Lila Elefant, von Ilona R. Mayer

Lila Elefant, von Ilona R. Mayer.

Lila Elefant, von Ilona R. Mayer.

„Lass mich los!", schreie ich, und versuche mit aller Kraft der Umklammerung zu entkommen. Ich schlage zu, immer wieder. Es tut weh, doch ich höre nicht auf. Dann endlich, die fremden Finger lösen sich von meinen Oberarmen... in ihrem Buch 'Lila Elefant' beschreibt Ilona R. Mayer die Reise einer Jugendlichen nach Südafrika.

Laufend, immer schneller werdend, ohne Luft zu holen und ohne mich umzuschauen, renne ich zu diesem Eisentor, doch ich kann es nicht erreichen. Der Abstand zur befreienden Tür wächst, auch meine Angst. Ich sehe lange Furcht einflößende Gesichter, laufe schneller und versuche zu schreien. Es geht nicht. Mein Körper fällt auf einen kalten Steinboden, ich gebe auf. „Jessica, aufwachen, wir sind da!" Als ich meine Augen öffne, sehe ich das Gesicht meiner Mutter. Ihre Augenringe sagen mir, dass sie in dieser Nacht kaum geschlafen hat. Mit der linken Hand schiebt sie eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht und lässt die Hand noch eine Weile an ihrer Schläfe verweilen, als würde sie nachdenken. Müde und abgespannt ist sie zwischen den Armlehnen ihres Sitzes zusammengerutscht, dann schließt sie für einen Moment ihre Augen, ehe sie die Stöpsel der Kopfhörer aus ihren Ohren zieht. Während das Flugzeug sanft die afrikanische Erde berührt, ertönt sie wieder, diese unverständliche Lautsprechers timme. Trotz meiner dreieinhalb Jahre Englischunterricht kann ich den Kapitän der Boeing nicht verstehen. Ich suche mein Wörterbuch, dann den Begriff „recreative". Nun weiß ich, dass uns der Pilot einen erholsamen Urlaub wünscht. Für weitere Übersetzungen habe ich keine Lust. Nachdem die Lautsprecher keinen Ton mehr von sich geben, lösen sich die Gurte der Reisenden, die anschließend versuchen, sich aufzurichten. Einige verharren in Schräglage zwischen der Lehne des Vordermannes und dem eigenen Sitz. Etwa 450 Urlauber, die meisten mit weißer Hautfarbe, schieben sich durch den Rumpf des Eisenvogels. Ich habe keinen Bock auf die stehende Warterei und sinke zurück auf meinen Platz. Der Geräuschpegel steigt und der Lärm verteilt sich gleichmäßig über die Sitzreihen. Eine Stimme lässt mich zusammenzucken:

„Hast du alles eingepackt?" Sie behandelt mich wie einen ABC-Schützen. Wo, glaubt sie, habe ich die Gegenstände, die nicht mehr auf meinem Sitz liegen? Ich würde sie gern fragen, warum ich meinen Rucksack mit mir herumschleppe, habe aber keine Lust. „Hörst du mir überhaupt zu?" Jetzt das wieder. Ihre sich wiederholenden Fragen bohren sich in meinen Kopf und produzieren schlechte Laune. „Hast du das Geschenk für Onkel Werner griffbereit? Redest du nicht mit mir? Was ist denn los?" Ich denke an meinen Vater, der jeden Tag spät aus dem Büro kommt. Von Zeit zu Zeit reagiert er auf ihre nervenden Fragen, indem er die Jacke vom Haken nimmt, und in Billis' Eckkneipe am Ende der Straße flüchtet. „Bist du nicht in der Lage, wenigstens ein Ja oder ein Nein zu formulieren?"

"Ja", entschlüpft es fast unhörbar meinen Lippen. Dann greife ich nach meinem Rucksack und der Jacke und reihe mich ein, in die zähfließende Menschengruppe, die sich noch immer im Schneckentempo zum Ausgang bewegt. Während wir uns Zentimeter um Zentimeter vorwärts bewegen, ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche und schalte es ein. Der Empfänger findet das örtliche Funknetz schnell. Ich entdecke drei Kurzmitteilungen von Steve auf dem Display: „Guten Morgen Jessi, konntest du im Flugzeug schlafen?" - „Wie ist es in Afrika? Hier schneit es wie verrückt." - „Seid ihr immer noch nicht gelandet?" Während ich seine Fragen beantworte, verdrehe ich mir den Kopf, um etwas von dem Land, in dem die Elefanten zu Hause sind, zu entdecken, was mir jedoch durch diese winzigen Fenster nicht gelingt.

Der Gang ist sehr schmal, trotzdem versucht sich eine Frau an mir vorbei zu schieben. Ich spüre ihre Riesenbrüste im Rücken. Schweiß und süßes Parfüm erzeugen Brechreiz, als ich den Ausgang erreiche, bin ich erleichtert. Die Stewardess verabschiedet sich englisch, dann weht mir warmer Wind ins Gesicht. Die Sonne brennt. Hastig steige ich die Gangway hinab und laufe zu dem Schatten spendenden Gebäude. Die Klimaanlage tut gut. Im Rucksack suche ich nach dem Fotoapparat, meine Hände arbeiten sich zum wiederholten Mal durch das Innenleben, bis sie die Olympia umschließen. Durch den Sucher der Kamera beobachte ich meine zum Aussteigen ansetzende Mutter. [...]

Dies ist ein Auszug aus dem Buch: Lila Elefant, von Ilona R. Mayer.

Buchtitel: Lila Elefant
Autorin: Ilona R. Mayer
Verlag: Engelsdorfer Verlag
Leipzig, 2009
ISBN 9783869014098 / ISBN 978-3-86901-409-8
Klappenbroschur, 12x19 cm, 147 Seiten

Mayer, Ilona R. im Namibiana-Buchangebot

Lila Elefant

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Lila Elefant: Es ist nicht einfach, mit 15 Jahren die Welt zu verstehen. Was erwarte ich von der Reise nach Südafrika?

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