Namibia. Gesichter und Geschichten, von Wendula Dahle und Wolfgang Leyerer

Namibia. Gesichter und Geschichten, von Wendula Dahle und Wolfgang Leyerer.

Namibia. Gesichter und Geschichten, von Wendula Dahle und Wolfgang Leyerer.

Leben und Überleben in Windhoek ist ein Kapitel aus dem Buch von Wendula Dahle und Wolfgang Leyerer: Namibia. Gesichter und Geschichten.

Wendula Dahle  Wolfgang Leyerer  

In Windhoeks City begegnen wir Mitgliedern fast aller Bevölkerungsgruppen. Wir treffen sie als Parkwächter, die sich »security guards« nennen, die ihre Arbeit den vielen Dieben verdanken. Straßenmusiker, Bettler mit Permits für ihre »Arbeit«, Zeitungsverkäufer mit Ausweis, die manchmal bewusst nicht wechseln können, Verkäufer von Wassereis auf Fahrrädern, Souvenirhändler, sitzend auf dem Straßenpflaster mit Körben, Schmuck und Skulpturen aus ganz Afrika, vor allem aber aus Zimbabwe, auch Airportart. Dazwischen preisen sie ihre hochbeinigen Giraffen an, mit Schuhwichse auf Hochglanz gebracht, Haarkünstler, Taxifahrer, ungelernte Arbeiter in der Textilfabrik Ramatex, Hausangestellte in Hererotracht, Bauarbeiter in Overalls, Verkäufer von Thüringer Bratwurst mit weißen Kitteln, gut gestylte farbige Frauen an den Kassen der Supermärkte, freundliche Männer, die Tüten und Kartons vollpacken und für etwas Trinkgeld zum Auto tragen. Viele Arbeitssuchende verbringen die frühen Morgenstunden sitzend an wichtigen Kreuzungen: das ist Windhoeks Arbeitsamt. Frühmorgens und gegen Dunkelheit erfolgt der Transport mit Pick-ups, den wenigen Bussen und vielen Taxis von der City zu dem Platz, »wo man nicht bleiben möchte«, nach KATUTURA. Es ist das Armenviertel Windhoeks mit einer ganz eigenen Geschichte. Heute wird dieses Viertel oft wegen des »pulsierenden Lebens« gefeiert; wir dagegen finden ein älteres Gedicht von Hergen Junge (1987) dazu immer noch eher zutreffend. Man fragt sich, was an diesem Text, vor der Unabhängigkeit des Landes geschrieben, noch aktuell ist. Anlässlich der Unabhängigkeitsfeiern tanzten und besangen junge Mädchen sogar die Township »Katutura« mit dem Wortspiel »Matutura«, was so viel wie »der Platz, wo wir bleiben wollen«, heißt. Wir werden das Gedicht erläutern, aktualisieren und ergänzen, wo es uns notwendig erscheint, um diese Frage zu beantworten.

Am 10. Dezember 1959 wurden schwarze Bewohner aus der »Old Location« in ein neues Viertel zwangsumgesiedelt, das seitdem auch offiziell »Katutura« heißt: Herero »Katu« = wir nicht, »tura« = wohnen, ein Platz, wo wir nicht bleiben. Bei den damaligen Protesten starben 13 Menschen. Heute fällt dieses Datum mit dem internationalen Tag der Menschenrechte zusammen und ist ein namibischer Nationalfeiertag. Im Windhoeker Stadtteil Hochlandpark wird auf dem alten Friedhof zum Jahrestag an diesen blutigen Widerstand erinnert. Die Viertel in Katutura trugen bis vor kurzem noch Buchstaben nach den Bevölkerungsgruppen, die damals jeweils nur dort wohnen durften: H = Herero, N = Nama, D = Damara, 0 = (O)Wambo. WA-NA-HE-DA, ein gemischtes Viertel am Rande zu Khomasdal für vier Gruppen, ist immer noch der offizielle Name: "Jedem das Seine".

