Am Finger Gottes, von Helmut Kaseler

Am Finger Gottes, von Helmut Kaseler.

Am Finger Gottes, von Helmut Kaseler. Eine deutsch-südafrikanische Familiensaga.

Henning Hellweg, alleiniger Erbe einer einflußreichen Bankendynastie und promovierter Historiker, gerät in den 1930er Jahren in die Auseinandersetzungen zwischen Buren und Briten. Vor dem Hintergrund des heraufziehenden Zweiten Weltkrieges vollzieht sich vor dem Leser der Wandel eines überaus facettenreichen Lebens, aufgezeigt anhand einer deutsch-südafrikanischen Familiensaga.

Helmut Kaseler  

Überaus schläfrig saß der große, alte Mann in seinem Schaukelstuhl auf der Veranda eines geräumigen Farmhauses in Südwestafrika und blickte unter bleiernen Augenlidern gedankenschwer auf sein bisheriges Leben zurück.Unweit, gegenüber diesem Anwesen, stand ein mittelgroßer, felsroter Tierschuppen, vor dessen dunkler Türöffnung zwei ungleiche Geschöpfe lagen, wobei der große, schwarzweißbraune Berner Sennenhund quer vor dieser Behausung bäuchlings ausgestreckt dalag, dabei den farblich ausdrucksstarken Kopf zwischen seine kräftigen, weißbraunen Vorderpfoten liegen hatte und zufrieden vor sich hindöste, während an seiner rechten Flanke, teilweise durch ihn verdeckt, ein wesentlich größeres, aus hellgelbem Fell bestehendes Wesen sich streckte und mehrmals die kräftigen Pranken abwechselnd in alle vier Himmelsrichtungen emporhob, um sich so das Rückenfell genußvoll auf dem rauhen, steinigen Felsenboden reiben zu können.

Aus dem ersten Kapitel: Die noch junge Löwin drehte ihren Kopf gegen das Fell des Berner Sennenhundes und begann, diesem langsam und liebevoll das schwarze, leichtgelockte Fellhaar auf seinem Rücken abzuschlecken. Behutsam, beinahe zärtlich, legte sie dabei eine Pranke um den Hals des Hundes. Aber dieser blinzelte nur kurz und setzte zufrieden sein Dahindösen fort, indem er ruhig weiterschnaufte. Es handelte sich hier offenbar um eine nicht so häufig vorkommende Tierfreundschaft, die, wenn man sie aber einmal kennenlernen darf, dem Menschen das Gefühl verleiht, er befinde sich im Paradies.

Knarrend, mit einem Geräusch als rieben zwei alte ausgedorrte Baumäste aneinander, bewegte sich der bastgeflochtene Schaukelstuhl in langsamem Vorwärts- und Rückwärtspendeln auf der Veranda hin und her. Die Kleidung des auf ihm ruhenden großen Mannes aber entsprach wohl ziemlich seinem Alter. Die beigebraune ungebügelte, weil mittlerweile aus der Fassung geratene Manchesterhose war an vielen Stellen, besonders an den Knien, stark abgewetzt.

Auch sein offenbar sehr altes Flanellhemd wirkte leicht ramponiert. An einer Stelle war an seinem linken Ärmel ein Flicken aufgenäht. An der Kragenoberkante befanden sich die typischen Auflösungserscheinungen, die vom Aufreiben des Stoffes durch männliche Bart- oder Haarstoppeln herrührten. Im Gegensatz dazu aber trug er an seinem linken Handgelenk eine sehr kostbare Armbanduhr.

Sie war in ihrem Gehäuserand mit Brillanten besetzt und lugte bei jedem Zurückschwenken des Schaukelstuhles kurz aufblitzend hervor. Dadurch fiel der Blick des Betrachters unwillkürlich immer wieder auf das an der Kopflehne ruhende Haupt des schläfrigen Mannes. Sein Haar war ergraut und zeigte an den Schläfen einen schlohweißen Ansatz. Auch die Augenbrauen waren fast vollständig mit weißgrauen Haaren bedeckt.

Die müden Augenlider blieben vorerst fest geschlossen, was aber dennoch seinem Gesichtsausdruck etwas Aristokratisches verlieh. Die Proportionen des Kopfes waren symmetrisch, sehr harmonisch geschnitten und zeigten zudem asketische und kultiviert wirkende Gesichtszüge, wobei die unteren Mundfalten stark eingekerbt waren. Das Kinn war prägnant, aber nicht zu stark ausgeprägt, was dem Gesicht des Mannes letztlich eine sehr männliche und markante Note verlieh. Ab und zu hoben sich die Augenlider des Ruhenden etwas, und sein suchender Blick schweifte hinüber zu den beiden so ungleichen Tieren vor dem Schuppen.

Ein feines, kaum wahrzunehmendes Lächeln des Erkennens zeigte sich dabei um die Mundwinkel des langsam Dahinschaukelnden, während seine offenbar zu müden Augenlider sich wieder schlossen. Er schien wohl wieder mit seinen Sinnen in eine weite, vergangene Welt entschwunden zu sein. Wohin mochten seine Träume ihn entführt haben? An den Anfang zurück?

