Namibia: Die Wüste des Lebens, von Olivier Grunewald und Bernadette Gilbertas.

Namibia: Die Wüste des Lebens, von Olivier Grunewald und Bernadette Gilbertas.

Namibia: Die Wüste des Lebens, von Olivier Grunewald und Bernadette Gilbertas.

Bernadette Gilbertas und Olivier Grunewald sind monatelang kreuz und quer durch die weiten Landschaften gereist und haben sich vom magischen Licht von Namibia inspirieren lassen. Mit Geduld und Ausdauer haben sie sich mit den eindrucksvollen Strategien auseinandergesetzt, die Flora und Fauna entwickeln mussten, um in der heißen Sand- und Steinwelt bestehen zu können – nicht nur in der Namib-Wüste, sondern auch an der Skelettküste und im Etoscha-Nationalpark, einer Salzpfanne, die zu den schönsten und wildsichersten Naturschutzgebieten Afrikas gehört.

Der Morgentau erweckt das Leben und verleiht den steinigen Ebenen der Wüste Fülle und Farbe. Das sandige Bett und der Staub des Kuiseb verschwinden unter dem Laubwerk der imposanten Akazien und der unter dem Gewicht ihrer prall mit Samen gefüllten Schoten sich biegenden Gelbsträucher oder Bohnenbäume. In den Ästen singt, zwitschert, gackert, tschilpt und trällert es, und man vernimmt das Rauschen und Rascheln von Flügeln. Ein Schakal, der im Schatten einer Tamariske gekauert hat, ergreift die Flucht, flitzt über die Düne und entkommt. Hier hört die Welt des Sandes auf. Die Dünen enden in dem mäandrierenden Galeriewald und sind durch diese Oase von der dahinter beginnenden Geröll-Namib getrennt. Das Flussbett bleibt fast das ganze Jahr hindurch trocken, aber es bildet eine zuverlässige Barriere gegen den Sand; zudem bremsen Bäume den Wind und halten den Sand ab. Wenn im Hochland, in der Region um Windhoek, wo der Kuiseb seinen Ursprung hat, kräftige Regenfälle niedergehen, füllt sich der Fluss teils bis hinauf in die Wüste. Dann unterspült das schlammige, mit Asten und anderem Totholz angefüllte Wasser die Dünen. Am anderen Ufer breitet sich eine ungeheuer nackte und monochrome, von der Hitze geblichene Fläche aus - die Wüste der Wüsten.

Über der unendlichen Geröll- und Schotterebene frischt der Wind wieder auf und nimmt Staub und Kleinstrückstände mit, um allein das geleckte Pflaster größerer Steine zurückzulassen. Der Boden ist bedeckt mit Schieferscheiben, glatt polierten Kieseln aus Vulkangestein, in der Sonne glitzernden Quarzblöcken. Charakteristisch für dieses Wüstenmilieu ist der weiche Glanz, der sich über das mit Morgentau bedeckte Gestein legt. Die Feuchtigkeit zieht tief ein, löst weichere Mineralien und tritt wieder an die Oberfläche. Bevor das Wasser verdunstet, legt es sich als eisenhaltiger, tief brauner Schutzfilm um den Stein.

Die Luft flimmert vor Hitze, und am Horizont taucht eine Fata Morgana auf. Aus fernen und Ungewissen Trugbildern erheben sich die felsigen Inselberge. Diese gigantischen Dome aus Granit, welcher das feste Gerüst der Geröll-Namib ausmacht, konnten sich herausbilden, weil das weichere Gestein im Umfeld erodierte. Die Silhouetten von Vogelfederberg, Mirabib oder Blutkoppe erscheinen wie Wachposten in der Wüste. Sie sind so hoch, dass sich hier der nächtliche Nebel fängt. In den zerklüfteten Felsen hat sich eine besondere Pflanzenart angesiedelt. Das Biotop der Euphorbien, die zur Gattung der Wolfsmilchgewächse zählen, profitiert von dem gleich bleibenden, etwas feuchteren Mikroklima im schattigen Gewirr der Felsblöcke.

Sandstürme, seltene Gewitterschauer und die starke Hitze haben dem körnigen Felsgestein allerdings schon merklich zugesetzt. Der stetige Wind, der mit den scharfkantigen Sandkörnern aus der Ebene „bewaffnet“ ist, nimmt die Ungetüme aus Granit auf seine Weise unter Beschuss. Das Gestein wird immer brüchiger. Sobald sich ein winziges Quartzkorn aus dem Verbund mit den anderen losgerissen hat, beginnt es im Wind um sich selbst zu rotieren, bis sich ein zunächst winziges Loch im Laufe der Zeit zu einer Nische oder Höhle - in Namibia taffonis — vergrößert hat. Die abendliche Dämmerung taucht diese riesigen Mäuler in ein geheimnisvolles Licht und verwandelt die Felsen in Grimassen schneidende Masken.

An der steilen Uferböschung eines Riviers, der sich durch die Tuma-Ebene schlängelt, lassen sich bei Ganab Schwärme von Spießflughühnern nieder. Diese Reb- oder Haselhühner, von denen viele männlich sind, kommen, um ihr ockerfarbenes Gefieder in den spärlichen Pfützen zu benetzen. Ihr Federkleid nimmt 20 bis 40 Kubikzentimeter Wasser auf, das zu den bis zu 60 Kilometer entfernten Nestern geflogen wird, um die Brut zu tränken. Eine Erdhörnchen-Familie erscheint schüchtern auf der Szene. Die Tiere benutzen ihren buschigen Schwanz als Sonnenschirm und halten ihn zum Schutz gegen die letzten Sonnenstrahlen des Tages über dem Rücken.

