Ich habe einen der letzten Kolonialherren Afrikas geheiratet, (2) von Christine von Garnier.

Ich habe einen der letzten Kolonialherren Afrikas geheiratet. Ein namibisches Tagebuch, von Christine von Garnier.

Ich habe einen der letzten Kolonialherren Afrikas geheiratet. Ein namibisches Tagebuch, von Christine von Garnier.

Dies ist Teil des Auszugs aus dem Tagebuch von Christine von Garnier und hieß in der deutschen Ausgabe des Rowohlt Verlages: Ich habe einen der letzten Kolonialherren Afrikas geheiratet. Ein namibisches Tagebuch.

Christine von Garnier  

Panik ergriff mich. Was wollte ich eigentlich hier? Aber die Erinnerung an den großartigen Anblick meines ersten afrikanischen Sonnenaufgangs ließ mich alles vergessen. Es war der 4. Juni 1967, der südliche Winter hatte seinen Empfang für mich vorbereitet. Namibia war in göttlichen Glanz getaucht, in dem alles märchenhafte Farben annahm. Das erinnerte mich an das Herbstlicht unserer Wälder im Jura. Der Verwalter einer der beiden Höfe, die Piets Vater gehören, holte uns mit seiner Frau ab. Ich werde den Druck seiner riesigen und festen Hand immer im Gedächtnis behalten; er hätte mir fast die Hand zerquetscht. Seine Frau legte freundlich ihren Arm um meine Schultern. Alles ist so neu für mich, so schwer zu verstehen, daß ich mich erst einmal in «Wartestellung» befinde. Ich habe das Gefühl, einem jener Tiere zu gleichen, die ihr Haarkleid mit wechselnder Umgebung verändern. Ich versuche, eine Verbindung herzustellen zwischen meinem jetzigen Ich mit seiner europäischen Erziehung, seinem Wertesystem und seinem akademischen Wissen, seinen Illusionen und seinem Idealismus und der neuen Welt um mich herum, die mich überwältigt.

Ich fühle, wie ich jeden Tag ein wenig «sterbe», mir verlorengehe und in einem geheimnisvollen Universum untertauche, das mich unwiderstehlich anzieht und dessen unendliche Möglichkeiten ich bestenfalls erahne. Natürlich hilft mir Piets Liebe dabei, eine solche verbindende Brücke zu schlagen. Wir erleben diese ersten Schritte unseres gemeinsamen Lebens sehr intensiv inmitten der Stille, die es erlaubt, uns auf unsere Verliebtheit zu konzentrieren und uns des anderen bewußt zu werden. Wie ein Hündchen folge ich ihm überall hin. Er ist Landwirt, der auf Rinderzucht spezialisiert ist. Ich beobachte ihn und seine schwarzen Angestellten bei der Arbeit. Der Kontakt zwischen ihnen ist herzlich, ja sogar fröhlich und entspannt, aber er ist der baas (der Herr), und niemand zweifelt an seiner Autorität oder denkt gar daran, sie in Frage zu stellen. Es sind patriarchalische Beziehungen.

Er macht alles: als Bauer legt er wie seine Männer selbst mit Hand an. Neulich habe ich ihn als Tierarzt erlebt, wie er gerade die Gebärmutter einer Kuh flickte. Gestern mußte er wie ein Richter einen Ziegendiebstahl schlichten. Als Pastor hat er beim Begräbnis seines an Kehlkopfkrebs erstickten alten Hirten einen Abschnitt aus der Bibel vorgelesen, als Hebamme einer Hausangestellten bei der Entbindung von Zwillingen geholfen. Fast täglich werde ich mit wesentlichen Problemen des Seins konfrontiert; mit der Liebe, dem Leben, dem Tod, mit Krankheit, Religion, Recht, mit der animalischen Welt und dem Überleben in einer feindlichen Umgebung.

