Naulila. Erinnerungen eines Zeitgenossen, von Max Ewald Baericke

Naulila. Erinnerungen eines Zeitgenossen, von Max Ewald Baericke. Gesellschaft für Wissenschaftliche Entwicklung und Museum Swakopmund

Naulila. Erinnerungen eines Zeitgenossen, von Max Ewald Baericke. Gesellschaft für Wissenschaftliche Entwicklung und Museum Swakopmund

Südwestafrika/Namibia, 1981. ISBN 0-620-05512-X / ISBN 062005512X

Südwestafrika/Namibia, 1981. ISBN 0-620-05512-X / ISBN 062005512X

Das Buch Naulila: Erinnerungen eines Zeitgenossen entstand auf der Grundlage der Aufzeichnungen von Max Ewald Baericke. Dies ist ein Auszug aus dem Kapitel 11.

Max Ewald Baericke  

Vorgeschichte: Mit 12 Seemeilen Fahrt pflügte der Dampfer „Adelaide" der Deutsch-Australischen Dampfschiffahrts Gesellschaft, Hamburg, die Wogen des Atlantischen Ozeans auf seiner Jungfernreise nach Australien. Sie war ein schmuckes Frachtschiff von 8000 t und auf das Modernste mit Dampfkesseln für Kohle- und Ölfeuerung, sowie mit Funkentelegraphie ausgerüstet. Der Kapitän Bernhard TADSEN hatte bereits alle Weltmeere befahren und sich durch absolute Zuverlässigkeit und hervorragende Fachkenntnisse die Gunst seiner Gesellschaft erworben, die dem erst 38jährigen ihr bestes und neuestes Schiff anvertraute. Am 5. August 1914 befand sich die „Adelaide" an der südwestafrikanischen Küste in der Höhe von Port Nolloth, als der Bordfunker den Funkspruch von der Kriegserklärung Englands an Deutschland auffing. Der Kapitän ging an seinen Safe, schloß ihn auf und entnahm ihm einen Briefumschlag mit der Aufschrift: „Anweisungen für den Kriegsfall mit England." Nach dieser Anweisung hatte er sofort einen neutralen Hafen anzulaufen. Er ließ das Schiff wenden und nahm Kurs nach NNW, die deutsch-südwestafrikanische Küste in weitem Bogen umfahrend und den Hafen Luanda ansteuernd. Kaum hatte das Schiff den neuen Kurs eingenommen, als ein Funkspruch von Kapstadt einlief, der die Position des Dampfers wissen wollte. Um einer Aufbringung durch feindliche Schiffe zu entgehen, gab der Kapitän eine falsche Position an. Dennoch war die Lage sehr kritisch, denn sicher würden die Engländer die Beschlagnahme dieses neuen und erstklassigen deutschen Schiffes sich nicht entgehen lassen, das eine wertvolle Ladung von Rassekühen und -bullen und Klavieren für Australien an Bord hatte. Nur äußerste Geschwindigkeit und ein schnelles Erreichen des neutralen Hafens von Luanda konnte das Schiff noch retten.

Von der Kommandobrücke ging der Befehl in den Maschinenraum: „Äußerste Kraft voraus, Öl ins Feuer!" Die Heizer zogen sich die Hemden aus, spuckten in die Hände und ergriffen die Kohlenschaufeln. Diesmal galt es zu zeigen, was sie leisten können. Zufrieden prüfte der 1. Ing. HARTMEYER die Logleine, die 18 Seemeilen ankündete. Das waren 6 Seemeilen mehr als bei normaler Fahrt. Doch Hartmeyer verließ sich auf die Güte des deutschen Materials, und er hatte keine Bedenken die Geschwindigkeit beizubehalten, da die Rettung des Schiffes davon abhing.

Am nächsten Tag ging wieder ein Funkspruch von Kapstadt ein, der erneut um Positionsangabe der „Adelaide" ersuchte. Um die Engländer zu täuschen, gab der Kapitän eine Position 200 Seemeilen nördlich von Kapstadt an und bestellte für den nächsten Tag Schauerleute zum Löschen der für Kapstadt bestimmten Ladung. Als am nächsten Tage die „Adelaide" nicht im Hafen von Kapstadt einlief, dürften die Engländer lange Gesichter gemacht haben. Unterdessen fuhr sie mit äußerster Kraft weiter nach Norden und erreichte am vierten Tage nach der Kriegserklärung den Hafen von Luanda. Zwei Stunden später lief ein kleiner englischer Kreuzer in den Hafen ein und legte sich daneben. Die von dem englischen Kreuzerkommandanten geforderte Auslieferung des Schiffes wurde vom portugiesischen Gouverneur abgelehnt. Darauf forderte der englische Kommandant die Zerstörung der Funkanlage der „Adelaide", welcher Aufforderung sie insofern nachkam, daß sie Fenster und Türen der Funkkabine verschließen und versiegeln ließ. Wie es dem Bordfunker gelang, dennoch weiter zu funken, bleibt sein persönliches Geheimnis.

