In Monsun und Pori. Fahrten der SMS-Königsberg im Indischen Ozean und Erlebnisse in Deutsch-Ostafrika, von Richard Wenig.

In Monsun und Pori. Fahrten der SMS-Königsberg im Indischen Ozean und Erlebnisse in Deutsch-Ostafrika, von Richard Wenig.

In Monsun und Pori. Fahrten der SMS-Königsberg im Indischen Ozean und Erlebnisse in Deutsch-Ostafrika, von Richard Wenig.

Oberleutnant zur See Richard Wenig beschreibt in seinem Buch In Monsun und Pori im Kapitel Kap Guardafui, wie die Besatzung des Kleinen Kreuzers S.M.S. Königsberg vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges überrascht werden und erzählt von den Fahrten der SMS-Königsberg im Indischen Ozean und seinen Erlebnissen in Deutsch-Ostafrika.

Richard Wenig  

Zehn Uhr nachts - man könnte meinen mittags - so hell strahlt die runde Scheibe des Vollmondes über dem rauschenden Indischen Ozean. Er rauscht wie ein Fluß, dessen Lauf durch mächtige Felsblöcke gehemmt wird und sich nun in weißschäumendem Gischt rasend durch sein eingeengtes Bett zwängt. Von Süden, Südwesten kommend, peitscht ihn der Monsun mit elementarer Wucht und kämmt den im Mondlicht glitzernden Seen die schäumenden Köpfe, so daß die langen Spritzer weithin flatternden weißen Greisenhaaren gleichen. In lang ausholenden gleichmäßigen Schwingungen rollt der kleine Kreuzer Königsberg von Backbord nach Steuerbord, Steuerbord nach Backbord, tief mit dem Bug eintauchend oder ihn hoch über den Horizont hebend.

Seine Masten beschreiben lang hingezogene Ellipsen an dem strahlenden hellen Tropenhimmel, Kurven, deren Linien sich manchmal in wunderlichen Winkeln schneiden und verflechten, wenn der schlanke graue Leib schräg in ein Wellental taucht und der Flaggenknopf des Großmastes sich nach vorn zu verschieben scheint. Die von achtern auflaufenden Seen rollen mit dumpfem Rauschen unter dem Heck durch und wischen dann brausend die grauen Flanken entlang. Pfeifend und stöhnend singt die Takelage ihr ein« töniges Lied, das im An= und Abschwellen der Monsun ihr entlockt. Da drüben, weit im Westen, liegt der glühendste Teil des heißen Afrika: das Somaliland, dieses Land der weiten, unermeßlich weiten Sandwüsten, Sandberge, Sandebenen.

Nehmen wir das Segelhandbuch zur Hand und sehen wir nach, was es über diese sich endlos nach Norden und Süden ausdehnende Küste schreibt, so finden wir, daß es fast nichts weiß, denn wenig ist darüber bekannt. Die Einwohner, schlanke, schwarze Gestalten vom Stamm der Somali, haben es bisher verstanden, die Geheimnisse ihres Landes zu hüten. In nicht aufzufindenden Schlupfwinkeln leben sie im Innern der weiten Wüste als Nomaden, oft ihre Lagerplätze wechselnd, und überfallen die Besatzungen der an ihrer Küste gescheiterten Schiffe. Selten hat man von diesen armen Schiffbrüchigen wieder gehört - sie werden weit ins Innere des sonnendurchglühten Sandlandes geschleppt oder kurzerhand erschlagen.

Dreimal haben die Italiener, die dem Namen nach Herren dieses Landes sind, versucht, auf dem berühmten und berüchtigten Kap Guardafui, der östlichsten Spitze Afrikas, einen Leuchtturm aufzubauen, dreimal ist er von den Somalis dem Erdboden gleichgemacht worden. Und jetzt liegt dieses mächtige, einem ruhenden Löwen gleichende Vorgebirge des Nachts wieder einsam und dunkeldräuend da, wie ein schwarzer Riese aus dem Wasser aufragend. Siegreich hat es das Werk weißer, nicht seinem Kontinent entstammender Hände abgeschüttelt und seine wilde Unnahbarkeit bewahrt. Dieses Kap sollen wir morgen gegen Mittag umsegeln.

