Gespräch mit der Erde. Welt- und Lebensfahrt eines Geologen, von Hans Cloos

Gespräch mit der Erde. Welt- und Lebensfahrt eines Geologen, von Hans Cloos.

Gespräch mit der Erde. Welt- und Lebensfahrt eines Geologen, von Hans Cloos.

Der Geologe Hans Cloos beschreibt in seinem wunderbaren Buch Gespräch mit der Erde. Welt- und Lebensfahrt eines Geologen, den ersten Eindruck des Erongo, als er sich in den 1910er Jahren mit Pferd und Ochsenwagen dem Gebirgsstock näherte.

Hans Cloos  

Die Erde schenkt uns mehr Selbsterkenntnis als alle Bücher, weil sie uns Widerstand leistet. Mitten in der Nacht wurde ich plötzlich wach, als gerade die Ochsenkarre mit einem großen Halbkreis auf den Lagerplatz hereinfuhr. Der volle Mond stand hoch darüber. Aus dem Schlafsack heraus sah ich, wie die sechs Tiere ausgespannt wurden und sich im Busch verloren. Der Fahrer breitete sich sein Ziegenfell auf den Boden. Bald war wieder tiefe Stille. Irgendwo schnaubten die Ochsen; in weiter Ferne bellte ein Schakal. Von einem der alten Kameldornbäume klapperte eine trockene Schote in den Sand. Die Nachtluft floß mir kalt über das Gesicht. Die Sonne des nächsten Vormittags zeichnete die ästigen Baumschatten auf eine zerwühlte Stelle im Sand. Draußen in der Steppe kroch die kleine Expedition wie eine kurze Raupe durch die Windungen des wasserlosen Flußtals. Ich nahm den Burenhut, faßte das Gewehr, löste den ungeduldig stampfenden Schimmel vom Baumstamm und trabte durch weichen, gelben Sand der goldenen Staubwolke nach, die über meinem Wagen dahinwanderte.

Dahinter aber stieg höher und dunkler aus den lichten Ästen des parkartigen Flußwaldes wie eine Gitterwand der Erongo. Nun war ich also am Ziel. Neapel, das Rote Meer, Ostafrika und Rhodesia - das waren alles nur Umwege gewesen; schöne, eindrucksvolle, unvergeßliche Umwege. Transvaal, Kapland, die Diamantwüste waren noch mehr: Sie waren Vorbereitungen, Vergleiche, Beispiele, wichtig für das Kommende. Aber für den Tatendurstigen, der nicht mehr länger bloß aufnehmen, sondern der schaffen, der nicht mehr lernen, sondern forschen wollte, aus dem ganz Neuen, ganz Unbekannten heraus, für ihn waren auch dies lästige Umwege. Nun aber lag das Ziel vor ihm.

Schwarzblau, scharf umrissen, beinahe schon greifbar. Jede Stunde brachte ihn näher heran. Was war es, wie sah es aus, dies spröde afrikanische Wüstengebirge mit dem saftigen, klingenden Namen? »Erongo, Erongo« - ihn hatte ich mit zärtlicher Betonung vor mich hin gesprochen, als ich ein halbes Jahr früher in dem Hause unter den Schwarzwaldtannen meinen funkelnagelneuen Tropenkoffer gefüllt hatte mit seltsamem, unbenutztem, wer weiß wie und wo einmal zu benützendem Gepäck. Nicht weniger als fünfmal bin ich an diesem Reisetage aus dem grundlosen Flußsand auf einen der klirrend harten Felsen gestiegen, die über die Bäume im Fluß und über das Dorngestrüpp auf der höheren Fläche hinausragten, und habe versucht, mit dem Fernglas dem allzu afrikanischen Reisetempo vorauszueilen.

Anfangs zeigte auch das Glas nicht mehr als einen Umriß; nicht mehr als ein langes und rauhes, aufrechtes, oben in stumpfen Winkeln gezacktes Band. Aber nur eine warme, sonnengoldene Wanderstunde später, und schon wurde das Band zur Mauer, die Mauer zum Bauwerk. Säulen und Pfeiler traten vor die blaue Wand, und an ihnen stieg der Blick aus der unter Gras und Buschwerk wogenden Steppe hinauf zu gestuften Zinnen. Gesimse wurden sichtbar, und der Blick wanderte auf ihnen, balancierend und zaghaft, von dem höchsten, zahnscharfen Gipfel zur Rechten bis unter die runde Ecke links, die starr und steinern und mit der furchterregenden Blicklosigkeit einer Sphinx in das schattenlose Meer der Wüste und bis auf die uns unsichtbaren Gestade des Wassermeeres hinausblickte.

Noch eine Stunde knirschenden Reitens und knarrender Wagenfahrt, und schon spricht durch den Schleier zu uns das Gesicht. Zögernd, bald hier bald dort, erwacht das Gebirge, schlägt Augen auf und beginnt zu reden, zu reden in der Sprache, die der fieberhaft Gespannte in den Büchern und Bergen der Heimat Wort für Wort gelernt, damit er hier und heute die Erde verstünde. Er starrt und späht und - versteht: Da ist ein heller Sockel aus Granit, breit und behäbig wie Gebirgssockel sind. Und da ist ein Oberbau aus sauberem Schichtwerk, flach und zuverlässig auf den Sockel gebaut. Und dazwischen ist eine Grenze, scharf, gerade und beinah genau waagerecht; sie springt ein wenig vor und zurück mit der Gliederung der Wand und findet doch immer wieder in ihre vorgeschriebene Horizontalität zurück.

