Kolonialschuld und Entschädigung. Der deutsche Völkermord an den Herero (1904-1907), von Janntje Böhlke-Itzen

Als Schlußfolgerung ihrer geschichtlichen Deutung des Herero-Deutschen-Krieges, argumentiert die Autorin Janntje Böhlke-Itzen, die deutsche Kolonialverwaltung und die militärischen Organe hätten Völkermord an den Herero begangen und vermittelt ihre Sicht der Zusammenhänge zwischen Kolonialschuld und finanzieller Entschädigung.

Janntje Böhlke-Itzen  

1. Die Hereroklage

Die Herero hatten erst nach der Unabhängigkeit Namibias die Möglichkeit, öffentlich finanzielle Wiedergutmachung von Deutschland zu fordern. Dies taten sie anlässlich der Staatsbesuche von Bundeskanzler Kohl im Jahre 1995 und Bundespräsident Herzog im Jahre 1998, allerdings ohne Erfolg3. Die Ablehnung der Bundesregierung hing mit der Weigerung der namibischen Regierung zusammen, die Forderungen der Herero auf separate finanzielle Leistungen zu unterstützen. Beide Regierungen bevorzugten den Weg der Entwicklungshilfe für das ganze namibische Volk und verschafften ihr in der Tat einen bevorzugten Platz im Volumen der deutschen Entwicklungsleistungen. Am 19. September 2001 erhob jedoch die Herero People's Reparations Corporation unter Führung von Paramount Chief Riruako sowie 199 Herero vor einem Distrikt-Gericht in den USA Klage auf Zahlung von Entschädigung gegen einige deutsche Unternehmen, die in Deutsch-Südwestafrika tätig gewesen waren. Später wurde die Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reichs erweitert. Bei den beklagten Unternehmen handelt es sich um die Deutsche Bank, die gemeinsam mit der später von ihr übernommenen Diskonto-Gesellschaft faktisch alle Finanz- und Bankoperationen in Deutsch-Südwestafrika von 1890 bis 1915 kontrollierte, um die Terex als Nachfolgerin von Orenstein-Koppel Co., die die Eisenbahn- und Bergbauaktivitäten im gleichen Zeitraum kontrollierte, sowie die Deutsche Afrika Linie als Nachfolgerin der Woermann Linie, die den Schiffsverkehr von und nach Deutsch-Südwestafrika beherrschte. Gemeinsam mit dem Deutschen Reich werden sie für zahlreiche Grausamkeiten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich gemacht, die schließlich in den Genozid an den Herero gemündet seien. Im Einzelnen handelt es sich um fünf konkrete Anschuldigungen:

a) Anzettelung und Durchführung eines Rassenkrieges gegen die Herero,
b) Anzettelung und Durchführung einer impliziten und expliziten Kampagne des Genozids, der Auslöschung und Ausmerzung der Herero,
c) Brutalisierung und Versklavung der Herero und systematische Anwendung von Zwangsarbeit,
d) systematische Zwangserniedrigung von Hererofrauen als Gefangene und
e) systematische Zerstörung der Hererokultur.

Ohne eine nähere rechtliche Qualifizierung vorzunehmen, werden alle Vorwürfe als schwere völkerrechtliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet und wird eine Gesamtsumme von zwei Milliarden US-Dollar eingeklagt. Am 30. Juni 2003 ist die Richterin am Bezirksgericht des Distrikts Columbia dem Antrag der Woermann Linie gefolgt und hat sich mangels Anknüpfungspunktes für unzuständig erklärt, ohne weiter auf die materiellen Gründe einzugehen: »Alle vermeintlichen Handlungen der Beklagten trugen sich in Afrika zu und keine der vermeintlichen Vergehen stammen aus dem Bezirk.« Daraufhin haben die Kläger einige Herero mit US-amerikanischer Staatsangehörigkeit in ihre Reihen aufgenommen, um den Bezug zu den USA herstellen zu können, und bei einem New Yorker Gericht erneut eine Klage mit demselben Inhalt eingereicht. Die z. T. detaillierten Schilderungen der deutschen Kolonialverbrechen in der Zeit von 1890 bis 1915 in der Klageschrift, die in der Schlacht am Waterberg 1904 kulminierten, sind heute wissenschaftlich soweit belegt, dass sie nicht das Hauptproblem der gerichtlichen Prüfung darstellen werden. Schwieriger wird es sein, die Beteiligung der Firmen an den Handlungen und ihre Verantwortlichkeit für die Verbrechen nachzuweisen. Die Hauptschwierigkeiten liegen jedoch in den Fragen der Zuständigkeit des Gerichtes, der Immunität eines Staates als Beklagter und der Verjährung. (...)

Dies ist ein Auszug aus dem Buch: Kolonialschuld und Entschädigung. Der deutsche Völkermord an den Herero (1904-1907), von Janntje Böhlke-Itzen.

Buchtitel: Kolonialschuld und Entschädigung
Untertitel: Der deutsche Völkermord an den Herero (1904-1907)
Autorin: Janntje Böhlke-Itzen
Reihe: Perspektiven Südliches Afrika 2
Verlag: Brandes & Apsel
Frankfurt, 2004
ISBN 9783860997956 / ISBN 978-3-86099-795-6
Broschur, 15x21 cm, 144 Seiten

Böhlke-Itzen, Janntje im Namibiana-Buchangebot

Kolonialschuld und Entschädigung. Der deutsche Völkermord an den Herero (1904-1907)

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