Liebe zu einem „ungeliebten" Land (Südwestafrika)

Liebe zu einem „ungeliebten" Land: Pastor Gerhard Engel meinte damit Südwestafrika, als er diesen Leserbrief für die Allgemeine Zeitung Nr. 116 vom 17. Juni 1976 schrieb.

Liebe zu einem „ungeliebten" Land: Pastor Gerhard Engel meinte damit Südwestafrika, als er diesen Leserbrief für die Allgemeine Zeitung Nr. 116 vom 17. Juni 1976 schrieb.

Liebe zu einem „ungeliebten" Land: Pastor Gerhard Engel meinte damit Südwestafrika, als er diesen Leserbrief für die Allgemeine Zeitung Nr. 116 vom 17. Juni 1976 schrieb.

Heute, Pfingstsonntagabend, lief im deutschen Fernsehen der Film: „Auf dem Wege nach Namibia", ein Bericht über die Zukunft Südwestafrikas von Rolf Seelmann-Eggebert. „Wenn nicht ein Wunder geschieht, geht Südwestafrika den gleichen Weg wie Angola. Es ist bereits eine Minute nach 12." Ich konnte nicht schlafen. Meine Gedanken gingen zurück. „Traumland Südwest" hieß das Buch, welches mir Ende der sechziger Jahre in die Hände fiel. Ich war fasziniert. Eines Tages besuchte mich die Schwester Hanna Ristig. Über ein Jahrzehnt hatte sie die Missionsstation Okakarara im Hereroland geleitet, bis sie einen tragischen Unfall hatte. Sie erzählte viel von ihrem Südwest, und es wurde ein langer Abend. So reifte der Entschluß zum Besuch dieses Landes. Und dann saß ich mit meiner Frau in einer Maschine der SAA. Wir hatten unser Sparkonto geplündert und statt eines VWs Südwest gewählt - für sechs Wochen. Windhoek zunächst enttäuschend, eine Stadt wie tausend andere. Erst als wir auf Pad gehen, beginnt das Land zu leben. Singwoche In Okahandja, Besuche auf vielen Farmen. Unwahrscheinlich herzliche Aufnahme überall. Ihr lieben Sachses bei Tsumeb, Ihr Diekmanns bei Otjiwarongo und alle ihr anderen Freunde - es waren für uns unbeschreiblich schöne Wochen. Und dann sitzen wir wieder im Flugzeug und fliegen der Enge der Bundesrepublik Deutschland entgegen. Man sinnt manchem nach und merkt plötzlich, daß man sich verliebt hat, verliebt in ein Land. „Und solltet Ihr uns fragen, was hält Euch denn hier fest, wir können nur sagen, wir lieben Südwest." Während man die Melodie summt, versteht man plötzlich. Einige Jahre später. Beim Friseur starre ich auf eine Illustrierte. „Die häßlichen Deutschen von Südwestafrika" steht da. Da steht etwas von Namibia, Rassisten und Unterdrückung. Überall ist dieses Thema plötzlich aktuell. Man schreibt Leserbriefe, Proteste. Aber dann wird man müde. Die Zeit, die Welt scheint gegen Südwestafrika zu stehen. Dann hört man von Pastoren, die das Land aus Protest verlassen haben. Ja hat sich denn in der kurzen Zeit soviel verändert? Oder war man beim ersten Besuch blind gewesen? Und dann kommt der Entschluß: noch einmal hin, prüfen, helfen, ein Zeichen der Versöhnung setzen. Es folgt eine bewegte Reise, die mich kreuz und quer durch Südwest führt. Viele Versammlungen führe ich durch, jeden Tag und jede Nacht irgendwo anders Gespräche, Gespräche. Ich bin jetzt kritisch, manchmal sogar sehr kritisch. Aber es begegnen mir keine Rassisten, keine Unterdrücker, sondern Menschen, die sich Gedanken machen, viel Gedanken. Auch Menschen, die Angst haben und fragen: „Was sollen wir tun?" Ich beobachte das Verhältnis zu den Schwarzen, es war wie das Verhältnis von Vätern zu Kindern. Mit allen Belastungen, die auch solch ein Verwandtschaftsgrad mit sich bringt. Manchmal auch mit überheblichen Vätern und aufsässigen Kindern. Aber immer war es ein Verhältnis in dieser Relation. Die Welt ist heute in einem rasanten, geistigen Wandlungsprozeß. Wer ein paar Jahre in der „Abgeschiedenheit" verbringt, kommt oft nicht mehr mit. Südwest war bis jetzt in vieler Hinsicht eine Oase. Vieles, was die Welt bewegte, ging hier vorüber. Nicht daß die Menschen nicht Bescheid wissen, was geschieht und die Welt bewegt. Ich stellte immer wieder fest, es wird mehr gelesen und diskutiert als anderswo. Aber dieses Wissen führt nicht zu einer Veränderung. Und vielleicht ist für viele genau das der Grund, dieses Land zu lieben. Eine Lebensart zu lieben, die es sonst auf diesem Planeten Erde kaum noch gibt. Aber die letzten Oasen fallen. Die Kinder werden erwachsen und wollen selbst bestimmen. Die Erde wird an vielen Stellen vom Fieber geschüttelt. Angola war ein unübersehbares Zeichen. Viele Freunde hoffen, daß die „Turnhallengespräche" zu einem Ziel führen, daß eine friedliche Lösung gefunden wird und es noch nicht eine Minute nach 12 ist. Ich möchte so gerne noch einmal nach Südwest. Aber ich möchte nicht durch dieses herrliche Land fahren, so wie man heute durch Ostpreußen oder Schlesien fährt. Die Berge, die Landschaft ist die gleiche und doch... Ihr lieben Südwester, viele denken an Euch, viele Freunde zittern um Euch und viele beten für Euch. Neulich sagte jemand nach einem Diskussionsabend zu mir: „Paß auf, daß du nicht als Rassistenfreund abgestempelt wirst und Dir manches verdirbst." Rassistenfreund? Ich verabscheue Rassisten. Aber ich liebe Südwest, dieses „ungeliebte" Land.

Gerhard Engel, Pastor

Liebe zu einem „ungeliebten" Land: Eine Leserzuschrift von Pastor Gerhard Engel für die Allgemeine Zeitung Nr. 116 vom 17. Juni 1976

Anmerkung: Leider ist es uns nicht gelungen, biographische Angaben über Pastor Gerhard Engel zu finden. Wir sind daher über Hinweise von Freunden, ehemaligen Gemeindemitgliedern oder seiner Familie dankbar.


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