Die Wildnis ruft: Erlebnisse in Ostafrika, von Artur Heye

Die Wildnis ruft: Erlebnisse in Ostafrika, von Artur Heye. Wilde Lebensfahrt, Band 4. Albert Müller Verlag, Rüschlikon-Zürich, 1941

Die Wildnis ruft: Erlebnisse in Ostafrika, von Artur Heye. Wilde Lebensfahrt, Band 4. Albert Müller Verlag, Rüschlikon-Zürich, 1941

Nach einer fast einjährigen Wanderung über die Schweiz, Italien, Sizilien, Marokko, Algerien, Tunesien, Ägypten, Sudan, Jemen und Somalia, erreichte Artur Heye im April 1913 Britisch-Ostafrika. Sein Reise- und Erlebnisbericht "Die Wildnis ruft" beginnt mit seiner Ankunft und endet kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges.

Artur Heye  

Ende April des Jahres 1913 stieg ich in Nairobi aus dem Zuge der Ugandabahn, der damals zweimal in der Woche von Kisumu am Victoria-See nach Mombasa am Indischen Ozean fuhr, sagte «Uff!» und reckte die von sechsundvierzig Fahrstunden steifgewordenen Glieder. Hinter mir her torkelte, mit verschlafenem Gesicht und mit einem Haufen von Photo- und Handkoffern beladen, mein getreuer schwarzer Knecht Tumbo. Er hiess eigentlich Tumbolianiuma, und dieses Kisuaheli-Wort bedeutet schlecht und recht: «Mein Bauch schmerzt mich». Der Zeitersparnis halber halte ich diesem Bandwurm von Namen, gleich nachdem sein Träger droben im fernen Uganda in meine Dienste getreten war, zwei Drittel seiner Länge abgeschnitten; das übriggebliebene Tumbo heisst «Bauch». Suchend um mich blickend drängte ich mich durch das Gewimmel von hinaus- und hereinströmenden Reisenden, die alle vorstellbaren Hautschattierungen aufwiesen, doch erst draussen vor dem Bahnhofeingang entdeckte ich den Freund, den ich erwartete. Er stieg aus einer Rikscha, und ob seines ganzen Aussehens und der Art und Weise, wie er herauskletterte, fuhr mir ein eisiger Schrecken durchs Gebein. Der Mann, der mir da, auf einen Stock gestützt, mit einem mühsamen Lächeln auf dem faltigen, gelben Gesicht die Hand entgegenstreckte, war Sir Goodfrey Kingsley Burton. Vor etwa einem halben Jahre war ich ihm an einem sehr kritischen Tage droben im Süden von Somaliland an einem einsamen Wüstenbrunnen begegnet; wir hatten uns bald angefreundet, waren von dort aus miteinander nach Chisimaio und Mombasa und schliesslich hierher nach Nairobi - der Hauptstadt Britisch-Ostafrikas, das seit dem ersten Weltkrieg Kenia-Kolonie heisst - gezogen. Seit achtzehn Jahren hatte sich Burton mit photographischen Aufnahmen von afrikanischem Wild beschäftigt, und was ich unterwegs von ihm über diesen für die Wissenschaft ebenso notwendigen und wertvollen wie für den Ausübenden fesselnden und aufregenden «Sport» erfahren hatte, war für mich hinreichend gewesen, um meinen Vertrag mit einer illustrierten Zeitschrift über eine Reporterreise um die Welt zu kündigen und mich künftighin ausschliesslich dieser neuen Aufgabe zu widmen. Burton hatte sich schon bei unserer Ankunft in Chisimaio nicht wohlgefühlt; ein altes Leberleiden machte ihm wieder Beschwerden. Auf der Weiterreise wurde er immer elender, und in Mombasa warf ihn eine Malaria vollends über den Haufen. «Es muss die zwei- oder dreiundzwanzigste sein, die ich erwischt habe - weiss nicht mehr genau. Wollen wir wetten, dass ich das zweite Dutzend voll kriege, ehe ich mit den Biestern drüben in den ewigen Jagdgründen anfange?» hatte er mir, in einem Fieber von vierzig Grad glühend, aus seinem Hotelbett heraus zugemurmelt. - «Was meinen Sie, ob im Jenseits auch die alten Saurier und Urelefanten noch 'rumtoben? Grosser Brahma, das gäbe Aufnahmen ...!» Als er wieder einigermassen auf den Beinen stehen konnte, waren wir zusammen nach Nairobi gefahren. Beim Durchkreuzen des grossen Wildschutzgebietes der Athi River Plains war mir der überwältigendste Anblick meines Lebens geworden, und mein kranker Freund hatte mir in jener Stunde das Versprechen abgenommen, jenen Gestalten der Wildnis fortan mein Leben zu widmen - wie mir jetzt schien, hatte er es als Versprechen gemeint, sein Werk fortzusetzen. Als er sich bei unserer Ankunft in Nairobi von seinem Sitz im Abteil erhoben hatte, war er ein paarmal hin- und hergeschwankt und mir dann bewusstlos in die Arme gefallen. Ich hatte mich noch in der Stadt aufgehalten, bis er aus dem Spital entlassen wurde. Die Ärzte rieten ihm dringend, einmal auf längere Zeit aus den Tropen wegzugehen; aber er hatte sich hartnäckig geweigert. Er vertraute auf seine Konstitution, doch gerade er hätte wissen sollen, dass bei der Art seiner Beschäftigung nach achtzehn Jahren auch eine stählerne Konstitution eines Tages endgültig versagen musste. Ich war hernach, um meinen Vertrag zu erfüllen, für meine Zeitschrift auf eine Rundreise durch Uganda und den östlichen Kongo gegangen; in den seltenen Briefen, die ich zwischendurch mit Burton wechselte, hatte er auf meine Fragen nach seinem Gesundheitszustand stets ausweichend geantwortet. Jetzt sah ich, warum. [...]

Dies ist ein Auszug aus dem Reisebericht: Die Wildnis ruft: Erlebnisse in Ostafrika, von Artur Heye.

Titel: Die Wildnis ruft
Untertitel: Erlebnisse in Ostafrika
Autor: Artur Heye
Genre: Reisebericht, Kriegserinnerungen
Reihe: Wilde Lebensfahrt, Band 4
Verlag: Albert Müller Verlag
Rüschlikon-Zürich, 1941
Original-Leineneinband, 21 x 14 cm, 151 Seiten

Heye, Artur im Namibiana-Buchangebot

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