Der Sand der Namib, von Hellmut Lemmer

Der Sand der Namib, von Hellmut Lemmer. Universitätsverlag Brockmeyer. Bochum, 2014. ISBN 9783819609657 / ISBN 978-3-8196-0965-7

Der Sand der Namib, von Hellmut Lemmer. Universitätsverlag Brockmeyer. Bochum, 2014. ISBN 9783819609657 / ISBN 978-3-8196-0965-7

In dem folgenden Auszug aus Hellmut Lemmers Südwestafria-Roman 'Der Sand der Namib' ist der mühevolle Treck mit dem Ochsenwagen nach der Ankunft in Swakopmund in den fernen Norden der deutschen Kolonie beschrieben.

Hellmut Lemmer  

[...] Eine Meute von dürren Hunden trottet neben dem Zug. Nicht selten trifft sie ein wütender Tritt. Sie warten hungernd darauf, irgendwann vielleicht einen hingeworfenen Brocken gierig zu verschlingen. In der Nachhut gibt es noch einige Ochsen zur Reserve, die für den Notfall gebraucht werden. Auch ein paar Schafe werden mitgeführt, damit es unterwegs frisches Fleisch gibt. Über zwei Wochen lang dauert die Fahrt bis hinauf ins Ovamboland; die Tagesleistung liegt zwischen 15 und 25 Kilometern. Das Land ist jetzt nach der Regenzeit schon wieder ziemlich ausgetrocknet. Die Flüsse führen kaum noch oder gar kein Wasser mehr. Nur breite Sandrinnen, Rivier genannt, kennzeichnen den Verlauf. Am Ufer der ausgetrockneten Flüsse wachsen lediglich ein paar Stechäpfel oder auch einzelne Sträucher von wildem Tabak, manchmal einige Rhizinusbüsche. Aber in der Regenzeit soll es hier sogar Heuschreckenschwärme geben und Scharen von Trappvögeln. So weiß Jakob zu berichten, ein schwarzer Treiber, der bei der Taufe den christlichen Namen angenommen hat. Es soll Pflanzen geben, die sich nur durch ihre Wurzeln im Boden viele Jahre lang ohne Niederschläge halten, ohne abzusterben. Nichts sieht man mehr an der Oberfläche. Aber wenn es dann wieder Wasser gibt, schießen sie empor. Sie entwickeln sich zu Gräsern, Kräutern und Büschen. Man ist erstaunt über das Leben, das praktisch aus dem Nichts entsteht. Plötzlich sind dann auch Grashüpfer da oder Eidechsen und Käfer. Man kann sogar Warane und Leguane entdek-ken und weiß sich nicht zu erklären, woher sie kommen. Wenn nichts anderes zu bekommen ist, ernährt man sich hier von Biltong, steinhartem, knisterdürrem Fleisch, das in fingerdünne Streifen geschnitten und an der Luft getrocknet worden ist. Man kann es einfach so essen und darauf herumkauen. Aber Jakob zeigt ihnen auch, wie man es in Wasser aufweicht und dann in einer Soße aus Kräutern und dunkelbraunem Fett in einem Blechnapf zubereitet, den man über einem kleinen Feuer schwenkt. Die Vorteile dieses Fleisches sind, dass es nur ein sehr geringes Gewicht hat und praktisch unbegrenzt haltbar ist. Manchmal fahren sie, wenn die Ochsen in der Mittagshitze geschnauft haben und einfach nicht mehr weiter wollten, endlich stehen geblieben sind und missmutig mit den Füßen den glühenden Sand gestampft haben, abends noch ein Stück weiter, obwohl die Dämmerung schon einbricht. Bei dem hellen Mondschein kann man ohne weiteres noch zwei Stunden in der Nacht fahren. Es ist so hell, dass nicht einmal die großen Laternen an den Wagen angezündet werden müssen. Der Treckführer verkriecht sich dann in seinen Wagen. Er legt sich in das mit Riemen an der Wagendecke aufgehängte Bett, das ihn die Stöße des ungefederten Wagens kaum spüren lässt. Ständig trinkt er Alkohol. Allein abends, wenn man es beobachten kann, leert er regelmäßig mindestens eine halbe Flasche Weinbrand. Was er tagsüber noch trinkt, entgeht der Aufmerksamkeit. Natürlich sei das alles nur, um gegen die Malaria immun zu sein. Manchmal macht er Wilhelmine gegenüber leicht anstößige Bemerkungen oder er zwinkert ihr auffordernd zu. Sie überlegt, ob sie es Karl mitteilen muss, doch sie will den Frieden nicht stören und versucht die Anzüglichkeiten zu überhören. Als sogenannter alter Afrikaner, eine aussterbende Spezies, die allein für sich in Anspruch nimmt, die afrikanische Wirklichkeit zu kennen, ist er allen Neuankömmlingen gegenüber misstrauisch und überheblich eingestellt. Aber wenn man zusammensitzt, erzählt er doch gern die alten Geschichten, z.B. von den ersten Ochsenwagen, die das Land befuhren. Von dem zusammengebrochenen Gefährt, das den Oranje von Süden überschritten hatte und dann verlassen von den Eingeborenen vorgefunden wurde: „Die Hottentotten wagten sich nicht an den Wagen heran. Nur aus weiter Ferne beobachteten sie das Wunder, das in ihr Land gekommen war. Sie fragten, ob die Wagenräder auf Bäumen wüchsen. Die schon am Meer gewesen waren, hielten den Wagen mit seinem weißen Zelt für ein Schiff, das aufs Land gekommen war. [...]

Dies ist ein Auszug aus dem Südwestafrika-Roman: Der Sand der Namib, von Hellmut Lemmer.

Titel: Der Sand der Namib
Genre: Roman
Autor: Hellmut Lemmer
Verlag: Universitätsverlag Brockmeyer
Bochum, 2014
ISBN 9783819609657 / ISBN 978-3-8196-0965-7
Broschur, 12 x 19 cm, 372 Seiten

Lemmer, Hellmut im Namibiana-Buchangebot

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