Noch zwei weitere deutsche Frachtdampfer liefen den Hafen von Luanda an und ließen sich internieren. Es waren die Dampfer „Ingraban" und „Ingbert" von der Bremer Afrika Linie. Der Kapitän der „Ingraban" hieß STRESOW, der des „Ingbert" HESS. Als der englische Kreuzer wieder ausgefahren war, nahm der Bordfunker der „Adelaide" seinen Betrieb wieder auf. In Luanda gab es damals noch keine Funkstation und auch die portugiesischen Frachtdampfer hatten diese Neueinrichtung noch nicht. So konnte sich der Bordfunker ungestört mit der Funkstation in Windhuk in Verbindung setzen und Nachrichten empfangen und senden. Das deutsche Gouvernement hatte diese Gelegenheit benutzt und den deutschen Konsul in Luanda beauftragt, Lebensmittel in Angola aufzukaufen und an die deutschsüdwestafrikanische Grenze zu senden, wo ein Vertreter des deutschen Gouverneurs sie übernehmen würde.

Nach Ausbruch des Weltkrieges18 gab es für Südwest nur noch eine Möglichkeit Verbindung mit der Außenwelt aufzunehmen und nur noch eine Wahrscheinlichkeit, die knappen Proviantvorräte des Landes zu ergänzen, nämlich durch die neutrale portugiesische Kolonie Angola. Zu dem gleichen Zweck war auch Mitte August der Lüderitzbuchter Kaufmann O. W. C. BUSCH nach Mossamedes entsandt worden. Die durch das Ausbleiben weiterer Nachrichten aus Luanda geschaffene Ungewißheit veranlaßte dann das Gouvernement, am 3. September von Lüderitzbucht aus einen Motorfischkutter unter Führung eines kühnen und sturmerprobten Seemanns, des Landungsoffiziers BRAUER der Woermann-Linie, zur Aufnahme der Verbindung mit dem deutschen Vizekonsul in Mossamedes zu entsenden. Brauer traf auch am 11. September glücklich dort ein.

Trotz der feindseligen Haltung der portugiesischen Behörden und der Intrigen des dortigen englischen Konsuls gelang es Brauer festzustellen, daß bereits Proviantlieferungen nach dem Kunene unterwegs seien. Ferner wurde in Erfahrung gebracht, daß Ende August 1914 1250 Mann weiße Truppen von Lissabon und 800 Askaris von Mocambique nach Mossamedes abgegangen seien, angeblich zur Verstärkung gegen die aufständischen Eingeborenenstämme an der Südgrenze. Angesichts der Bemühungen des englischen Konsuls, die Wiederausfahrt des Kutters zu verhindern, ging Brauer beschleunigt wieder in See und erreichte am 17. September Cape Cross.20 Die schneidige Durchführung dieser gefahrvollen Seefahrt verdient hohe Anerkennung.

Die Nachrichten Brauers von dem Abgang einer Proviantkolonne an den Kunene wurden alsbald durch einen Abgesandten des deutschen Vizekonsuls Georg SCHOSS in Lubango, dem Buren DU PLESSIS, bestätigt.21 Das deutsche Gouvernement beauftragte nunmehr den Bezirksamtmann von Outjo, Dr. SCHULZE-JENA22 an die deutsch-portugiesische Grenze zu reisen, zur Abnahme der Provjantkolonne und zur Aufnahme freundschaftlicher Beziehungen mit den portugiesischen Behörden. Die nachbarlichen Beziehungen zur portugiesischen Kolonie Angola hatte man vor dem Kriege aus dem einfachen Grunde nicht gepflegt, da auf beiden Seiten der Grenze das sehr unruhige und kriegslüsterne Ovamboland lag, dessen Bewohner auf deutschem Gebiet auf 100000 Köpfe geschätzt wurden. Nur an einer einzigen Stelle der 1500 km langen Grenze mit Angola kamen wir mit dem Portugiesen in Berührung, und zwar am Okawangofluß, auf portugiesisch Rio Cubango genannt.