Welches Leben spulte der große alte Mann in seinem Schaukelstuhl auf der Veranda eines Farmhauses ruhend, hier in Südwestafrika ab? Wie kam überhaupt ein so schöner Berner Sennenhund in diese felsige südwestafrikanische Landschaft zwischen Mariental und Keetmanshoop und hatte zudem noch eine junge Löwin zur Gefährtin?

Um diese und andere Fragen beantwortet zu bekommen, wenden wir uns gemeinsam dem Wesen und der Geschichte des großen, ruhenden Mannes zu und tauchen damit ein in eine Welt, die sich allein in diesem müden, schläfrigen Kopf auf einem Schaukelstuhl abspulte. Begeben wir uns dazu in jene Gegend, in der das Schicksal dieses alten Mannes, der gerade auf der Veranda einer Farm in Südwestafrika ausruhte, einst begonnen hatte: Kehren wir deshalb zurück nach Deutschland und tauchen dort unmittelbar ein in eine norddeutsche Idylle.

Dichte Nebelschwaden wallten nahezu vollständig um die herbstlich farbenprächtige Landschaft an der Elbe bei Blankenese und beherrschten hier noch immer jene Vormittagsstunden des letzten Oktobertages im Jahre 1930. Während dieser Jahreszeit wölbte sich sehr häufig ein blaßblauer, milchigweiß aussehender Himmel, der nur ab und zu, durch die dichten Nebelbänke bedingt, einzelne Lichtreflexe der Sonnenstrahlen auf die schwach kräuselnden Wellenkämme des Flusses durchscheinen und - wenn es doch einmal geschah, wie eben auch an jenem Reformationstage - die seichten Wellenspitzen dann wie Abertausende kleiner Blitze aufblinken ließ.

Ähnlich dem leichtwelligen Wasser der Elbe, welches sich durch diese im zähen Dunst daliegende norddeutsche Szenerie träge westwärts wälzte, blickten viele deutsche Menschen an den Ufern des hier recht breiten Stromes und im übrigen großen, mittlerweile so geschundenen Land, verzweifelt in eine ungewisse Zukunft. Entgegen dem ewigen, unbekannten Urstrom im Leben der dort ansässigen Menschen aber, war Deutschlands große Wasserader zum zweiten Mal nach ihrem spektakulären Durchbruch im fernen Elbsandsteingebirge Sachsens, hier nun an ihrem nicht minder attraktiven letzten landschaftlichen Höhepunkte angelangt.

Bis zur Mündung bei Cuxhaven fließt der große Fluß von diesem Standorte ab die restlichen einhundert Kilometer nur noch in ruhigem, gleichmäßigen Tempo, ohne weitere landschaftliche Höhepunkte und Windungen, behäbig zu seinem Ende an der deutschen Nordseeküste dahin.

Der sanfte, manchmal leichte, dann auch wieder etwas stärker hin und her wabernde Nebel versteckte auch in diesem Schicksalsjahr das mehrere hundert Meter entfernt gegenüberliegende Ufer zumeist vollständig und umhüllte so das Alte Land bei Cranz derart mit einem Dunstschleier, daß der dortige Küstensaum nur zu erahnen, keinesfalls aber zu erkennen war. Reger Schiffsverkehr hier vor Blankenese aber erinnerte zudem nachdrücklich daran, daß die größte deutsche Hafenstadt, Hamburg, mit ihrer in diesem Jahr immer noch regen Betriebsamkeit nur sehr wenige Kilometer weiter flußaufwärts gelegen ist. [...]

Dies ist ein Auszug aus dem Buch: Am Finger Gottes, von Helmut Kaseler.

Buchtitel: Am Finger Gottes
Autor: Helmut Kaseler
Selbstverlag
o.O., 2002
ISBN 3-00-008668-4
Broschur, 15x21 cm, 469 Seite

Kaseler, Helmut im Namibiana-Buchangebot

Am Finger Gottes

Am Finger Gottes

Roman über Geld, Macht und Liebe im südlichen Afrika der 30er Jahre

Weitere Buchempfehlungen

Padhaikoes uit Namibië

Padhaikoes uit Namibië

Padhaikoes uit Namibië en ander gedigte.

Die schönsten afrikanischen Tiergeschichten und Gedichte

Die schönsten afrikanischen Tiergeschichten und Gedichte

Wunderbare afrikanische Tiergeschichten, Erinnerungen und Gedichte, die die Autorin und Witwe Anne Maag in den 1930er Jahren und inmitten eines tragisch verlaufenden Lebens schrieb.

Oppikoppi: Auf Safari in Namibia

Oppikoppi: Auf Safari in Namibia

Das zweite Buch von Anna Mandus ist ein Namibia-Roman: Oppikoppi. Auf Safari in Namibia.