Obwohl es seit 1978 keine Vorschriften für das getrennte Wohnen mehr gibt, ist die Trennung erhalten geblieben: Die »Schwarzen« wohnen mehrheitlich in Katutura, die wenigen Busse fahren immer noch in die Bezirke nach den trennenden Anfangsbuchstaben, obwohl sie nicht mehr derart »apart« sind; die meisten »Coloureds« wohnen in Khomasdal, doch alle »Farben« mit hohem Einkommen leben seit Langem in dem ehemals nur den Weißen zugedachten Stadtteilen Windhoeks. Am nördlichen und westlichen Rand dieser sorgfältig errichteten Township Katutura haben sich die Squatter niedergelassen, wie viele es sind, weiß man nicht genau. Die Häuser in Katutura sind für sie unerschwinglicher Luxus. Insofern haben diejenigen recht, die darauf verweisen, dass die Armen heute auch in Katutura bleiben möchten: Im Vergleich zu diesen »informal settlements«, wie die Siedlungen aus Müll beschönigend genannt werden, ist Katutura ein »Platz, wo man bleiben möchte«.

Die neue Generation hat sich arrangiert, und aus der ehemals nur als Schlafstatt gedachten Ansiedlung von einförmigen Häuschen ist ein eigenes Viertel geworden: Die rechtwinklig zueinander verlaufenden Straßen sind Spielgelände und Flaniermeilen; vor den Türen stehen quatschende Gruppen, in den kleinen Kneipen (Shebeens) wird Bier ausgeschenkt. Die Supermärkte bieten dasselbe an wie in Windhoeks City; bei den auf Pappkartons angezeigten »Dienstleistungen« dominieren »Berufe« ohne Ausbildung und Gewerbe ohne Investitionen: Frisöre und Autowäscher. Das »State Hospital« steht am Rand dieser Township. Als es erbaut wurde, hatte es mit seinen 2000 Betten einen hohen medizinischen Standard. Es war für die Schwarzen gedacht. Der Standard ist inzwischen so weit gesunken, dass die Besserverdienenden sich auf keinen Fall mehr dort behandeln lassen.

»Suum Cuique«, »Jedem das Seine«, ist ein lateinischer Spruch aus Justinans »Instituten«: Es war der Wahlspruch der Preußenkönige und zynischerweise auch der der Nazis für die Konzentrationslager; ob diejenigen, die ihn für das alte Windhoeker Stadtwappen auswählten, das wussten? Er stand unter der Windhoeker Aloe und hing bis 1990 auf einem Torbogen über einer der Ausfallstraßen nach Katutura. »Jedem das, was er verdient«, könnte man ihn für heute übersetzen. Die meisten Straßen waren 1990 in Katutura noch nicht asphaltiert, das hat sich inzwischen verbessert. Dennoch hängt über diesem Viertel immer noch eine Staubwolke, vor allem bei Wind. In den Häuschen mit den kleinen 3 bis 4 Zimmern wohnen durchschnittlich 8 bis 12 Personen; nur deren gemeinsames Einkommen ermöglicht es, die Miete von etwa 1000 N$ monatlich für ein Haus oder 300 N$ für ein Zimmer aufzubringen. Viele Häuser bleiben abends dunkel, da der Strom wegen rückständiger Zahlungen abgeschaltet wurde.

Da trifft es sich gut, wenn ein Verlängerungskabel vorhanden ist, mit dem man sich den Strom vom Nachbarn »leiht«, dafür kann dieser wiederum bei dem anderen fernsehen, denn seiner wurde gerade geklaut. Schwieriger wird es, den täglichen Anforderungen nachzukommen, wenn als Nächstes das Wasser abgestellt wird. Da wird manches Mal auch ein Rohr illegal angezapft. Das Waschen vor der Haustür und Kochen auf einem Abfallkohlefeuer sind oft notwendig, um den fehlenden Strom zu ersetzen und nicht nur Ausweis eines fröhlichen Nachbarschaftslebens. Abends wird in den Häuschen jeder freie Platz zum Schlafen genutzt, Privatheit gibt es keine. Dafür schläft man in Katutura auch nicht auf der Straße, selbst die »Straßenkinder« liegen bei der Tante oder bei ihrem neuen Freund immerhin auf dem Fußboden in der Küche. »Man geht ein und aus«, ja, »wenn Du hast, musst Du geben«, es muss geteilt werden. Wenn die Viertel auch inzwischen gemischt sind, die Häuser selbst werden nur von Familien und Bekannten einer Sprachgruppe bewohnt.