Der Morgentau erweckt das Leben und verleiht den steinigen Ebenen der Wüste Fülle und Farbe. Ein kleiner schwarzer Käfer, ein Cauricara phalangium, der sich gut den Bedingungen der Steinwüste Namibias angepasst hat, kommt von seinem „Hochsitz“ heruntergekrabbelt. Er hat auf einem Stein, der unmerklich höher ist als die anderen, die heißesten Stunden des Tages verbracht. Dort versucht er, auf seine endlos langen Beine gestellt, den immer höheren Temperaturen am Boden zu entkommen und in einem Luftzug, den wohl nur er allein verspürt, ein wenig abzukühlen.

Die Luft verströmt den schweren Duft der letzten Blüten und Gräser, die seit einigen Wochen die Schotterebene bedecken. Ein seltenes Phänomen, was allein den außergewöhnlichen Regenfällen zu verdanken ist: Die trockenen und im Boden verborgenen Samen haben in dem frischen Nass gekeimt. Das ist eine Möglichkeit, sich der extremen Aridität anzupassen. Der Stoffwechsel der Gräser kann über Jahre im Schlafzustand überdauern, bis ein „ausgiebiger“ Schauer mit mindestens 20 Millimeter Regen ihn wieder zu Leben erweckt.

Die Entwicklung verläuft zügig: Keimung, Wachstum, Blüte und Vermehrung erfolgen gewissermaßen im Wettkampf gegen die Zeit, müssen abgeschlossen sein, wenn der Boden erneut austrocknet. Bis dahin aber wird die Wüste zur Prärie, zu einem Garten, in dem kleine Nager, Vögel, Springböcke, Antilopen und Bergzebras zum üppigen Festschmaus mit Gräsern und Wasser geladen sind.

Trotz der seltenen Niederschläge und der recht mageren Bodenqualität existiert hier eine erstaunliche Vegetationsvielfalt. Die Wüstenpflanzen haben alle ein spezielles Verfahren entwickelt, Wasser zu speichern und möglichst wenig Feuchtigkeit abzugeben. Die Flechte hat es beispielsweise gelernt, mit und von der Feuchtigkeit zu leben, die sie während der wenigen Nebelstunden aufnehmen kann. Sie bedeckt vor allem die dem von der Küste aufziehenden Nebel zugewandten Seiten der Steine, kann sich aber auch auf dem Boden ansiedeln. Ihr Gewebe ist flüssigkeitsdurchlässig - es nimmt Wasser leicht auf und gibt es ebenso mühelos wieder ab.

Und die Pflanze hat es gelernt, mit Wenigem auszukommen. Flechten sind Gewächse der Geröll- und Schotter-Namib. Sie bleiben auf den Einflussbereich des Küstennebels beschränkt und sind ausschließlich während der Phase, in der der Nebel kondensiert und sich als Tau am Boden niederlässt - vom Ende der Nacht bis in die Morgenstunden -, aktiv. Dann absorbieren sie die Feuchtigkeit und beginnen zu atmen. Die Photosynthese beginnt mit dem ersten Morgenlicht und kann so lange erfolgen, bis die Lufttemperatur so weit angestiegen ist, dass diese merkwürdige Pflanze das Wasser nur noch verdunstet.

Bestimmte Flechten-Arten trocknen völlig aus und überleben diesen Zustand monatelang. Sie dulden eine Erwärmung des Bodens bis auf 85 Grad Celsius, aber durchaus auch Nachttemperaturen unter dem Gefrierpunkt. Die in der Namib heimische Spezie vagabundiert im Nebelstreifen umher. In Ermangelung einer dauerhaften Bindung an einen Stein oder den Boden gleicht sie einer Ansammlung zusammengewehter abgestorbener Zweige, die wie ein dicker Teppich in einer vorübergehend schillernden Bodenfurche liegen geblieben sind.

In weniger als 20 Minuten nach dem Einsetzen des frühmorgendlichen Nebels beginnt sich ihr Thallus, wie man den „Körper“ einer Flechte nennt, zu entfalten und mit Feuchtigkeit und Licht voll zu saugen, um sich später am Tag wieder in einen kleinen Haufen von „Abgestorbenem“ zu verwandeln. Die unfruchtbar anmutenden Böden der Zentral-Namib sind mit einer gipsartigen Schicht bedeckt, die unter dem Morgennebel wie ein aschgrauer Flaum zu stauben beginnt. Erst das Aufleben der Flechten bringt ein wenig Farbe in die Wüste. Das Leben unter dem Gestein ist hartnäckig um Fortbestehen und Entwicklung bemüht: Die „Fensteralge“ wächst am Fuße glühend heißer Quartzsteine. Sie lebt dort im Windschatten, ist aber auch vor den schlimmsten Temperaturextremen geschützt. […]

Dies ist ein Auszug aus dem Buch: Namibia: Die Wüste des Lebens, von Olivier Grunewald und Bernadette Gilbertas.

Buchtitel: Namibia. Die Wüste des Lebens
Autoren: Olivier Grunewald; Bernadette Gilbertas
Delius Klasing Verlag
Bielefeld, 2004
ISBN-10: 376881579X
ISBN-13: 9783768815796
Kartoneinband mit Schutzumschlag, 25x33 cm 192 Seiten, 179 Farbfotos, 1 Karte

Grunewald, Oliver und Gilbertas, Bernadette im Namibiana-Buchangebot

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