Ja, recht so. Das ist also die erste große Hauptzone der Erdkruste. Oberste Schalengrenze der irdischen Riesenzwiebel. Man kennt sie von den Höhen der heimischen Mittelgebirge, hat sie in den tiefen Gründen unserer Tafel- und Schollenländer gesehen. Ja, hat man das? Nein, gesehen hat man die wichtige, grundsätzliche Fläche nie. Nur von ihr gehört, hat sie erschlossen aus den kleinen Merkmalen, die man zwischen Wäldern und Wiesen, Häusern und Eisenbahnen zusammensuchte. Hat auch ihre Tiefe oder Höhe berechnet. Aber nun ist sie selber da. Streicht vor unseren weitgeöffneten Augen frei in die lichte Luft hinaus und begrenzt den appetitlich geschnittenen, wie eine fürstliche Freitreppe gestuften Oberbau des Gebirges Erongo gegen das plump wie ein Riff aus dem Erdkern heraufsteigende kristallene Fundament.

Da liegt sie mit der Selbstverständlichkeit alles von der Natur Geschaffenen und ist doch das greifbare Zeugnis - ja das greifbare, denn es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht schon morgen da oben stünden und Hammer und Hände darauf legten und sie ganz und gar festhielten -, ist das greifbare geometrische Zeugnis des großen historischen Umschwungs aus den heißen gefährlichen Wirrsalen der irdischen Urgeschichte in den sauberen, chronologisch-rhythmischen, den beruhigenden Ablauf der Geschichte der Erde und des Lebens! Da liegt sie, oder nein, da zieht sie hin, von der linken runden bis zur rechten scharfen Ecke des Gebirges und begrenzt und ordnet, verziert und regiert, und der junge Geologe aus den Ländern des Regens und des schrecklichen Spinats der Vegetation, er steht und staunt und freut sich, wie er sich seit dem ersten Theaterbesuch seiner Knabenzeit nie wieder gefreut hat. Aber er freut sich nicht lange.

Schon als er wieder mit den schweren Stiefeln in der Sandwanne des Flusses versinkt, wird ihm bewußt, daß es wohl ein Erlebnis ist, zum ersten Male zu sehen, was man schon lange gewußt hat. War es nicht auch ein schönes und großes Erlebnis gewesen, die Gemälde der klassischen Maler zum ersten Male in der Wirklichkeit, in ihrer vollen Größe und Farbenpracht vor sich zu haben? Aber war das eine Aufgabe? War er dazu allein aus einer anderen Welt hierhergekommen, bis zu dem von den Wellen der Steppe und dem Sandgeriesel der Wüste umspülten Felsenfuß des Erongo? War es nur diese Enthüllung von längst Geahntem, die sich in dem Namen mit den klingenden Vokalen der Bantusprache verbarg?

Ein wenig enttäuscht setzt der Anspruchsvolle den Nagelstiefel in den Steigbügel, schwingt sich in den Sattel und galoppiert hinter seiner Karawane her. Die Sonne sinkt steil und rasch in die Wüste. Höher und blauer klimmen am Gebirge die Schatten empor. Es wird Zeit! Weiter, vorwärts, näher heran! Noch spielen die flachen Strahlen des Tagesgestirns im Felswerk der immer gewaltiger aufschießenden Gebirgsfront, als der Ungeduldige zum letzten Male Pferd und Wagen stehen läßt und über dem Saumwald des Tales Posten bezieht. Und das ist gut so. Denn was er nun in den Abend und die Nachdenklichkeit des Lagerfeuers mitnimmt, ist eine große, erregende Überraschung. Nun auf einmal wird auch über der großen Grenze, die doch soeben noch so endgültig schien, blankes, ungeschichtetes Gestein sichtbar.

Ist es Granit mitten in der Sandsteindecke? Sockel im Oberbau? Macht das Grundgebirge Berge und Täler und ragt mit Gipfeln in sein Dach hinein? Ist es also eine uralte Gebirgslandschaft, Gebirge der Urerde, das sich vor unseren Augen in einen Mantel von Sand und Schutt hüllt und aus dem tief zerschlissenen schon wieder heraustritt? Oder - zu kühn und neu, um es auch nur auszudenken - ist hier alles verkehrt, buchwörtlich Alt und Neu, Unten und Oben auf den Kopf gestellt? […]

Dies ist ein Auszug aus dem Buch: Gespräch mit der Erde. Welt- und Lebensfahrt eines Geologen, von Hans Cloos.

Buchtitel: Gespräch mit der Erde
Untertitel: Welt- und Lebensfahrt eines Geologen
Autor: Hans Cloos
Verlag:  R. Piper & Co.
57.-59. Tausend, München 1958
Original-Leinenband, Original-Schutzumschlag, 21x15 cm, 414 Seiten, 78 sw-Abbildungen

Inhaltsverzeichnis:

Cloos, Hans im Namibiana-Buchangebot

Gespräch mit der Erde. Welt- und Lebensfahrt eines Geologen

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Gespräch mit der Erde ist berühmt für seine einzigartige, fast prosaische Beschreibung geologischer Erscheinungen und der Welt- und Lebensfahrt des Geologen Hans Cloos.

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