Auf der portugiesischen Seite lag das Fort Cuangar mit einem Oberleutnant als Kommandanten, auf der deutschen Seite die Polizei Station Kuringkuru, deren Führer der Polizeiwachtmeister OSTERMANN war. Im Interesse besserer freundnachbarlicher Beziehungen wäre es wohl richtiger gewesen, auch den deutschen Posten mit einem sprachkundigen Offizier zu besetzen, um dadurch schon rein äußerlich zu zeigen, daß wir auf gutnachbarliche Beziehungen Wert legen. Ein Offiziersposten hätte auch eventuell sich ergebende Grenzzwischenfälle selbst beilegen können, ohne die beiderseitigen Regierungen zu alarmieren.

Für die Zufuhr von Lebensmitteln nach Südwest kamen die beiden Stationen Cuangar und Kuringkuru nicht in Betracht, da sie in einer gottverlassenen und dünnbevölkerten Gegend liegen. Zudem lagen diese Stationen von dem fruchtbaren Hochland von Lubango etwa 800 km weit entfernt. Die bequemste Stelle an der Grenze war also die Eriksonsdrift am Kunene, von wo aus es nur 70 km bis Humbe, dem Sitz eines portugiesischen Administrators waren. Dr. Schulze-Jena traf nun die Vorbereitungen zu seiner Reise an den Kunene und stellte seine Begleitmannschaft zusammen. Diese bestand aus:

Oblt. Lösch,23 Leiter des Vermessungstrupps Nord, Kriegsfreiwilliger Röder als Landeskundiger, Wachtmeister (Josef) Schaaps, von der Polizeistation Outjo, 2 Polizeisergeanten, Braunsdorf und Dolmetscher Carl Jensen, Kriegsfreiwilliger, Gefr. Georg Kimmel24 und Reiter Pahlke vom Feldvermessungstrupp, sowie 4 eingeborene Diener und Treiber der Maultierkarre. Der Dolmetscher Carl Jensen war dänischer Staatsangehöriger und Farmer im Bezirk Outjo. Er war viele Jahre in Südangola bei der Companhia de Mossamedes, einer französischen Gesellschaft, welche die Goldfelder in Cassinga ausbeutete, beschäftigt, hatte im Jahre 1907 unter Rogadas die Kampagne gegen Cuamato mitgemacht, wurde dann Händler im portugiesischen Ovamboland und kam etwa 1910 nach Südwest.

Er sprach gut portugiesisch und noch besser die Ovambosprache und wurde daher von Dr. Schulze-Jena aufgefordert, ihn als Dolmetscher zu begleiten. Als Jensen sich weigerte, versprach ihm Dr. Schulze-Jena eine an Jensens Farm Straußenheim angrenzende Regierungsfarm mit gutem Wasser, die Jensen schon einmal vergeblich beantragt hatte, als Belohnung. Jensen willigte ein, wurde als Kriegsfreiwilliger eingekleidet und vereidigt und ging als Dolmetscher mit auf die Reise. Von dem Kriegsfreiwilligen Röder hieß es, daß er Leutnant a.D., Farmeleve und landeskundig sei.25

Der Abmarsch von Outjo erfolgte am 8. Oktober. Der Weg führte über Okau-kuejo und Onolongo zunächst nach Ukuambi, dem Stammessitz des Häuptlings IPUMBO26 und gleichzeitig Sitz einer finnischen Missionsstation. Ipumbo war ausgesprochen deutschfeindlich und portugiesenfreundlich. Als er von dem Anmarsch der Abteilung Dr. Schulze-Jena hörte, schickte er eine Anzahl schwerbewaffneter Krieger an seine Stammesgrenze, die der deutschen Abteilung das Betreten seiner Gebietes verwehren sollten. Die stattliche Karawane von 9 Weißen und 4 Eingeborenen mit einer achtspännigen Maultierkarre schüchterte aber die Krieger Ipumbos ein und es kam zu keiner Schießerei.

An der Missionsstation angekommen, schickte der Bezirksamtmann die beiden Missionare zu Ipumbo und befahl ihn zu sich. Ipumbo fühlte sich aber in seiner Häuptlingswürde schwer gekränkt und ließ Dr. Schulze-Jena antworten, daß er ihm 15 Minuten Zeit gebe, sein Stammesgebiet wieder zu verlassen, andernfalls er ihn durch seine Krieger gewaltsam dazu zwingen werde. Entrüstet über die freche Sprache eines Negerhäuptlings auf deutschem Gebiet, ließ Dr. Schulze-Jena Vorbereitungen zur Verteidigung der Missionsstation treffen, denn er dachte nicht daran, der Aufforderung Ipumbos Folge zu leisten. (...)

