Namibia - Namibia, von Renate Klöppel

Namibia - Namibia, von Renate Klöppel. Verlag Ulrich Wellhöfer. Mannheim, 2015. ISBN 9783954281695 / ISBN 978-3-95428-169-5

Namibia - Namibia, von Renate Klöppel. Verlag Ulrich Wellhöfer. Mannheim, 2015. ISBN 9783954281695 / ISBN 978-3-95428-169-5

'Namibia - Namibia' ist der erste Namibia-Roman der erfahrenen Schriftstellerin Renate Klöppel und handelt von der Suche nach eigenen Wurzeln und Gewißheiten in einer unklaren Vergangenheit.

Renate Klöppel  

Im Westen, wo die Vulkankegel des Hegaus dunkel vor dem Himmel standen, war tief über dem Horizont die Wolkendecke aufgerissen. Eine orangefarbene Sonne sendete ihre Strahlen wie ausgestreckte Finger über das Land. Erst spät sah Emilia die Gestalt. Sie trat vom Straßenrand in das Zentrum des Leuchtens und verharrte dort wie ein Schattenriss mit erhobenem Arm und ausgestrecktem Daumen. Emilia fuhr nicht schnell und doch war sie vorbei, ohne das Gesicht gesehen zu haben. Die Begegnung berührte sie und sie schien ihr wie ein verheißungsvolles Zeichen in der Ungewissheit, die ihr Leben in diesen Wochen beherrschte. Nie zuvor hatte sie für einen Anhalter gebremst. Sie drehte um und kehrte zu dem Menschen am Straßenrand zurück. Es war eine Frau, die jetzt vom Straßenrand zurückgetreten war. Sie lehnte am Stamm eines mächtigen Birnbaumes, die Arme über der Brust verschränkt und den Blick auf die Straße gerichtet. Ihr Gesicht, von der Sonne abgewandt, war auch jetzt nicht zu erkennen. Der Ort war ungewöhnlich für eine Anhalterin: Nirgendwo ein Hof, von dem sie gekommen sein mochte, nirgendwo eine Abzweigung, zu der sie ein anderes Auto gebracht haben konnte. Es war eine menschenleere Anhöhe mit dem hellen Grün frisch gemähter Wiesen und ein paar knorrigen Obstbäumen, aber kein Weg führte hier entlang, nur die schmale Straße, auf der Emilia gekommen war. Die Frau schien ohne Gepäck zu sein - keine Tasche, kein Rucksack -, auch hatte sie keinen Schirm, obwohl noch die letzten Tropfen aus den abziehenden Regenwolken fielen. Sie stand in dem roten Licht wie eine glühende Erscheinung, alles an ihr war rot, der lange, weite Rock, das enge T-Shirt, das die Taille freiließ, vor allem aber die Haare, die ihr wie ein roter Wasserfall über die Schultern fielen. Noch einmal wendete Emilia und fuhr der untergehenden Sonne entgegen. Die Frau am Straßenrand trat wieder hinein in das nun schwächer werdende Leuchten und hielt ihren ausgestreckten Arm dem Auto entgegen. Ihr Gesicht blieb auch jetzt im Schatten. Emilia fuhr nicht vorbei, sie hielt an unter demselben Zwang, der sie eben zum Umkehren genötigt hatte. »Ich wusste, dass Sie mich mitnehmen würden«, sagte die Fremde mit einem feinen Lächeln, und sie stieg so selbstverständlich ein, als sei dies Teil eines festgelegten Plans, der sich Emilia irgendwann offenbaren würde. »Ich möchte nach Singen.« »Ja. Ich fahre in diese Richtung.« - Also zunächst nach Singen, warum nicht. Emilias Ziel war diese Stadt nicht gewesen, auch keine andere Stadt, kein anderer Fleck. Als sich die letzten Trauergäste nach Michaels Beerdigung verabschiedet hatten, war sie in den weißen Bungalow hinter den hohen Kirschlorbeerhecken zurückgekehrt, den sie neunzehn Jahre gemeinsam bewohnt hatten. Eine Stunde saß sie tatenlos im Wohnzimmer. Erst das Klingeln des Telefons weckte sie aus ihrer Erstarrung, aber sie nahm das Gespräch nicht an. Sie streifte das schwarze Kleid und die schwarzen Strümpfe ab, dann zog sie sich aus, bis sie nackt vor dem Spiegel im Schlafzimmer stand. Sie betrachtete sich und versuchte, sich in den Blick eines fremden Menschen hineinzuversetzen, versuchte, sich zu sehen, wie andere sie sahen. Es gelang ihr nicht. Das, was sie immer gestört hatte - die breiten Schultern, das Muttermal unter dem rechten Schlüsselbein, die zu muskulösen Beine, die dünnen aschblonden Haare - zogen ihren Blick an, wie sie es immer getan hatten. Sah sie jünger aus, wie ihr Michael immer versichert hatte, oder sah sie aus wie eine Frau, die vor drei Jahren ihren vierzigsten Geburtstag gefeiert hatte? Sie wandte sich vom Spiegel ab, ohne eine Antwort gefunden zu haben. Später setzte sie sich im Jogginganzug ans Fenster und starrte in den Regen, der seit den Mittagsstunden unaufhörlich aus dem konturlosen Himmel rann. [...]

Dies ist ein Auszug aus dem Roman: Namibia - Namibia, von Renate Klöppel.

Titel: Namibia - Namibia
Autorin: Renate Klöppel
Genre: Roman
Verlag: Ulrich Wellhöfer
Mannheim, 2015
ISBN 9783954281695 / ISBN 978-3-95428-169-5
Kartoneinband, 13 x 20 cm, 330 Seiten

Klöppel, Renate im Namibiana-Buchangebot

Namibia - Namibia

Namibia - Namibia

Der Roman 'Namibia - Namibia' beschreibt die Suche einer Namibierin, die die Vergangenheit ihrer Heimat und ihre eigene verstehen möchte, um sich mit ihr zu versöhnen.