Piet beobachtet mich, wie er alles beobachtet. Die Beobachtungsgabe ist etwas, was mir völlig fehlt. Ich bin noch derartig intellektualisiert, daß ich nicht einmal die Hälfte von dem wahrnehme, was um mich herum geschieht. «Paß auf, wohin du die Füße setzt; es gibt Schlangen und Skorpione. Blick genau in die Äste, wenn du unter einem Baum hergehst. Es könnten sich Schlangen darin aufhalten. Vergiß nicht, abends immer eine Taschenlampe bei dir zu haben. Die kann dir das Leben retten. Belausche die Stille: Es gibt Geräusche, die dir die Anwesenheit eines Tieres oder Menschen verraten ...»

Ja, wirklich, ich werde neu geboren und bin dabei so linkisch. Piet amüsiert sich über meine gelehrten Theorien von der Entwicklung des Gemeinwesens und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, dem Nationalismus und den Befreiungskriegen, der Entkolonialisierung Afrikas. Er lacht. «Werd erst mal du selbst, und dann kannst du anfangen zu diskutieren. Du wirst sehen, daß du deine Meinung innerhalb von einem Jahr änderst. Alle Europäer, die hierherkommen, machen die gleiche Entwicklung durch.» Ich denke gar nicht daran, meine Ansichten über das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu ändern, aber ich gestehe Dir, daß alles viel komplizierter ist, als es von den Universitätsbänken aus oder nach der Lektüre eines Zeitungsartikels scheint. Ich war nicht darauf gefaßt, eine derartig «rückständige» und «koloniale» Situation vorzufinden.

Gemeinsam mit Angola, Mozambique und Rhodesien ist Namibia eines der letzten afrikanischen Länder, die eines Tages die Unabhängigkeit erlangen müssen. Aber Piet hat mir erklärt, daß es morgen noch nicht soweit sei und daß diese Länder ohne die Weißen gar nicht funktionieren könnten. Manchmal bin ich von seinen Antworten wie vor den Kopf geschlagen. Bisher glaubte ich, er sei in seiner Entwicklung weiter; er hat doch seine Ausbildung in Europa abgeschlossen. Nun entdecke ich, daß der, den ich liebe, eine koloniale Denkweise hat, von der ich in Deutschland, wo ich ihn kennenlernte, nichts gespürt habe; er dagegen muß plötzlich merken, daß er eine Frau geheiratet hat, die so denkt wie einige jener Schwarzen, die die Polizei kürzlich wegen «Anstiftung zum Umsturz der bestehenden Regierung» inhaftiert hat.

Wir sehen sehr wohl, welche fundamentalen Kultur- und Erziehungsunterschiede uns trennen. Dieser Bewußtwerdungsprozeß verläuft um so schneller, als wir von Einsamkeit und Stille umgeben sind. Niemand kann uns beeinflussen, nichts uns vom Wesentlichen ablenken. Piet ist überzeugt davon, daß ich mich «ändern» werde. Ich habe das Gefühl, daß die Vernunft der Geschichte auf meiner Seite ist. Aber wir sind beide so verliebt und fasziniert von der unbekannten Persönlichkeit des andern, daß wir sicher sind, diese Schwierigkeiten überwinden zu können. Ich mache Dir ein Geständnis: Ich habe einen Vertreter der letzten Kolonialherren Afrikas geheiratet, aber behalte das für Dich.

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Dies ist ein Auszug (Teil 2) aus dem Buch: Ich habe einen der letzten Kolonialherren Afrikas geheiratet. Ein namibisches Tagebuch, von Christine von Garnier.

Buchtitel: Ich habe einen der letzten Kolonialherren Afrikas geheiratet
Untertitel: Ein namibisches Tagebuch
Autorin: Christine von Garnier
Reihe: rororo aktuell
Originalausgabe: Namibie. Les derniers colons d'Afrique
Rowohlt Taschenbuch Verlag
Reinbek bei Hamburg, 1987
ISBN 3-499-159910
Originalbroschur, 12x19 cm, 186 Seiten

von Garnier, Christine im Namibiana-Buchangebot

Ich habe einen der letzten Kolonialherren Afrikas geheiratet. Ein namibisches Tagebuch

Ich habe einen der letzten Kolonialherren Afrikas geheiratet. Ein namibisches Tagebuch

Christine von Garnier führt über 20 Jahre ihr namibisches Tagebuch, das in dem Buch Ich habe einen der letzten Kolonialherren Afrikas geheiratet wiedergegeben ist.

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