit mir geht ist ein leidenschaftlicher Roman von den politischen und gesellschaftlichen Veränderung in Südafrika.

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