Kirchliches Handeln oder politische Aktion? Modell Südwestafrika, von Siegfried Groth

Kirchliches Handeln oder politische Aktion? Modell Südwestafrika, von Siegfried Groth.

Kirchliches Handeln oder politische Aktion? Modell Südwestafrika, von Siegfried Groth.

Die besondere Situation und die damaligen Entwicklungen von 1972 der Deutsche Evangelisch-Lutherischen Kirche in Südwestafrika DELK ist Gegenstand dieses Auszuges aus der Schrift Kirchliches Handeln oder politische Aktion? Modell Südwestafrika, von Siegfried Groth.

Siegfried Groth  

In diese Dokumentation wurden zahlreiche Dokumente aus dem Bereich der Deutsche Evangelisch-Lutherischen Kirche in Südwestafrika DELK aufgenommen, weil die Vorgänge in dieser Kirche zum Verständnis der Situation in Südwestafrika von großer Bedeutung sind. Die deutsche Kirche sieht sich durch die Stellungnahmen der ELK und ELOK in besonderer Weise herausgefordert. Das hängt einmal damit zusammen, daß die drei lutherischen Kirchen in Südwest bereits eine längere gemeinsame Geschichte haben. Gerade in den letzten Jahren war man bemüht, „eine größere lutherische Einheit zu schaffen", wie der Leiter der Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in Südwestafrika DELK, Landespropst O. Milk, in einem Hirtenbrief vom 23. 8. 71 betonte (s. S. 17). Dieses Bemühen um die Einheit der lutherischen Kirchen in Südwestafrika führte zu einer kritischen Entwicklung in der DELK, weil es in der Situation Südwestafrikas bei den Einheitsbestrebungen nicht nur um einen innerkirchlichen Vorgang geht, sondern politische Fragen einbezogen sind. Wenn schon die Stellungnahmen der afrikanischen Schwesterkirchen vom Juli des vergangenen Jahres die Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in Südwestafrika DELK in eine schwierige Lage brachten, eben wegen des politischen Aspektes, so hat die Frage des Anschlusses der DELK an die VELK Südwestafrika die deutsche Kirche in eine erhebliche Krise geführt.

Nach der Publikation der beiden Briefe am 18. Juli 1971 reagierte die Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in Südwestafrika DELK nicht nur als erste Kirche in Südwest, sondern ihre Reaktion war ausgesprochen negativ. Sie distanzierte sich in einer öffentlichen Stellungnahme von den beiden Schwesterkirchen. Sie sah in den Briefen der ELK und ELOK eine politische Aktion. In der ersten Dokumentation sind die Vorgänge im Zusammenhang mit der Distanzierungserklärung vom 23. 7. 71 dargestellt (S. 21 f). Vertreter der DELK empfinden die Ausführungen über ihre Kirche in der ersten Dokumentation als zu einseitig und negativ und verweisen auf die weitere Entwicklung in ihrer Kirche. Bevor darauf näher eingegangen wird, ist es notwendig, etwas zum Verständnis der einmaligen Situation der DELK zu sagen.

Landespropst Milk stellte fest, daß „Südwestafrika durch seine besondere Geschichte als deutsche Kolonie und dann als Mandatsland einen Sonderfall darstellt" (Brückenschlag, Berichte aus den Arbeitsgebieten des Kirchlichen Außenamtes der Ev. Kirche in Deutschland, Band III, Afrika, S. 74). Von daher gilt es, die Lage und die gegenwärtige Geschichte der Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in Südwestafrika DELK zu sehen und zu beurteilen. Sie wurde 1960 gegründet und bildet mit 13 500 Gliedern eine Minderheitskirche im Vergleich zu den beiden lutherischen Schwesterkirchen, der ELK und der ELOK, die über etwa 300 000 Glieder zählen. Die Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in Südwestafrika DELK schloß sich 1964 mit den drei deutschsprachigen Kirchen Südafrikas zur Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche im Südlichen Afrika (VELKSA) zusammen. Diese Gründung ist „aus sprachlichen und allgemein kulturellen Erwägungen" zu erklären. „Das konstitutive Element bei der Gründung dieser Vereinigten Kirche war zum Teil die gemeinsame deutsche Sprache, aber dann war doch wohl darüber hinaus ausschlaggebend die Kulturgemeinschaft mit Europa und nicht mit Afrika" (G. Pakendorf, Brückenschlag, S. 230). Beachtenswert ist, daß im Bereich der deutschsprachigen Kirchen Süd- und Südwestafrikas der kulturelle Aspekt, die Verbundenheit mit Europa so stark herausgestellt wird.

