Das lange Schweigen, von Etienne van Heerden

Das lange Schweigen, von Etienne van Heerden. C. Bertelsmann Verlag. München, 2000. ISBN 3570008061 / ISBN 3-570-00806-1

Das lange Schweigen, von Etienne van Heerden. C. Bertelsmann Verlag. München, 2000. ISBN 3570008061 / ISBN 3-570-00806-1

Etienne van Heerdens Südafrika-Epos »Das lange Schweigen« ist Spurensuche, Vergangenheitsbewältigung, Versöhnung und Sinnstiftung für eine vormals tief gespaltene Gesellschaft auf dem Weg in die Zukunft.

Etienne van Heerden  

Prolog

Nach und nach gewöhnten sich die Augen derer, die sich um den Eingang zur Höhle versammelten, an die Dunkelheit. Funkelnd nahm die Kutsche aus den Tiefen heraus Gestalt an. Die Vergangenheit traf die Menge wie ein Schlag vor die Brust, und sie wich zurück, weil sich die schwarze Kutsche in Bewegung zu setzen und auf sie zuzurollen schien. Doch das war nur eine optische Täuschung. Der Staub sank allmählich herab, und die Pupillen der Zuschauer weiteten sich, als sie unverwandt ins Dunkel starrten. Die Karosse glich einer Spukerscheinung, einer Geisterkutsche, über und über mit leuchtenden Glühwürmchen bedeckt, die sie zu bewachen schienen. Da sie in all der langen Zeit weder Lichtstrahlen noch menschlicher Berührung ausgesetzt gewesen war, war sie fast vollkommen erhalten. Ein Stalaktit war bis auf ihr Dach hinuntergetropft, und aus dem Boden der Grotte wuchsen Stalagmiten empor, als wollten sie sie von unten her verankern. Die Erde streckte ihre Finger aus, um dieses geisterhafte Gefährt zu beschützen. Auf dem Kutschbock saß ein weißes Skelett. Es war noch bekleidet, und an den Gerippen der sechs Pferde konnte man erkennen, dass sie im Geschirr gestorben waren. Auf ihren Schädeln wiegten sich Straußenfedern in der sanften Brise. Ingi Friedländer drängte sich nach vorn, um besser sehen zu können. Zwischen den Fingern des Gerippes steckte eine zur Hälfte gerauchte Zigarre, und mit der anderen Hand umklammerte es ein Dokument. Das Papier war alt, brüchig und vergilbt, und an den Rändern saßen ebenfalls funkelnde Leuchtkäfer. Die dritte Karte!, dachten alle gleichzeitig.

I.

Als Jonty Jack eines Morgens die Tür seines kleinen Hauses in der Schlucht oberhalb des Dorfes Tallejare aufstieß und ihm der Geruch von feuchten Farnen und alten Sägespänen in die Nase stieg, stand die Skulptur auf einmal dort, als sei sie, »Gott sei mein Zeuge«, sagte Jonty Jack, »als sei sie über Nacht aus dem Boden gewachsen«. Wann immer er die Geschichte in den Monaten nach dem Erscheinen der Skulptur erzählte, wurde Jonty von seinen Gefühlen förmlich überwältigt. »Der Fischmann hat einfach seinen Kopf durch die Sägespäne, die Rindenstücke und die alten Jointstummel gebohrt und ist taumelnd auf die Welt gekommen...« Trotz des landesweiten Ruhms, den ihm die Skulptur einbrachte, beharrte Jonty Jack starrköpfig darauf, die Figur des taumelnden Fischmannes stamme nicht von seiner Hand. Niemand schenkte ihm Glauben, da man im neuen Südafrika während dieses letzten Jahres des zwanzigsten Jahrhunderts geradezu verzweifelt auf der Suche nach außergewöhnlich begabten Künstlern war. »Meine Güte«, beschwerte sich Jonty später bei Ingi Friedländer, »dabei bin ich doch nur ein Holzschneider, ein Schnitzer, ein Tagedieb und ein Zyniker. Ich habe doch gar nicht das nötige Talent, um eine solche Statue zu erschaffen - dafür bin ich weiß Gott zu unbegabt.« Genau das sagte er zu Ingi Friedländer, als sie nach Tallejare reiste, um die Figur im Auftrag der Kapstädter Nationalgalerie für die Sondersammlung zu erwerben, die das Parlamentsgebäude schmücken sollte. Jonty erzählte ihr in allen Einzelheiten, wie er eines Morgens aus seinem Häuschen herausgekommen war, noch ein wenig benebelt von den Schnäpsen des vorherigen Abends, und auf einmal der Fischmann dort stand, größer als mannshoch, den Körper bogenförmig gekrümmt wie ein aus den Fluten springender Delfin oder wie ein sich flatternd von der Wasseroberfläche erhebender Schwan, kurz bevor er in die Lüfte stieg, die Füße noch im Nass, den Körper bereits in der Luft. Neben ihrer überschwänglichen Lebensfreude, das bemerkte Jonty sofort, ging von der Skulptur jedoch auch eine tiefe Traurigkeit aus. [...]

Dies ist ein Auszug aus dem Südafrika-Epos: Das lange Schweigen, von Etienne van Heerden.

Titel: Das lange Schweigen
Autor: Etienne van Heerden
Genre: Südafrika-Roman
Übersetzung: Stefanie Schäfer
C. Bertelsmann Verlag
München, 2000
ISBN 3570008061 / ISBN 3-570-00806-1
Originalkartoneinband, Original-Schutzumschlag, 15 x 22 cm, 508 Seiten

van Heerden, Etienne im Namibiana-Buchangebot

Das lange Schweigen

Das lange Schweigen

Das Südafrika-Epos "Das lange Schweigen" erschien 2000 unter dem afrikaansen Originaltitel "Die Swye van Mario Salviati".

30 nights in Amsterdam

30 nights in Amsterdam

30 Nights in Amsterdam was awarded the University of Johannesburg Prize for Creative Writing in Afrikaans, the W. A. Hofmeyr Prize, the M-Net Literary Award, the University of Johannesburg Prize and the Hertzog Prize.

Leap year

Leap year

The novel Leap Year, first published in Afrikaans as Die stoetmeester, was originally published in 1997 and this English edition has been out of print many years.

In love's place

In love's place

'In love's place' was originally published in Afrikaans as 'In stede van die liefde'.

Ancestral voices

Ancestral voices

Part murder mystery, part family saga, 'Ancestral Voices' is a stunning novel by one of the most accomplished writers to emerge from contemporary South Africa.

Ancestral Voices

Ancestral Voices

Ancestral Voices is a famous South African novel about rigid and fatal familiy conventions.

Geisterberg

Geisterberg

Der Südafrika-Roman "Geisterberg" erschien 1986 unter dem afrikaansen Titel "Toolberg" als Originalausgabe.