Deutsche in der Fremdenlegion 1870-1965. Mythen und Realitäten, Teil 1, von Eckard Michels

Deutsche in der Fremdenlegion 1870-1965. Mythen und Realitäten, Teil 1, von Eckard Michels.

Deutsche in der Fremdenlegion 1870-1965. Mythen und Realitäten, Teil 1, von Eckard Michels.

Historische Legenden über Deutsche in der Fremdenlegion in der Zeit von 1870-1965 erfahren durch das Buch von Eckard Michels erstmals interessante Korrekturen und Relativierung. Dies ist Teil 1 des Auszuges.

Eckard Michels  

„Wir haben von Tonkin bis Kotschin-China auf den Grabkreuzen fast ausschließlich als Geburtsort Städte und Dörfer gefunden, die zwischen Königsberg und Trier, Hamburg und München lagen. Wir haben außerdem weit über hundert einzelne Legionäre von Saigon bis Hanoi gesprochen und dabei festgestellt, daß mehr als achtzig Prozent in den Kompanien Deutsche waren. Multipliziert man diese Zahl mit den eingesetzten Legionsverbänden, dann ist die Schätzung von 30.000 Deutschen in Indochina gefährlich niedrig."

Diese Zeilen schrieb der Korrespondent Adalbert Weinstein am 8.12.1954 nach einer mehrwöchigen Rundreise durch das vom Krieg zerrissene Indochina in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Sein Artikel bediente wie so viele andere das seit Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland weitverbreitete Klischee, daß die 1831 gegründete, berühmt-berüchtigte französische Fremdenlegion hauptsächlich aus Deutschen bestehe. Tatsächlich stellten deutsche Staatsbürger dreimal in der Geschichte der Söldnertruppe über die Hälfte der Legionäre: in den zwei Jahrzehnten nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, erneut Mitte der zwanziger Jahre und zum letzten Mal auf dem Höhepunkt des Indochinakriegs 1953/54. Doch wie viele Deutsche dienten tatsächlich in der Legion? Wer waren sie und wie waren sie in die Legion geraten? Welches Schicksal erwartete sie dort? Was ist Wahrheit, was Legende? Wer bislang Antwort auf diese Fragen gesucht hat, mußte erstaunt feststellen, daß das Thema Deutsche in der Fremdenlegion von der Geschichtsschreibung bisher ignoriert worden ist.

Diese historiographische Lücke ist um so bemerkenswerter, als wohl keine ausländische militärische Institution die Deutschen in den ersten sechs Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts so beschäftigt hat wie die französische Fremdenlegion. Im Mai 1914 beispielsweise erklärte der SPD-Abgeordnete Hermann Wendel im Reichstag, man könne „geradezu von einer Art Seuche reden, von einer Art Legionitis, deren Symptome darin bestehen, daß der Befallene überall geheimnisvolle Werber für die Legion in Deutschland entdeckt".1 Die Anfälle der von Wendel konstatierten „Legionitis" wiederholten sich in den zwanziger und erneut in den fünfziger Jahren. Noch 1957 schrieb die Pariser Zeitung „Le Figaro" anläßlich anhaltender Diskussionen in der Bundesrepublik um die im Algerienkrieg eingesetzten Fremdenlegionäre: „Wenn man mit den Deutschen über die Fremdenlegion spricht, wird man immer auf Neugierde oder Ablehnung, nie aber auf Gleichgültigkeit stoßen."2

Die überproportional hohe Zahl von Deutschen in der Legion war nicht der einzige Grund dafür, daß sich die deutsche Öffentlichkeit intensiv mit der Fremdenlegion befaßte. Unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg erreichte die nationale Psychose um die französische Söldnertruppe ihre auch im Vergleich zu späteren Jahrzehnten größte Intensität. Dabei war zu diesem Zeitpunkt der deutsche Anteil in der damals ohnehin nur etwa 12.000 Mann zählenden Fremdenlegion schon seit mehr als einem Jahrzehnt kontinuierlich im Sinken begriffen. Die deutsche Beschäftigung mit dieser französischen Institution war vielmehr, unabhängig von der tatsächlichen Zahl der Deutschen in der Legion, auch immer Ausdruck für den Stand der deutsch-französischen Beziehungen.

Das vorliegende Buch schildert folglich nicht nur das Schicksal der Deutschen in der Fremdenlegion und ihre Bedeutung für die Kolonialkriege der Dritten, Vierten und Fünften französischen Republik. Es untersucht zugleich die politisch-propagandistische Instrumentalisierung der Fremdenlegion von deutscher Seite und die französischen Reaktionen darauf. Über die Fremdenlegion wurde in Deutschland bis in die fünfziger Jahre hinein eine fast unüberschaubare Zahl von Büchern und Broschüren veröffentlicht. Man verfaßte Lieder und Bühnenstücke gegen sie. Noch 1958 belegte der Schlagersänger Freddy Quinn mit seinem Lied „Der Legionär" drei Wochen lang Platz eins der deutschen Hitparade.