Aus den Dokumenten geht hervor, daß die deutschen Südwester die Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in Südwestafrika DELK weithin als „Hort des Deutschtums" verstehen (s. S. 23). Die Traditionen des Südwester Deutschtums, bestimmt von der deutschen Kolonialzeit, einem deutschen Nationalismus Südwester Prägung und der besonderen Lage in Südwestafrika führten zu einer positiven Haltung gegenüber der Apartheid. Die Frage nach der unbewältigten Vergangenheit, die in Verbindung mit der Interpretation des deutschen Kolonialismus und der Geschichte des Dritten Reiches zu stellen ist, muß zur Beurteilung der Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in Südwestafrika DELK herangezogen werden. Deutsche im Ausland, auch deutsche Südwester, sind geneigt, die deutsche Vergangenheit, insbesondere das koloniale Zeitalter, aber auch die Geschichte des Hitlerreiches zu idealisieren. In den heftigen Kontroversen der jüngsten Zeit im Bereich der Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in Südwestafrika DELK hat das Geschichtsverständnis des deutschen Südwesters ein® nicht unwesentliche Rolle gespielt.

Dr. W. B. de Villiers vom Christlichen Institut in Johannesburg macht in einem Bericht über „den gegenwärtigen Zustand der Kirche in Südwestafrika", den er im vergangenen Jahr anfertigte, auf Tatbestände aufmerksam, die für das Verständnis gerade auch der Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in Südwestafrika DELK von Wichtigkeit sind. Er verweist auf „die unglückselige Verbundenheit mit dem Staat und die sich bereits abzeichnende Furcht vor einer möglichen Konfrontation zwischen Kirche und Staat" (EPD-Dokumentation 14/72). Diese Gefahr ist für die meisten Kirchen und Missionen in Südwestafrika gegeben, aber sie bringt gerade für die Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in Südwestafrika DELK besondere Schwierigkeiten mit sich. Auf diesem Hintergrund gilt es, die Erklärung der Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in Südwestafrika DELK zu beurteilen, die in der deutschsprachigen „Allgemeinen Zeitung" (AZ) vom 8. 5. 72 veröffentlicht wurde (s.S. 27). Die deutsche Kirche befindet sich dadurch in einem Dilemma, da sie sich einerseits um die Loyalität gegenüber der südafrikanischen Regierung bemüht, die für die deutsche Minderheit eine Schutzmacht darstellt.

Andererseits aber ringt diese Kirche um die Gemeinschaft mit den beiden afrikanischen Schwesterkirchen, d. h. konkret um den Anschluß an die VELK Südwestafrika. Die Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in Südwestafrika DELK ist mit ihrem Statement vom 8. 5. 72 in eine äußerst problematische Lage hineingeraten, weil es in der Situation der Apartheid unmöglich ist, gleichzeitig seine Loyalität gegenüber dem Staat und die Gemeinschaft mit den afrikanischen Christen zu bekunden. Die Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in Südwestafrika DELK hat sich schriftlich festgelegt, ihre Vereinigungsbemühungen mit der ELK und der ELOK „im Rahmen der Landespolitik", wie es im übersetzten afrikaansen Text heißt, und das heißt im Rahmen der Apartheid, zu betreiben Wenn man bedenkt, daß nicht nur die beiden Briefe der lutherischen Schwesterkirchen eine eindeutige Absage an die Apartheid sind, sondern auch der Zusammenschluß zur VELK Südwestafrika, so zeigt sich, daß die Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in Südwestafrika DELK mit ihrem Bemühen um die Gemeinschaft mit den afrikanischen Lutheranern in eine Sackgasse geraten ist.

Bedeutete bereits die Distanzierungserklärung der Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in Südwestafrika DELK vom 23.7.71 eine große Enttäuschung für die afrikanischen Schwesterkirchen, so muß das Statement vom 8.5.72 ebenfalls als ein fast unüberwindbares Hemmnis auf dem Wege zu einer Gemeinschaft der drei lutherischen Kirchen in Südwestafrika angesehen werden. De Villiers beschreibt in seinem Report die Aufgabe und Herausforderung für die Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in Südwestafrika DELK in der einmaligen Lage Südwestafrikas wie folgt: „Die Situation scheint deshalb so zu sein, daß die Führer der Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in Südwestafrika DELK auf einem schmalen Grad wandern zwischen ihrem christlichen Gewissen, ihrer Erkenntnis vieler Verletzungen der Menschenrechte in diesem Land und ihrem Wunsch, Zeugnis abzulegen einerseits und dem Risiko, die Behörden und ihre eigene etablierte Gemeinde anzugreifen andererseits." [...]

Dies ist ein Auszug aus dem Buch: Kirchliches Handeln oder politische Aktion? Modell Südwestafrika, von Siegfried Groth.

Buchtitel: Kirchliches Handeln oder politische Aktion?
Untertitel: Modell Südwestafrika
Herausgeber: Siefried Groth
Reihe: Dokumentationsreihe der VEM, Nr. 2
Verlag: Vereinigte Evangelische Mission
Wuppertal, 1972
ISBN: keine
Originalbroschur, 15x21 cm, 56 Seiten, 1 Karte

Groth, Siegfried im Namibiana-Buchangebot

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