Namibias erste Wahlen sind nichts anderes als Selbstzweck, Teil 1, (1978), von Marion Gräfin Dönhoff

Namibias erste Wahlen sind nichts anderes als Selbstzweck, Teil 1, (1978), von Marion Gräfin Dönhoff

Namibias erste Wahlen sind nichts anderes als Selbstzweck, Teil 1, (1978), von Marion Gräfin Dönhoff

Dea Artikel Namibias erste Wahlen sind nichts anderes als Selbstzweck, schrieb Marion Gräfin Dönhoff im Jahr 1978. Zusammen mit anderen aus 30 Jahren Zeitgeschehen im südlichen Afrika, erschien dieser in ihrem Buch Der südafrikanische Teufelskreis.

Nun sind also die Wahlen in Namibia, dem alten Deutsch-Südwestafrika, abgeschlossen. Sie waren nicht nur heftig umstritten, sondern es waren wohl auch die seltsamsten Wahlen, die je stattgefunden haben. Seltsam, weil es erstens denjenigen, die gegen den erklärten Widerstand der UN und des Westens darauf bestanden haben, sie abzuhalten, gar nicht um das Wahlergebnis ging, sondern allein darum, den Wahlvorgang als solchen ablaufen zu lassen; weil es zweitens den Südafrikanern ganz klar ist, daß diese Wahlen »null und nichtig« sind, da ja ihre Herrschaft über Namibia als illegal angesehen wird; und drittens, weil sie wissen, daß eben darum vor Ablauf eines Jahres die gleichen Leute noch einmal zur Wahl, und zwar zu der einzig entscheidenden, der von den UN vorgeschriebenen Wahl gehen müssen.

Was sind die Motive für dieses seltsame Verhalten? Es gibt nur einen Grund, auch wenn dieser nie genannt wird: weil Wahlen nicht gleich Wahlen sind. Man muß einmal über die einsamen Straßen Namibias gefahren sein, durch die scheinbar endlose Steppe, wo man während vier und fünf Stunden nicht nur kein Auto, sondern auch keinen Menschen - weder einen weißen noch einen schwarzen - antrifft, um zu verstehen, daß dort Begriffe wie Gewaltenteilung oder Regierung und Opposition so fremd sind wie Atomenergie oder Mitbestimmung. Von alledem gibt es dort nur Regierung - und Regierung nur im Sinne von Herrschaft.

Es gibt den Häuptling des Stammes oder auch den Farmer. Natürlich üben beide auch bei der Wahl ihre Herrschaft aus und sagen den Leuten, wo sie ihr Kreuz machen sollen. Und wie man in allen Berichten der letzten Woche lesen konnte, haben diese es meist nicht einmal selbst gemacht, sondern den Wahlleiter gebeten, es für sie zu tun, denn die meisten von ihnen haben noch nie einen Stift in der Hand gehabt, und die Vorstellung, mit Papier und Tinte umgehen zu müssen, hat für sie etwas Beängstigendes. Die Beschwörung von »freien Wahlen« wird unter solchen Umständen einfach zum Geschwätz. Alle Leute tun dennoch so, als hinge alles davon ab, daß in Namibia freie Wahlen abgehalten werden.

Auch die fünf Außenminister des UN-Sicherheitsrates, unter ihnen Hans-Dietrich Genscher, die im Oktober nach Pretoria gereist waren, um eben dies sicherzustellen, und die damit nur dem südafrikanischen Regime Gelegenheit gaben, sein Prestige aufzuwerten, haben sich an diesem Ritual beteiligt. Die Organisation für Afrikanische Einheit sieht in der Wahl »nichts weiter als eine Farce«. Und die New York Times schreibt ganz betrübt, diese ersten Wahlen, die Namibia erlebt, seien bestenfalls als eine nutzlose Veranstaltung zu bezeichnen. Dies aber sind sie in den Augen der Veranstalter ganz und gar nicht. Deren Grund, die Wahlen abzuhalten, war folgender: Afrikaner haben ein sehr enges Verhältnis zur normativen Kraft des Faktischen; man anerkennt die Macht und ist geneigt, sich zu arrangieren. Darum ist die Frage, wem es gelingt, den Eindruck zu erwecken, er sei Herr der Situation, von entscheidender Bedeutung.

Seit Jahren wird die SWAPO von den Vereinten Nationen als »die einzig rechtmäßige Vertretung des namibischen Volkes« anerkannt. Darum ist die Identität von UN und SWAPO für die Bevölkerung so selbstverständlich geworden, daß die beiden Parteien, die Südafrika am nächsten stehen und die jetzt zur Wahl gingen - die »Turnhalle« und die AKTUR - fürchteten, das Erscheinen von siebentausend Blauhelmen als Ersatz für die abziehenden südafrikanischen Truppen würde den Eindruck erwecken, nun sei die SWAPO der neue Herr. Deshalb haben diese beiden Parteien darauf bestanden, den soeben beendeten Wahlgang den endgültigen Wahlen vorzuschalten. Sie wollten sich vor der Bevölkerung als Herr im Hause darstellen - und mit achtzig Prozent Wahlbeteiligung ist ihnen dies ja wohl auch gelungen.

