Burgers Tochter, von Nadine Gordimer

Burgers Tochter, Roman von Nadine Gordimer. Berliner Taschenbuch Verlag. Berlin, 2008. ISBN 9783833305986 / ISBN 978-3-8333-0598-6

Burgers Tochter, Roman von Nadine Gordimer. Berliner Taschenbuch Verlag. Berlin, 2008. ISBN 9783833305986 / ISBN 978-3-8333-0598-6

Wer niemals irgend etwas anderes über Südafrika lesen sollte, dem sei Nadine Gordimers Roman 'Burgers Tochter' empfohlen. Als Meisterin der literarischen Erinnerung war sie zu Lebezeiten ohne Konkurrenz.

Nadine Gordimer  

In der Gruppe von Leuten, die an der Festung warteten, stand ein Mädchen in braun-gelber Schulkleidung mit einer grünen Daunendecke über dem Arm und einer roten Wärmflasche, die es an der Öse am Schraubverschluß hielt. Einige Busse fuhren damals dort vorbei, und Fahrgäste, die hinausschauten, werden das Schulmädchen bemerkt haben. Man stelle sich vor, ein Schulmädchen: sie muß jemanden drinnen haben. Wer sind all diese Leute überhaupt? Selbst vom Oberstock eines Busses aus, der vorbeischlingerte, als die Ampel grün wurde, muß die Gruppe nicht ausgesehen haben, wie Gefängnisbesucher sonst, passiv und scheu auf dem Abhang mit städtischem Rasen. Das Schulmädchen stand weder in der ersten Reihe vor den Gefängnistoren, noch hielt es sich im Hintergrund. Da waren mehrere junge Männer in Rollkragenpullovern und veldskoen, Männer in Straßenanzügen, die sie selbstverständlich trugen wie eine zweite Haut, ein alter Mann mit zurückgeworfenem, weißflaumigem Kopf, Frauen, die sich in Hosen und Dufflecoats verkrochen hatten, eine in langem Rock und gehäkeltem Schal, zwei in eleganten Tweedkostümen mit Goldschmuck und Sonnenbrillen, die sie nicht zur Tarnung trugen, sondern um Gleichgültigkeit gegen Beachtung zu bekunden. Alle hatten sich nicht als Bittsteller vor dem Tor eingefunden, sondern eher als Eindringlinge. Alle hatten Pakete oder Tragetaschen bei sich. Die Stimmen der Frauen klangen hell und kräftig auf dem öffentlichen Platz, der weißhaarige Mann hatte zwei jungen Männern, mit denen er sich leise unterhielt, die Arme auf die Schultern gelegt, eine hochgewachsene blonde Frau ging mit aufreizender Entschlossenheit in der Gruppe hin und her. Sie war es, die sich von dem alten Mann den Spazierstock mit dem Hornknauf auslieh, um damit an das Tor zu klopfen, als drei Uhr vorbei war und sie immer noch da standen. Als sich darauf nichts rührte, zog sie ihre hochhackige Sandale aus und hämmerte damit ebenfalls gegen das Tor. Keinem war nach Lachen zumute, aber es kam Bewegung in die Gruppe, und man hörte beifällige Stimmen. Das Schulmädchen drängte mit den anderen vor und drehte den Kopf mit der kühnen Ermutigung, die sich alle mit den Blicken gewährten. Eine kleine Halbtür innerhalb des großen Doppeltors, nicht viel mehr als ein Schlitz, öffnete sich und ließ Augen unter einer Schirmmütze sehen. Das Gesicht der blonden Frau war so dicht an der Tür, daß der Wärter zurückfuhr und sich sofort wieder fing, aber sie hatte ihn so, wie ein Schießbudengewehr das plötzlich auftauchende Ziel trifft. »Ich wünsche mit dem Kommandanten zu sprechen ... uns wurde gesagt, wir könnten zwischen drei und vier Uhr Kleidung für die Häftlinge bringen. Jetzt stehen wir hier schon fünfundzwanzig Minuten, und die meisten von uns müssen wieder zu ihrer Arbeit.« Es gab eine Auseinandersetzung. Ein Mann mit einer Aktentasche kam, und die Gruppe ließ ihn rasch durch; er durfte durch eine andere Tür in dem großen Portal eintreten, und dann reichten die Männer und die Frauen einer nach dem anderen ihre Päckchen durch diese Tür, die verdunkelt war durch die Gestalten der Wärter. Das Schulmädchen gelangte nach vorn, nachdem andere ihm Platz gemacht hatten; Lionel Burgers Tochter, vierzehn Jahre alt, war an jenem Tag unter ihnen und brachte für ihre Mutter eine Daunendecke und eine Wärmflasche. Rosa Burger, damals ungefähr vierzehn Jahre alt, die da vor dem Gefängnis in einem braunen Rock, einem gelben Turnhemd und einen braunen Pullover mit gelben Streifen um den V-Ausschnitt, wartete, war klein für ihr Alter, leicht dickwadig (1. Hockey-Mannschaft), aber sonst ein Schmaltier. Ihr Haar war nicht frisch gewaschen, und die durch die dunklen Strähnen durchschimmernden Knorpel ihrer Ohrmuschel ließen ahnen, daß ihre Ohren, wenngleich verborgen, abstehend waren. [...]

Dies ist ein Auszug aus dem Roman: Burgers Tochter, von Nadine Gordimer.

Titel: Burgers Tochter
Autorin: Nadine Gordimer
Übersetzung: Margaret Carroux
Genre: Roman
Verlag: Berliner Taschenbuch Verlag
Berlin, 2008
ISBN 9783833305986 / ISBN 978-3-8333-0598-6
Originalbroschur, 12 x 18 cm, 461 Seiten

Gordimer, Nadine im Namibiana-Buchangebot

Burgers Tochter

Burgers Tochter

Der Südafrika-Roman 'Burgers Tochter' ist in radikal subjektiver, lakonisch schöner Prosa gefaßt.

Südafrika fürs Handgepäck

Südafrika fürs Handgepäck

Südafrika fürs Handgepäck ist eine Sammlung von Auszügen aus Klassikern der südafrikanischen Literatur.

Der Ehrengast

Der Ehrengast

Der berühmte Roman 'Der Ehrengast' ist eine poetische Parabel über das politische Dilemma Schwarzafrikas und die Geschichte einer großen Liebe.

Niemand, der mit mir geht

Niemand, der mit mir geht

Niemand, der mit mir geht ist ein leidenschaftlicher Roman von den politischen und gesellschaftlichen Veränderung in Südafrika.

Lifetimes under Apartheid

Lifetimes under Apartheid

Antiquarischer Titel