Meine Geschichte - Deine Geschichte - Unsere Geschichte. Ein Geschichtsprojekt in Namibia, von Gisela Fasse.

Meine Geschichte - Deine Geschichte - Unsere Geschichte. Ein Geschichtsprojekt in Namibia, von Gisela Fasse.

Meine Geschichte - Deine Geschichte - Unsere Geschichte. Ein Geschichtsprojekt in Namibia, von Gisela Fasse.

„Ich habe gespürt, dass ich ein Teil der Geschichte bin!“, sagte einer der Teilnehmer der Projektgruppe selbstbewusst. Die Jugendlichen hatten an der Gedenkveranstaltung in Ohamakari teilgenommen, einem Ort, an dem die grausame, vernichtende Schlacht zwischen der deutschen Schutztruppe und den Herero im Jahr 1904 stattgefunden hatte.

100 Jahre später kamen hochrangige namibische und deutsche Politiker und Politikerinnen hier zusammen und legten das Fundament für eine Politik der Versöhnung und des Dialogs. Aber auch namibische Jugendliche verschiedener sprachlicher und kultureller Herkunft trugen aktiv dazu bei, indem sie an dieser Stelle ihre sehr durchdachten und mit viel Überzeugung vorgetragenen Botschaften für eine friedliche Zukunft präsentierten. Wie war es dazu gekommen, dass Schüler und Schülerinnen einer siebten und achten Klasse das Interesse und die Aufgabe hatten, an dieser Veranstaltung teilzunehmen? Die vorliegende Publikation mit ihren Bildern und Texten illustriert, wie die Jugendlichen ihren Zugang zur Geschichte fanden und erweiterten. Die Schüler und Schülerinnen zeigten sehr großes Interesse an ihrer namibischen Geschichte. Diese Geschichte war zu wenig in den Lehrbüchern und im Geschichtsunterricht der DHPS präsent, dagegen aber in der eigenen Lebenswelt, in lebendigen Traditionen, in mündlicher und schriftlicher Überlieferung der Familie zu entdecken.

Daraus ergaben sich für mich als Geschichtslehrerin die folgenden Vorüberlegungen für ein einjähriges Projekt. Das Projekt sollte die Multikulturalität einbeziehen und thematisieren. In der DHPS (der Deutschen Höheren Privatschule Windhoek), gegründet schon zu Zeiten des Kolonialismus, lernen und arbeiten heute Schüler und Schülerinnen aller namibischen Bevölkerungsgruppen zusammen - allerdings sind die Mehrheitsverhältnisse in der Schule gegenüber denen in der Gesellschaft umgekehrt: die deutschsprachigen weißen Jugendlichen sind in der Mehrheit, jeweils drei deutschsprachige und nur eine englischsprachige Klasse werden in einem Jahrgang unterrichtet.

Hinter der Bezeichnung „englischsprachig“ steht darüber hinaus aber keine homogene Gruppe. Die Schüler und Schülerinnen sind ursprünglich afrikaans-, otjiherero-, oshiwambo-, nama-damara-sprachig - kooperativ bilden diese Schüler und Schülerinnen eine wirkliche multikulturelle Gemeinschaft. In der Projektarbeit der Arbeitsgemeinschaft war für die Jugendlichen zunächst der Raum geschaffen, sich mit ihrer jeweils eigenen Tradition und Kultur zu beschäftigen und deren Bedeutung zu erfahren. Weitere Vorüberlegungen gingen davon aus, dass die konkrete Auseinandersetzung mit der Geschichte ein Bewusstsein von der eigenen Bedeutung im Prozess der Geschichte fördert und damit das Interesse an der Vergangenheit und den politischen Ereignissen der Gegenwart stärkt.

Ein wesentliches Ergebnis sollte dann das Interesse an der Geschichte „der anderen“ sein, das zu Gesprächen und zu Situationen der Begegnung führen würde. Besuche im Museum der Stadt Windhoek führten den Jugendlichen vor Augen, dass ihnen vertraute Gegenstände wie Körbe, Tontöpfe und traditionelle Spiele Zeugnisse ihrer Kultur sind, die ausstellenswert sind. Im Nationalarchiv sahen sie Fotografien, Karten und Schriftstücke, deren Inhalt und Aussage ihnen Anregungen für weitere Fragen, Forschungen und Gestaltungen gab.

So konstruierte Toteya mit Gras, Wollfäden und Pappe verschiedene Behausungen, die die Unterschiede in der Bauweise bei Buschleuten, Ovambo und Europäern aufzeigte (s. Foto S. 23); Emily zeichnete ein Bild, das den Weg ihrer Mutter ins Exil illustriert (s. S. 31); andere Kinder brachten Fotos und Dokumente ihrer Familie mit zur Schule und stellten sie der Gruppe vor. Bereits an dieser Stelle wurde erkennbar, wie bedeutsam solche Erfahrungen für die Erweiterung eines eigenen Geschichtsbewusstseins waren.

Vorwort von Klaus Hess:

Auch gut 15 Jahre nach der Unabhängigkeit Namibias 1990 sind die Abgrenzungen in der Bevölkerung des Landes durch die rassistischen Trennungen der Apartheid unter südafrikanischer Herrschaft nicht völlig beseitigt. Das Wissen über „die Anderen“ ist oft noch geprägt durch alte, weitergetragene Bilder, Klischees, Vorurteile. So erfüllen Institutionen wie die Deutsche Höhere Privatschule (DHPS), als beste Schule des Landes anerkannt, heute eine wichtige Aufgabe der Integration der nachwachsenden jungen Generationen mit Blick auf die Zukunft. Wer das Land und seine jüngere Geschichte kennt und intensiv verfolgt hat, ist dennoch häufig erstaunt, wie relativ „fern“ sich noch immer viele Angehörige der verschiedenen Sprach- und Kulturgruppen sind, trotz aller Nähe bis hin zur gemeinsamen Schulbank in einer zahlenmäßig sehr überschaubaren Bevölkerung.

Daher sind alle Projekte und Initiativen, die zu einer Annäherung, einem besseren gegenseitigen Kennenlernen und gegenseitigen Verstehen führen, sehr zu begrüßen. Das jedenfalls ist meine Überzeugung. Und deshalb habe ich mich entschlossen, diese Publikation über ein Geschichtsprojekt herauszubringen, das die seinerzeitige Leiterin des „Englischsprachigen Zweiges“ an der DHPS, Gisela Fasse, 2004 durchgeführt hatte. Denn das gegenseitige Erzählen und Darstellen der eigenen (Familien-)Geschichte, des eigenen Verständnisses und Hintergrundes seines „Daseins“ in diesem Land und die gemeinsame Reflektion war mindestens für die Beteiligten ein großer Gewinn. Daran auch weitere Kreise teilhaben zu lassen erscheint mir wichtig. [...]

Dies ist ein Auszug aus dem Buch: Meine Geschichte - Deine Geschichte - Unsere Geschichte. Ein Geschichtsprojekt in Namibia, von Gisela Fasse.

Buchtitel: Meine Geschichte - Deine Geschichte - Unsere Geschichte
Untertitel: Ein Geschichtsprojekt in Namibia
Herausgeberin: Gisela Fasse
Klaus Hess Verlag
Göttingen, Windhoek, Namibia 2006
ISBN 978-3-933117-34-2
Broschur, 21x30 cm, 64 Seiten, 16 Farb-, 13 sw-Abbildungen, Text: Deutsch; Englisch

Fasse, Gisela im Namibiana-Buchangebot

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Ein schulisches DHPS-Projekt über die Wahrnehmung eigener Geschichte und die Geschichte der Anderen.

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