Wir lehnen an der Reeling der Kommandobrücke, machen, gleichmäßig das Schwergewicht des Körpers von einem Bein auf das andere legend, die längen Schwingungen des Schiffes mit und starren auf die mondbeglänzte See. Deutschland hat mobil gemacht, unser gewaltiges Volk ist zu den Waffen gerufen. Wird es zum Krieg kommen? Um diesen Punkt kreisen dauernd alle Gedanken; schon über zwei Stunden unterhalten wir uns darüber, mein Wachoffizier und ich. Unsere Verbindung mit der Welt ist so gut wie abgerissen. Sämtliche Kabel sind ja in Englands Händen! Nur der Funke spricht noch zu uns, aber er spricht nur wenig und das Wenige undeutlich, denn er hat einen weiten Weg zu machen.

Von Nauen überspringt er ganz Europa, das Mittelmeer und die weite Sahara, bis er in Togo aufgefangen wird. Dann macht er einen gewaltigen Satz über ganz Afrika nach Muansa am Viktoriasee, um von dort nach Daressalam weitergeschickt zu werden. Die Hauptstadt unseres Schutzgebietes sendet ihn dann uns - wieder hat er einige tausend Meilen zu durchmessen. Wir glauben nicht an den Krieg, die Völker werden vor dem letzten entscheidenden Schritt zurückschrecken!

Der Mond steigt höher und höher. Der Wachoffizier übergibt mir das Kommando, er geht in die Funkenbude, denn um diese Zeit soll, wie ausgemacht, Daressalam uns geben. Wir steuern genau nach Norden! Wie ein Pferd bäumt sich ab und zu der Bug, wird von einer rund anlaufenden See emporgehoben, daß der fast am Horizont stehende Polarstern verschwindet, und wuchtet dann wieder in die Tiefe, als ob die Erde unter ihm wiche, nach beiden Seiten Berge weiß schäumenden Wassers schleudernd. Der Rudergänger sieht schweigend auf die hell erleuchtete Scheibe des Kompasses, die in ihren zweiachsigen Aufhängungsringen hin und her pendelt. Mit starken, knochigen Händen hält er das Ruder, er legt es einige Drehungen nach Backbord, dann wieder Steuerbord, um das stark gierende Schiff zu stützen.

Der klirrende Klang des Rudergestänges ist der einzige Laut auf der Brücke - alle Posten, der Ausguck und die Scheinwerferleute, stehen schweigend da und sehen auf die brausende See. Auf der Laufbrücke, die die Hütte mit der Back verbindet und sich eng und schmal an den drei Schornsteinen vorbeiklemmt, kommt eine weiße Gestalt gegen den Wind ankämpfend nach vorn - irgendein Offizier, den die Hitze noch nicht schlafen läßt. Er leistet mir Gesellschaft - wir stehen zusammen auf der äußersten Nock der Kommandobrücke, die frei in die Luft hinaushängend über dem weißen Gischt schwebt.

Wir sprechen vom Krieg - vom Krieg, der nicht kommen wird. Soll man ihn wünschen? Soll man nicht? Wir sind wohl auf verlorenem Posten - verloren - Tausende von Meilen um uns kein Freund, nur Feinde. Aber man ist jung, voll Tatendrang, voll Lust, die Kräfte zu messen, zu zeigen, daß man der Stärkere ist: Denkt der Baum, der kraftstrotzend emporwächst und seine Nachbarn erdrückt, daran, daß er Leben vernichtet - oder das Tier, das doch nur ein Gesetz kennt - das des Stärkeren? Soll man gegen die Natur kämpfen? Gewiß, gewaltig würde die Übermacht der Feinde sein, unermeßlich schwer würde es werden, hoffnungslos für uns hier! - Trotzdem!