Der Informationssekretär der SWAPO, Katjavivi, der mit dem Parteichef Sam Nujoma in Lusaka, der Hauptstadt Sambias residiert, erklärte zornig: »Das sind Wahlen mit vorgehaltenem Gewehr.« Wenn er damit auf die Anwesenheit großer Kontingente der südafrikanischen Armee anspielt, so mag dies zutreffen. Wenn aber in dem gleichen Gebiet sieben Monate lang Tausende von Blauhelmen für Ordnung sorgen - und das heißt doch: die SWAPO begünstigen, weil sie deren Schutzherr sind -, so wird dann mit umgekehrten Vorzeichen genau das gleiche praktiziert. Freie Wahlen in Namibia sind eben einfach eine Illusion.

Auch die zweiten Wahlen, die unter UN-Aufsicht vor sich gehen, werden nicht frei sein. Ja, sie werden vermutlich »noch unfreier« sein; das liegt allein schon daran, daß die Vereinten Nationen das Ergebnis, das die Wahl doch erst ermitteln müßte, bereits verkündet haben. »Die SWAPO repräsentiert die Mehrheit der Bevölkerung«, so jedenfalls formuliert es die Partei selbst. Und ferner ergibt sich dies aus dem Wesen der SWAPO und dem Naturell ihres Chefs Sam Nujoma, der im sambischen Exil elf seiner Führungskollegen hat einsperren lassen, weil sie ihn an der Etablierung einer autoritären Alleinherrschaft hindern wollten. Noch heute werden über eintausendfünfhundert SWAPO-Mitglieder, die seinen Kurs nicht mitmachen wollten, in Konzentrationslagern gefangengehalten, wie der Gründer der SWAPO, Andreas Shipanga, selbst erst vor wenigen Monaten aus dem Gefängnis heimgekehrt, mir in Windhuk erklärte.

Er sagte mir: »Der Westen hat offenbar nur einen Wunsch, Nujoma in Namibia an die Macht zu bringen.« In der Tat kann man über die Naivität der westlichen Afrikapolitik nur staunen. Zugegeben, daß den fünf Außenministern (USA, Großbritannien, Frankreich, Bundesrepublik, Kanada) durch die im Jahr 1973 verkündete Anerkennung der SWAPO »als einzig rechtmäßige Vertretung des namibischen Volkes« die Hände gebunden waren. Aber es sind offenbar auch keinerlei Anstalten gemacht worden, diese Handschellen ein wenig zu lockern, wozu während der letzten Monate durchaus Gelegenheit gewesen wäre. Die westliche Namibia- und Rhodesienpolitik - und darin eingeschlossen ist hinsichtlich Namibia auch die Politik der Bundesrepublik - geht, so scheint mir, von falschen Voraussetzungen aus.

In einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik heißt es: »Schwarzafrikanische Politiker sehen sehr genau, daß das Zusammenwirken von kolonialer Vergangenheit, umfassender ökonomischer Abhängigkeit vom westlichen Weltmarkt und militärischer Stärke Frankreichs, der USA und Großbritanniens im afrikanischen Raum eine ungleich größere und subtilere Herausforderung für die von ihnen gesuchte Eigenständigkeit bedeutet als der überwiegend militärisch definierte Einfluß des Ostens.« Ganz allgemein wird auch in Washington unterstellt, es sei in den ehemaligen Kolonialgebieten Afrikas die Sorge vor dem Neokolonialismus der früheren Herren so groß, daß die Russen von ihnen als Beschützer angesehen werden. Darum umwirbt der Westen die radikalen Frontstaaten und versucht ihre Gunst zu gewinnen. Auf diese Weise werden aber die Radikalen nur noch radikaler, denn sie können ja nicht gemäßigter sein als der Westen.

Früher mag es durchaus so gewesen sein, daß die Angst vor dem Neokolonialismus alles andere überschattete - heute sieht die Realität anders aus. Seit einiger Zeit, und zwar in wachsendem Maße, ist die Sorge der Frontstaaten darauf gerichtet, nur ja nicht zu abhängig von der Sowjetunion zu werden. Den meisten von ihnen wäre es sehr lieb, wenn die Amerikaner ihr Gewicht geltend machen würden, um der sowjetischen Expansion Einhalt zu gebieten - wenigstens verbal. Zwar würden sie selbst dann mit antikapitalistischer Entrüstung nicht sparen, aber im Grunde wären sie sehr zufrieden.

(Fortsetzung: weiter zu Teil 2)

Der Bericht Namibias erste Wahlen sind nichts anderes als Selbstzweck (1978), von Marion Gräfin Dönhoff, stammt aus dem folgenden Buch:

Buchtitel: Der südafrikanische Teufelskreis
Untertitel: Reportagen und Analysen aus drei Jahrzehnten
Autorin: Marion Gräfin Dönhoff
Deutsche Verlags-Anstalt
Stuttgart, 1987


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