Die Warnung vor der Fremdenlegion gehörte im Kaiserreich und in der Weimarer Republik zum Lehrplan der Schulen. Zeitweise wurde der Fremdenlegion in Deutschland mehr Aufmerksamkeit zuteil als in Frankreich selbst. Praktisch alle öffentlichen Äußerungen in Deutschland stellten die Söldnertruppe als menschenverschlingenden Moloch dar, in dem vornehmlich Deutsche für die französischen Interessen geopfert würden. Trotz aller Diskussionen um diese Institution war allerdings kaum etwas Konkretes über Struktur und Aufgaben der Fremdenlegion sowie Zahl und Schicksal der Deutschen in ihr zu erfahren. Vielmehr wurden meist Klischees, Mutmaßungen und Unterstellungen verbreitet, welche die deutsche Öffentlichkeit allzu bereit und kritiklos aufgriff. Sie fanden Eingang in den Schatz historischer Mythen und moderner Märchen.

Doch ebenso, wie einstmals die Fremdenlegion die Gemüter in Deutschland in starkem Maße beschäftigt hat, legte sich seit 1962 ein Mantel des Schweigens über sie. Mit dem Ende des Algerienkrieges 1962, der beinahe auch die Auflösung der Fremdenlegion nach sich gezogen hätte, ging zugleich die fast ein Jahrhundert dauernde starke deutsche Präsenz in der Söldnertruppe abrupt zu Ende. Der Anteil der Deutschen in der Legion sank von etwa 35 % bei Ende des Algerienkrieges 1962 innerhalb eines Jahrzehnts auf unter 20 % und beläuft sich Ende der neunziger Jahre auf nur noch etwa 10%. Innerhalb weniger Jahre schrumpfte die Legion außerdem von 19.000 Soldaten auf 7.500.

Nicht nur die zeitgenössische deutsche Öffentlichkeit verlor mit dem Ende des Algerienkrieges fast schlagartig das Interesse an der Söldnertruppe. Auch die Historiker haben seitdem dieses einstmals heftig umstrittene und nach wie vor mythenträchtige Kapitel der deutsch-französischen Beziehungen gemieden.3 Dabei erfreuen sich ansonsten die deutsch-französischen Beziehungen durchaus eines regen Forschungsinteresses. Daß die Rolle der Fremdenlegion im deutsch-französischen Verhältnis bislang noch nicht historiographisch aufgearbeitet worden ist, lag zum einen sicherlich an der bis vor wenigen Jahren mangelnden Zugänglichkeit der französischen militärgeschichtlichen Quellen zum Indochina- und Algerienkrieg. Diese sind der Forschung erst seit Ende der achtziger Jahre schrittweise zur Benutzung freigegeben worden.

Die jüngsten, für dieses Buch ausgewerteten Bestände im französischen Militärarchiv in Vincennes stehen den Historikern sogar erst seit Anfang 1995 zur Verfügung. Doch die Forschungslücke gab es sicherlich auch, weil vor allem deutsche Historiker nach wie vor zögern, sich im weitesten Sinne militärgeschichtlichen Themen oder auch nur der Erforschung des Einflusses von militärischen Faktoren auf historische Prozesse zuzuwenden oder überhaupt militärische Quellen auszuwerten.4 Während bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein in Deutschland jährlich mehr Bücher über die Fremdenlegion veröffentlicht worden sind als in Frankreich selbst, hat sich das Verhältnis nunmehr umgekehrt: Obwohl ein anhaltendes Interesse für die Söldnertruppe auch in Deutschland insbesondere bei historischen Laien festzustellen ist5, hat es hierzulande bislang nicht einmal eine kritische und gut recherchierte Gesamtdarstellung ihrer Geschichte gegeben.