Abgegebene Kinder von nahen und entfernten Verwandten, damit sie in Windhoek die Schule besuchen können, denn Internate gibt es kaum noch, Verwandte auf Arbeitssuche, Besucher von einer entlegenen Farm. Alle Kinder, die bei einer Pflegemutter oder einem Pflegevater aufgewachsen sind, sehen sich als Geschwister an und erwarten das Geben von Essen, Kleidung und Unterkunft mit dem bekannten »Du musst«. Kinderhüten, Haareflechten, Kapane an der Straßenecke kochen... das sind heute kleinste »Ich-AGs«, wo der geringe Lohn innerhalb Katuturas umverteilt wird.

Die »weit geöffneten Türen« werden immer mehr verriegelt, obwohl es schwierig ist, baufällige Häuser und Wäscheleinen in den Höfen gegen Einbruch und Diebstahl zu sichern, geschweige denn zu versichern. Etwa 15 Häuser werden monatlich wegen der Schulden zwangsgeräumt, werden aber trotz ihrer Baufälligkeit - da hält kaum mehr ein Nagel in der Wand - schnell wieder verkauft, meistens auf Kreditbasis für das nächste Geschäft oder bar an Geschäftsleute für ihre Arbeiter. Es sind die neuen »Singlequarters«. Die ehemaligen Bewohner finden auf einem Hinterhof eine Bleibe oder in einem Zimmer bei jemandem, den sie vorher aufgenommen hatten, oder bauen sich aus dem Müll ihr Quartier weiter außerhalb; der Zuzug im »informal settlement« ist unbegrenzt sowie kostenlos, die Bewohner müssen derzeit auch nicht fürchten, abgeräumt zu werden. Auch bleibt für viele noch immer der Rückzug in ein kommunales Gebiet möglich.

Das selbstgebraute Bier »Tombo« wird in Shebeens, kleinen Kneipen, in großen Bechern verkauft. Ein kleines Geschäft für die Pfiffigen, sicher einträglicher als der Verkauf von einzelnen Orangen oder Toilettenpapierrollen. Der Fremde wird gern zum Tombo eingeladen. Zwischen den Häuschen wird auf der Straße und auf den freien Plätzen viel Fußball gespielt, Mädchen »krempeln« dabei ihre Röcke »ein«. »Der reichlich schnelle Tod«: Die häufigsten Krankheiten sind TB, Malaria, Herzkrankheiten, Bluthochdruck, Diarrhöe, Krebs, Gelbsucht. Sie werden heute öffentlich kaum zur Kenntnis genommen und im öffentlichen Bewusstsein unter »HIV positiv/Aids« subsumiert. Die internationale Aidshilfe finanziert großflächige Stellschilder: »Gib Aids keine Chance«, die Hergen Junge damals noch nicht kannte.

Doch Kondome schützen nicht vor den Armutskrankheiten! Das »Hippo« war der euphemistische Eigenname für ein gepanzertes Polizeifahrzeug. Der »Freeway« ist die vierspurige Straße von der City in das nördliche Industriegebiet, an dessen Rand Katutura liegt. Das dortige Kohlekraftwerk schickt nur noch selten eine Rauchwolke in den strahlend blauen Himmel, da Strom inzwischen hauptsächlich aus der RSA importiert wird. [...]

Dies ist ein Auszug aus dem Buch: Namibia. Gesichter und Geschichten, von Wendula Dahle und Wolfgang Leyerer.

Buchtitel: Namibia. Gesichter und Geschichten
Autoren: Wendula Dahle, Wolfgang Leyerer
Verlag: Aschenbeck & Holstein
Delmenhorst, 2005
ISBN 3-932292-76-7
Kartoneinband, 20x20 cm, 96 Seiten, durchgehend farbige Abbildungen

Dahle, Wendula und Leyerer, Wolfgang im Namibiana-Buchangebot

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