Hatako, der Kannibale, von Artur Heye

Hatako, der Kannibale, von Artur Heye.

Hatako, der Kannibale, von Artur Heye.

In seinem fesselnden ethnologischen Roman Hatako, der Kannibale, beschreibt Artur Heye die persönliche Entwicklung des Naturkindes und Kannibalen Hatako unter dem britischen, deutschen und arabischen Einfluß in Ostafrika.

Artur Heye  

[…] Die Schatten der Bäume wurden länger und bleicher, aus dem wassergetränkten Boden stiegen Dünste auf und wanderten in grauen Schwaden durch das trübkalte Dämmerlicht. Rauschend fuhr der Wind durch die grauumwallten Baumkronen und sprühte kalte Tropfenschauer herab. Aus dem moosbedeckten Wurzelgewirr einer alten Konifere erhob sich frierend und durchnäßt Hatako, der Askari. Nachdem sein rasender Hunger gestillt war, hatte ihn die Müdigkeit trotz allen Widerstandes überwältigt, und er war eingeschlafen. Er schüttelte sich, wischte sein Gewehr trocken und sah sich verwundert um. Er wußte nicht, wie lange er geschlafen hatte, ob dies düstre Licht nicht schon den Anbruch der Nacht bedeutete. Der Nacht, der letzten vor Neumond! Was war doch mit der Neumondnacht? Unsicher tastete sein schlaftrunkener Sinn herum, was Traum oder was Wirklichkeit war von den Geschehnissen der letzten Stunden. Da war Meli, der Dschaggakönig gewesen und hatte Worte gesprochen, die für alle deutschen Askari und Offiziere am Kilimandscharo den Tod bedeuteten. Und der, an den diese Worte gerichtet waren, war Ibrahim, sein alter arabischer Freund, mit dem er einst vor langer Zeit und viele, viele Tagereisen weit von hier im Kongowald zusammengekommen und weitergezogen war zum Albert-See. Da oben in der Bergwildnis, an den Eistoren des Geisterlandes, hatte er ihn gestern nacht wiedergesehen, und der Araber hatte nicht gewußt, daß der, der da vor den Kriegern Melis in die Nacht hineinrannte, sein Schützling war von ehedem. Diesmal hatte ihm der Meli nicht helfen können, er hatte allein laufen und kämpfen müssen mit Melis Wadschagga und seinem wilden Hunger. Aber der letzte Dschagga, jener, der ihn vom Breitopf vertrieben hatte, der hatte ihm sein eigenes Fleisch zur Nahrung geben müssen. Der einsame Grübler im Wald fühlte an seinen Bauch, und ein grimmiges Lächeln huschte über sein Gesicht. Es war Recht so. Ohne Nahrung hätte er nicht weiter gekonnt. Und er mußte weiter, denn die Nacht kam, die letzte vor Neumond. Der Gedanke jagte ihn auf und ließ ihn die letzte Müdigkeit vergessen. Er brach durch das Unterholz und betrat wieder die Elefantenstraße. Eine dunkle Masse lag, halb im Nebel verhüllt, auf einem Haufen Astwerk mitten im Wege. Mit einem kurzen Seitenblick bog der Askari ab, zögerte, drehte sich wieder um und ging darauf zu. Er hob den verstümmelten Körper, der kalt und steif wie holz in seinen Armen lag, vom Boden auf, ließ ihn in die Grube gleiten und scharrte Laub und Zweige darauf. Vorsichtig auftretend nahm er dann die Richtung nach dem Mwulebaum wieder auf. Schon nach wenigen Schritten hob er die Nase, die Luft roch nach Rauch! Bald belehrte ihn ein Feuerschein, der rot durch den Nebel glühte, daß seine Gefangenen befreit worden waren und wieder auf der Lauer lagen. So tauchte er unter die Bäume und arbeitete sich mühselig durch das nasse graue Gewirr des Waldes vorwärts, bis er weiter unterhalb den Pfad wieder erreichte. Flüchtigen Fußes eilte er auf dem schlüpfrigen Wege, der hier stärker ausgetreten war, bergab und legte eine lange Strecke ungehindert zurück, die Nebelwolken verdichteten sich, das Tageslicht ging zu Ende, immer unsichtiger wurde der Weg. Er konnte nicht mehr verhindern, daß er an Ranken und Zweige streifte, einmal über eine Wurzel oder einen Stein stolperte. Bei jedem Geräusch, das er machte, biß er sich ärgerlich auf die Lippen, stockte und lauschte um sich, doch alles blieb totenstill, es war, als wäre die ganze Welt in Nebeln versunken. Baumstämme, die hier und da aus dem grauen Dunste traten, bekamen ein unheimliches Leben, wurden zu gespensternden Toten, die flehend krumme Arme hoben, und ihre Siechengehänge schlotterten um sie wie vermorschte Kleiderfetzen. Eine Lichtung öffnete sich jetzt vor ihm. Dicke Dampfwolken, wie von unterirdischen Feuern erzeugt, wirbelten darüber. Zögernd trat er hinaus, nur zwei, drei Schritte, da wuchsen ein paar Gestalten vor ihm auf, stürzten sich brüllend auf ihn, aus dem Nebel antwortete anderes Gebrüll. Ein Speerstoß zerschlitzte ihm Jacke und Gewehrriemen, ein anderer prallte an der Feldflasche ab und riß ihm das Fleisch an der Hüfte auf, einem schräg herabsausenden Schwerthieb konnte er nur durch blitzschnelles hinwerfen entgehen. Ungreifbar wie eine Schlange, schnellte er am Boden hin und her, riß sein Messer heraus und hackte in rascher Wendung nach einem Körper, der sich auf ihn geworfen hatte. […]

Dies ist ein Auszug aus dem ethnologischen Roman: Hatako, der Kannibale, von Artur Heye.

Titel: Hatako, der Kannibale
Autor: Artur Heye
Safari-Verlag
Berlin, 1927
Originalleineneinband, 13x20 cm, 291 Seiten, einige Federzeichnungen

Heye, Artur im Namibiana-Buchangebot

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