Zum zweiten Teil und zum Inhaltsverzeichnis:

Fußnoten aus Deutsche in der Fremdenlegion:

1. Verhandlungen des Reichstages, Bd. 295, S. 8845 (Sitzung vom 8.5.1914).

2. Le Figaro, 18.6.1957.

3. Fünf Studien befassen sich mit Teilaspekten des Themas, wenn auch ohne Rückgriff auf französisches Archivmaterial und ohne Anspruch auf eine umfassende historiographische Aufarbeitung. Das soziale Profil deutscher Freiwilliger für die Fremdenlegion in den fünfziger Jahren untersuchte der Sozialpädagoge Heinrich Nieder, Die Auswirkungen der Anziehungskraft der Fremdenlegion - Legion Etrangere - auf Deutsche. Eine sozialwissenschaftliche Studie, Diss. phil. Universität Erlangen 1962. In seinem Buch Le Boudin. Deutsche Fremdenlegionäre der Nachkriegszeit, Berlin 1990, veröffentlichte der Journalist Detlef Michelers acht Interviews mit ehemaligen Legionären. Die Magisterarbeit von Claudia Meyer, Deutsche in der Fremdenlegion 1945-1955, 1994 an der Universität Köln eingereicht, ist die erste geschichtswissenschaftliche Untersuchung zum Thema. Sie bleibt aber in vielen Bereichen leider spekulativ, da sie sich nur auf die Archivalien des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes stützt und sich somit dem Thema in einem rein diplomatie- und sozialgeschichtlichen Ansatz nähert, der die französische Seite zudem vollkommen ausklammert. Der Aufsatz von Mane-Louise Christadler, Vorbild und Schreckensbild. Die Fremdenlegion in der deutschen Literatur und Propaganda vor 1914, in: Frankreich aus deutscher Sicht 1871-1914, herausgegeben von Michel Grunewald und Helga Abret, Frankfurt 1995, S. 63-77 beschränkt sich auf eine textimanente Interpretation zeitgenössischer deutscher Literatur, ohne die außenpolitischen Rahmenbedingungen und Akteure zu berücksichtigen, die maßgeblich für die Entwicklung der deutsche Propaganda gegen die Söldnertruppe waren. Zur Haltung der Bundesrepublik gegenüber der Fremdenlegion während des Algerienkrieges vgl. Jean-Paul Cahn, La Republique Federale d'Allemagne et la question de la presence d'Allemands dans la Legion Etrangere Francaise dans le contexte de la guerre d'Algerie 1954-1962, in: Guerres mondiales et conflits contemporains, Bd. 47 (1997) Heft 186, S. 95-120.

4. Ein bezeichnendes Beispiel hierfür wird in der vorliegenden Studie in Kapitel 5 behandelt: Es gibt mittlerweile eine große Zahl von Studien zum deutschen Exil in Frankreich und zu den 1939/40 von den französischen Behörden eingerichteten Internierungslagern für die deutschen Emigranten. In einigen Studien wird über die Zahl der 1939/40 während der Internierung angeworbenen NS-Gegner durch die Fremdenlegion spekuliert. Doch kein Historiker hat bislang den eigentlich naheliegenden Gang in das französische Militärarchiv in Vincennes getan, um zu überprüfen, ob hier vielleicht Quellen lagern, die über die tatsächliche französische Anwerbungspraxis und die Zahl der damals Rekrutierten Aufschluß geben könnten. Für die deutsche Zeitgeschichtsforschung ist die Geringschätzung der historischen Bedeutung militärischer Faktoren beispielsweise auch bei der Beschäftigung mit dem Dritten Reich festzustellen: In Gesamtdarstellungen zur Geschichte und Strukur des NS-Systems ist von der eigentlichen Kriegführung und den Streitkräften, insbesondere in der zweiten Kriegshälfte, meist nur wenig oder gar nicht die Rede. Dabei konzentrierte das Regime alle Kräfte gerade hierauf und Hitler widmete sich während des letzten Drittels seiner Herrschaft fast ausschließlich militärischen Aspekten. Einige kritische Anmerkungen zur bisherigen Vernachlässigung der militärischen Dimension in der deutschen Zeitgeschichtsforschung zum Dritten Reich finden sich bei Bernd Wegner, Erschriebene Siege. Franz Halder, die ,Historical Division' und die Rekonstruktion des Zweiten Weltkrieges im Geiste des deutschen Generalstabes, in: Politischer Wandel, organisierte Gewalt und nationale Sicherheit. Beiträge zur neueren Geschichte Deutschlands und Frankreichs, herausgegeben von Ernst Willi Hansen, Gerhard Schreiber und Bernd Wegner, München 1995, S. 287-304, hier S. 300f.

Dies ist Teil 1 des Auzuges aus dem Buch: Deutsche in der Fremdenlegion 1870-1965. Mythen und Realitäten, von Eckard Michels.

Buchtitel: Deutsche in der Fremdenlegion 1870-1965
Untertitel: Mythen und Realitäten
Autor: Eckard Michels
Reihe: Krieg in der Geschichte, Band 2
Verlag: Ferdinand Schöningh
4. Auflage, Paderborn, München, Wien, Zürich 2002
ISBN-10: 3506757180
ISBN-13: 9783506757180
Kartoneinband, 16x24 cm, 362 Seiten, zahlreiche sw-Abbildungen

Michels, Eckard im Namibiana-Buchangebot

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