Es dauert lange! Bereits halb 11 Uhr - - der Funkenoffizier ist noch immer nicht zurück.
„Gehen Sie nach unten und sehen Sie nach, ob Daressalam gegeben hat, ich werde solange hier fahren!" Ich stolpere über das Mitteldeck nach achtern, alle paar Schritte über Leinen kletternd, die gespannt sind, um bei dem starken Schlingern einen Halt zu geben. Ein mächtiger Brecher kommt über und wirft mich wie einen Sack auf das nasse Deck! In der Messe ist Licht! Ich öffne die schmale Tür - dahinten in der Ecke sitzt der Funkenoffizier, krumm über Chiffrierbücher gebeugt, mit hochrotem Kopf.

Er sieht auf und sagt: „Egima!" - „Egima" war das mit Daressalam verabredete Kennwort für: „Krieg mit Rußland, Frankreich und England!" - Donnerwetter! Ich stehe wie angewurzelt. Mächtig holt der Kreuzer über, mit lautem Klatsch fällt ein Buch an Deck und unterbricht die Stille. Klirrend rasselt im Schrank das Geschirr! - Die Offiziere werden geweckt. Der Kommandant und erste Offizier gehen auf der Hütte auf und ab und ich klettere wieder auf die Brücke. Also Krieg! - Eigenartig - der Mond leuchtet wie vorher, die See rauscht, die Takelage heult - nichts hat sich geändert!

Wie ist das nur möglich? Muß der Mond sich nicht verschleiern, die See sich nicht verdunkeln? Nichts! - Sie lächeln über die Händel der Menschen - was geht das All der Kampf von Atomen an! Vor Jahrtausenden war es so, und in Jahrtausenden wird es noch immer so sein. Aber mir ist jetzt die Fahrt zu langsam, der Seegang zu weich, das Brausen zu schwach. Die Brust ist voll zum überlaufen, man muß sich mitteilen. Überall stehen Gruppen und unterhalten sich gedämpft. Aus dem unteren Deck kommt es herauf, an den langen Strecktauen stehen die Matrosen verschlafen, in Hemd und Hose. Nach Mitternacht hat der Wind an Stärke noch zugenommen, mächtige Brecher stürzen sich wie Kaskaden auf die Back und prallen polternd und krachend am Wellenbrecher ab. Die zwischen Spill und Klüsen etwas lose liegenden Ankerketten schlagen dröhnend auf die Back. Sie sehen in dem weißen Schaum aus wie zwei langgestreckte, schwarze Schlangen.

In Fetzen zerrissen fegt die Rauchfahne unserer qualmenden drei Schornsteine über uns hinweg, huscht über das Gesicht des Mondes und läßt es rötlichbraun erglänzen. Das Heulen in den Masten und Stagen ist so stark geworden, daß es selbst das unaufhörliche gleichmäßige Surren der Ven* tilationsmaschinen übertönt. Wir behalten den Kurs bei. Im Laufe des nächsten Vormittags wollen wir den Lloyddampfer „Ziethen" treffen, der, von Colombo kommend, auf dem Wege nach Aden ist. Wir wollen ihn warnen und nach einemt anderen Bestirnmungs* hafen schicken. Er hat einige 100 Kameraden von uns aus der Südsee an Bord, die nach jahrelanger Abwesenheit der Heimat zusteuern. Zwar stehen wir bereits mit ihm in funkentelegraphischer Verbindung, aber wir müssen äußerst vorsichtig sein, damit die auf dieser Weltverkehrsstraße in Mengen fahrenden, nun auf einmal meist feindlichen Schiffe noch nichts von unserer Gegenwart merken.

Die trotz des Monsuns drückende Hitze läßt gegen Morgen nach und weicht einer erfrischenden Kühle. Soweit es der mächtige Seegang erlaubt, werden Bullaugen und Luken geöffnet, um die stickige Luft aus dem heißen, nach Ol und Menschendunst stinkenden Schiffsinnern zu blasen. Allmählich verfärbt sich der Himmel, die Sterne verblassen, blauschwarzer Dunst liegt auf dem Horizont, über den sich bereits gelbe und rötliche Streifen hinziehen, ab und zu von feurigen rotglühenden Flaumwölkchen unterbrochen. Mit der überraschenden Schnelligkeit der Tropen erscheint das Tagesgestirn und in kürzester Zeit hat die Wandlung von Nacht in Tag stattgefunden. Strahlend, glitzernd im Morgenlicht liegt die weite, mächtige See da, deren Fluten alle einem fernen im Norden liegenden Ziele zuzurollen scheinen.