Fußnoten zu Naulila - Erinnerungen eines Zeitgenossen:

17 Auf manchen, meist älteren, Karten ist der Name Naulila nicht zu finden; er ist aber identisch mit den Bezeichnungen „Ehinga" oder auch „Ischinga-Naubila". Oelhafen spricht von einem neuerbauten, daher noch unbekannten portugiesischen Fort. (S. 78)

18 In den folgenden zwei Absätzen zitiert der Autor fast wörtlich oelhafen, S. 76/7 - der aber die alte Schreibweise „Loanda" benutzt.

19 Hayo Brauer war am 28. August in die Dienste des Kommandos der Schutztruppe getreten, um mit dem Motorkutter „Boy Roussel" von Lüderitzbucht aus nicht Swakopmund! - die erwähnte Erkundungsfahrt nach Mossamedes anzutreten. (Jahresbericht der Woermann-Linie 1914/15).

20 Nachdem er von dem britischen Hilfskreuzer „Armandel Castle" gejagt worden war. ebd.

21 Piet du Plessis war ein alter Freund von Mattenklodt, der ihn in seinem Buch „Verlorene Heimat" öfters erwähnt. Er stieß später in Okaukuejo zum Regiment Franke und wurde der 2. Kompanie überwiesen. (Vergl. Mattenklodt, S. 29). Suchier berichtet (S. 27), daß Ende September ein Angola-Bur namens du Plessis in Outjo eintraf und „schriftliche Mitteilungen über den Stand der Dinge" (Provianttransport) brachte. Vergl. hierzu auch Seitz, S. 40.

22 Dr. Hans Schultze-Jena, Oblt. d.R., geb. 12.12.1874, war der Bruder des bekannten Zoologie-Professors und Forschers Dr. Leonard Schultze, Autor des Buches „Aus Namaland und Kalahari" (1907) und Sohn eines „bekannten, hoch angesehenen Universitätsprofessors, Wirkl. Geheimrat und Exzellenz in Jena". Seit Dezember 1906 war er erst Bezirksrichter in Windhoek und Lüderitzbucht, 1907 wurde er Bezirksamtmann in Grootfontein und ab Mai in Outjo. („Südwest", 17.10.1914).

23 Alexander Lösch (geb. 12.11.1885) war „erst kurz im Land und ein allgemein beliebter Offizier". („Südwest", 27.10.1914).

24 Kimmel - fälschlicherweise oft Kümmel genannt - fuhr 1908/9 als Schiffsjunge nach Indien, 1910—13 diente er als Marine-Feldartillerist in Kiautschau und Tsingtau. Auch war er nach dem Kriege bei den Verhandlungen eines Internationalen Schiedsgerichtes zwischen Deutschland und Portugal einer der wichtigsten Zeugen, (aus: „Fränkische Landeszeitung", 16.9.55, die dem Manuskript beigegeben war.) Er starb im November 1962.

25 Kurt Roeder, oft auch Curt Röder geschrieben, war Farmer auf Cauas-Okava (Outjo). Ob er aber Leutnant a.D. war, wie ihn der Autor weiter unten und auch Suchier (S. 27) tituliert, ist zweifelhaft, denn in anderen Veröffentlichungen wird er immer „Farmer Röder" genannt.

Dies ist ein Auszug aus dem Buch: Naulila. Erinnerungen eines Zeitgenossen, von Max Ewald Baericke.

Buchtitel: Naulila. Erinnerungen eines Zeitgenossen
Autor: Max Ewald Baericke
Herausgeber: Gesellschaft für Wissenschaftliche Entwicklung und Museum Swakopmund
Südwestafrika/Namibia, 1981
ISBN 0-620-05512-X
Original-Lederband, 15x23 cm, 118 Seiten, etliche sw-Fotos, 1 Faltkarte

 

Baericke, Max Ewald im Namibiana-Buchangebot

Naulila. Erinnerungen eines Zeitgenossen

Naulila. Erinnerungen eines Zeitgenossen

Max Ewald Baericke war Teilnehmer der Strafexpediton gegen Naulila unter Franke und hat seine Erinnerungen mit hochinteressanten Nachforschungen in einem Manuskript hinterlassen.

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Historische Erinnerungen eines Diamantensuchers an die Zeit von 1908-1914 in Lüderitzbucht, Südwestafrika, stammen aus der Feder von Max Ewald Baericke.

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