Die deutsche Medizin erobert Togo, von Günter Rutkowski

Die deutsche Medizin erobert Togo: Beispiel des Nachtigal-Krankenhauses in Klein-Popo (Anecho), 1884-1914, von Günter Rutkowski. Diplomica Verlag. Hamburg, 2012. ISBN 9783842883352 / ISBN 978-3-8428-8335-2

Die deutsche Medizin erobert Togo: Beispiel des Nachtigal-Krankenhauses in Klein-Popo (Anecho), 1884-1914, von Günter Rutkowski. Diplomica Verlag. Hamburg, 2012. ISBN 9783842883352 / ISBN 978-3-8428-8335-2

Aus der Einführung von Günter Rutkowskis Studie "Die deutsche Medizin erobert Togo: Beispiel des Nachtigal-Krankenhauses in Klein-Popo, dem heutigen Anecho, von 1884 bis 1914".

Günter Rutkowski  

[...] Thema dieser Untersuchung ist nicht, ob sich heutzutage Westafrikaner in Deutschland wohler fühlen oder eine bessere Behandlung erfahren. Vielmehr soll der Blick auf den Zeitabschnitt gerichtet werden, in dem es scheinbar anders war, eine Zeit, in der die Arzt-Patienten-Beziehung von Angst seitens des Behandelten und medizinischwissenschaftlichem Draufgängertum seitens der Heilkundigen geprägt war. Klagen über die „deutsche Medizin" erscheinen dem modernen wie dem zeitgenössischen Europäer umso befremdlicher, als er doch den Fortschritt in die „Wildnis" brachte. Westliche Medizin als solche war nicht allen Bewohnern von Togo unbekannt. Im englischen Gebiet hatten nämlich schon länger britisch geschulte Ärzte praktiziert. Dennoch bedeutete die plötzliche Präsenz eines westlich orientierten Krankenhauses einen erheblichen Einschnitt in die traditionellen Denkweisen der Bevölkerung. Für die ansonsten recht tolerante Schwester Johanna Wittum stellten die traditionellen Fetischpriester, die auch für die Heilkunde zuständig waren, offensichtlich die Personifizierungen der Hölle dar. Es muss also erhebliche Unterschiede in den Ansichten gegeben haben. Der Wert des medizinischen Einsatzes der Deutschen wird kontrovers beurteilt. Sozialistisch geprägte Historiker wie Peter Sebald sagen dem Medizinalwesen eine bedeutende imperialistische Funktion nach, indem es die Gesundheit der „Ware Arbeitskraft" förderte und die Kolonisatoren durch das Vorhandensein einer hoch-wertigen Medizin, so wie sie es von zu Hause her kannten, motivieren sollte. Für den Medizinhistoriker Wolfgang Eckart stellten die Humanexperimente (Pockenimpf-kampagnen und Schlafkrankheitsexperimente), die auch von den Regierungsärzten durchgeführt wurden bzw. unterstützt werden mussten, das Hauptmerkmal deutscher Machtausübung im Medizinbereich dar. Das Land mit der darin befindlichen Bevölkerung wurde quasi zum Großlabor deutscher Wissenschaftler, die ihre Forschungen meist nicht aus uneigennützigen Gründen durchführten. Die Erinnerungen von Zeitgenossen wie des Dr. Külz oder der Rotkreuzschwester Johanna Wittum zeichnen dagegen in erster Linie ein (über)positives, humanitär-karitatives Bild ihres Wirkens in einer schwierigen Umgebung zum Wohle der Deutschen und der afrikanischen Bevölkerung. Dem Widerspruch zwischen zeitgenössischen Aussagen und späterer historischer Würdigung soll in dieser Studie nachgegangen werden. War die sogenannte „Musterkolonie" unter den deutschen Schutzgebieten auch medizinisch mustergültig? Diese Frage gewinnt dadurch an Schärfe, dass man weiß, dass spätere NS-Größen wie Claus Schilling in Togo nicht nur eine Praxis für Afrikaner betrieben, sondern an diesen zugleich auch ihre ersten fragwürdigen kolonialmedizinischen Experimente vornahmen. Die Zahl der kolonialen Besitzungen des deutschen Kaiserreichs ist überschaubar gewesen. Dennoch gab es signifikante Unterschiede in der Verwaltung und medizinischen Versorgung. Die Hauptursache lag in der relativen Unabhängigkeit der verschiedenen Gouvernements; es gab nie einheitliches „Kolonialgesetzbuch". Das einige Male ergänzte „Gesetz, betr. die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete" (SchGG) vom 17. April 1886 hatte eher den Charakter eines Grundgesetzes, welches in erster Linie die ausschließliche Zuständigkeit des deutschen Kaisers, die Kompetenzen zur Rechtssetzung sowie die Rechtsverhältnisse und Rechtsfolgen für „Eingeborene" regelte8. In Togo fehlten sowohl ein kodifiziertes Eingeborenenstrafrecht als auch ein Zivilrecht.9 Vorgaben des Reichskolonialamtes wurden nicht immer umgesetzt.10 Den „Ehrentitel" einer „Musterkolonie" erwarb sich das Schutzgebiet Togo(land) nicht durch vorbildliches Verhalten der Kolonialherren oder ein optimal funktionierendes Gesundheitswesen auf modernstem Stand, sondern durch den geringsten Schaden, den es dem Reich zufügte. Es gab keine langanhaltenden und im Reich pressewirksamen Massenaufstände der ortsansässigen Bevölkerung und wenig volkswirtschaftliche Verluste. [...]

Dies ist ein Auszug aus der Studie 'Die deutsche Medizin erobert Togo', von Günter Rutkowski.

Titel: Die deutsche Medizin erobert Togo
Untertitel: Beispiel des Nachtigal-Krankenhauses in Klein-Popo (Anecho), 1884-1914
Autor: Günter Rutkowski
Verlag: Diplomica Verlag
Hamburg, 2012
ISBN 9783842883352 / ISBN 978-3-8428-8335-2
Broschur, 16 x 22 cm, 128 Seiten, 11 Abbildungen

Rutkowski, Günter im Namibiana-Buchangebot

Die deutsche Medizin erobert Togo

Die deutsche Medizin erobert Togo

Die deutsche Medizin erobert Togo: Beispiel des Nachtigal-Krankenhauses in Klein-Popo, dem heutigen Anecho, von 1884 bis 1914.