An Backbord zieht sich, einige zwanzig Seemeilen entfernt, die hohe gelbsandige Steilküste des Somalilandes dahin und fern, fast rechts voraus, ragt das Löwenhaupt des Kap Guardafui über die Kimm. Wir müssen beim Umsteuern des Kaps bereit sein, englischen Kreuzern zu begegnen. Gegen elf Uhr wird „Klar Schiff zum Gefecht" angeschlagen! Das Löwenkap ist näher gekommen, dicht an Backbord ragt es trotzig in die Luft, Ein zerklüfteter, kahler Sandberg von gewaltigen Ausmaßen, in dessen Steilabfälle der Regen von Jahrtausenden tiefe Furchen gezogen hat! Ein breiter Schaumstreifen zieht sich zu seinen Füßen hin, wild lecken die anprallenden Seen an seinen Flanken empor. In schweigender Majestät stehen die hohen Wände, achtlos zerstäuben die Seen zu weißem Gischt und Dampf. Gar manches Schiff ist hier gescheitert, gar manche Besatzung hat hier das Schicksal des Seemanns ereilt.

An Steuerbord am Horizont erscheint Rauch! - Eine hohe Säule, die sich nach oben zu pinienartig erweitert. Es wird der Ziethen sein! Gespannt sieht alles durchs Glas. Ein gelber Schornstein schiebt sich allmählich über den Horizont, ein gelbes Aufbaudeck folgt. Er ist es. Bereits hat er uns gesehen und hält auf uns zu. Wir fahren ihm entgegen und stoppen in seiner Nähe. Hunderte von Menschen, darunter unsere Kameraden aus der Südsee, stehen auf dem Promenadendeck und sehen zu uns herüber. Tücher schwenken. Auf dem Ziethen spielt die Bordmusik. Der große Dampfer hat Schlagseite, er liegt etwas nach Backbord über. Eben haben wir begonnen uns zu verständigen, Nachrichten werden ausgetauscht, Befehle erteilt - da meldet der hoch im Krähennest sitzende Ausguck: „Drei Strich an Steuerbord eine starke Rauchwolke!"

Das kann nur der Feind sein! Kurzerhand drehen wir ab, sagen dem „Ziethen", er soll versuchen uns zu folgen, und steuern voll Mut und Tatendrang auf den Rauch los. Wir haben Guardafui jetzt achteraus. Eine dunstig heißzitternde Luft liegt über der sich entfernenden Küste und läßt die vorher so scharfen Umrisse verschwimmen. Wie eine wogende gelbe Wand liegt sie da! Wir kommen näher! Die Rauchwolke nimmt Gestalt an, zwei lange, etwas schräg stehende Masten werden sichtbar, denen ein schwarzglänzender Schornstein folgt. Ein Dampfer! - Mit Kurs nach Westen, nach Aden! Er muß uns ebenfalls längst gesehen haben, denn er beginnt mächtig zu qualmen und erhöht sichtlich seine Fahrt. Der Funke springt: Wir fragen ihn nach dem Namen. [...]

In Monsun und Pori. Fahrten der SMS-Königsberg im Indischen Ozean und Erlebnisse in Deutsch-Ostafrika.

Buchtitel: In Monsun und Pori.
Untertitel: Fahrten der SMS-Königsberg im Indischen Ozean und Erlebnisse in Deutsch-Ostafrika
Autor: Richard Wenig
Safari-Verlag
Dresden, 1922
Original-Kartonband, 15x22 cm, 161 Seiten, Abbildungen auf Tafeln

Wenig, Richard im Namibiana-Buchangebot

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In Monsun und Pori ist ein Erlebnisbericht über die Fahrten der SMS-Königsberg im Indischen Ozean und Gefechte in Deutsch-Ostafrika.

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