Der Schneewambo kommt aus der Bundesrepublik, von Robert von Lucius

Der Schneewambo kommt aus der Bundesrepublik: Deutsche Sprache und Kultur in Namibia nach der Unabhängigkeit gefährdet?' (Robert von Lucius)

Der Schneewambo kommt aus der Bundesrepublik: Deutsche Sprache und Kultur in Namibia nach der Unabhängigkeit gefährdet?' (Robert von Lucius)

In seinem Artikel 'Der Schneewambo kommt aus der Bundesrepublik: Deutsche Sprache und Kultur in Namibia nach der Unabhängigkeit gefährdet?' rührte der Journalist Robert von Lucius, kurz vor der Unabängigkeit Namibias, an eine dort brennende aber keinesfalls neue Frage. Wir konnten dieses Pressefundstück, das zusammengefaltet in einem antiquarischen Buch über Namibia lag, zunächst keiner bestimmten Zeitung und Ausgabedatum zuordnen. Ein freundlicher Hinweis des Verfassers im August 1923 schaffte dann Klarheit.

Robert von Lucius

WINDHUK, im Mai. Der „Dscherrie" - der Deutsche, der aus der Bundesrepublik kommt und nicht aus Südwestafrika/Namibia - hat viele Namen. Zu ihnen zählt der „Schneewambo" (Ovambo ist das größte Volk Namibias), der „Frischimportierte" oder der „Schneeschieber". Weniger phantasievoll sind die Windhuker bei ihren Straßennamen, trotz Sperlingslust und Schmerenbeck: Kaiserstraße, Peter-Müller-Straße, Poststraße. Auch Bismarck, Uhland oder Kolonialgestalten wie Henning von Burgsdorff werden geehrt. Touristen aus Deutschland haben ihre helle Freude an der Geltung der deutschen Sprache in der früheren Kolonie des Reiches. Wer im „Zentralkaffee", in der „Kaiserkrone" oder in der „Bauernstube" auf englisch bestellt, wird von deutsch antwortenden farbigen oder schwarzen Kellnern strafend angeschaut. Bleibt das auch in einem unabhängigen Namibia unter Kontrolle der Widerstandsbewegung Südwestafrikanische Volksorganisation, der Swapo? Die Chancen stehen nicht schlecht. Deutsche Südwester genießen bei ihren schwarzen Landsleuten einen besseren Ruf als Afrikaanssprachige, da sie sich oft mehr um Schwarze kümmern, in ihrer menschlichen und politischen Haltung offener sind. Kultur und Wissenschaft von der Südwestafrikanischen Wissenschaftlichen Gesellschaft bis zum Kunstverein gibt es eine Fülle von Initiativen -tragen überwiegend deutsche Südwester, obwohl sie nur etwa ein Viertel der weißen Bevölkerung stellen. Die Deutsche Höhere Privatschule in Windhuk gehört zu den deutschen Auslandsschulen mit den höchsten Zuschüssen aus Bonn. Die Interessengemeinschaft deutschsprachiger Südwester (IG) stützt seit vielen Jahren deutsche Sprache und Kultur, aber nicht deutschtümelnd, sondern im Bewußtsein, daß dies der schwarzen Bevölkerungsmehrheit dienen muß. Das blieb nicht unbemerkt. Die Swapo, deren Regierungsübernahme zum Jahresende erwartet wird, trotz des politischen Desasters ihres kriegerischen Einfalls im Norden Namibias, hatte im Jahre 1981 in einer umfangreichen Studie über ihre künftige Sprachpolitik in einem unabhängigen Namibia Englisch eindeutig den Vorzug gegeben. Afrikaans, derzeit die Umgangssprache der meisten Namibier, lehnt sie als „Sprache der Unterdrücker" ab. Dies sei das erste Mal, so die Studie, daß ein unabhängiger Staat sich für eine Sprache entscheiden werde, die weder die ihrer Kolonialmacht noch die der einheimischen Bevölkerung sei. Deutsch wird nur beiläufig erwähnt als im täglichen Leben „ziemlich unbedeutend". Vor kurzem aber sagte ein kulturpolitischer Sprecher der Swapo in Windhuk, man wolle die deutsche Sprache nach der Unabhängigkeit stärken; sie könnte noch vor dem Afrikaans die Rolle einer ersten Fremdsprache übernehmen. Vielleicht trugen dazu nicht nur Bemühungen aus Bonn und Bemühungen der Interessengemeinschaft bei, sondern auch die Erkenntnis, daß internationale Beziehungen für einen jungen Staat wichtig sind; zudem gewann das Deutsche im täglichen Leben in den vergangenen Jahren an Bedeutung. Im Jahre 1984 erhob es die Regionalverwaltung der Weißen zur dritten Amtssprache: erstmals seit dem Ersten Weltkrieg außerhalb Europas. Seitdem dürfen Deutsche vor Gericht und bei Behörden ihre Sprache verwenden. Ein deutscher Rundfunksender strahlt mit Vorliebe deutsche Schlager der fünfziger Jahre aus. In mehreren Staatsschulen wird in Deutsch unterrichtet. Deutsch als Muttersprache steht - trotz aller Bemühungen in jüngerer Zeit um Deutsch als Fremdsprache - im Mittelpunkt des Strebens der Interessengemeinschaft. Vergeblich pochte sie darauf, daß das Recht auf muttersprachlichen Unterricht in der Verfassung zu verankern sei, zumal sie besorgt ist über die Tendenz unter den Schwarzen, darauf zugunsten des Englischen zu verzichten. Englisch, auch Deutsch, als Statussymbol städtischer junger Schwarzer, nicht nur zur Erleichterung der Kommunikation: das sichert und gefährdet den Sprachbestand zugleich. Wie Englisch- und Afrikaanssprachige wollen Deutsche fast durchgehend, daß ihre Kinder in der Muttersprache erzogen werden. Nur fünf Jahre lang nach dem Zweiten Weltkrieg, als Reaktion auf Bestrebungen nationalsozialistischer Deutscher, war der muttersprachliche Deutschunterricht unterbrochen. Schon das war dem Sprachniveau abträglich. In Läden und Cafes an der Kaiserstraße wird deutsches Lebensgefühl vermittelt. Im Schaufenster des Plattengeschäfts liegen „Der Kleine Muck" und „Das tapfere Schneiderlein". Gepflegt wird die Sprache von den Schulen - neben einigen Staatsschulen in erster Linie die Höhere Privatschule in Windhuk, an der das deutsche Abitur schon erworben werden konnte, als das in Johannesburg oder in Kapstadt noch nicht möglich war -, von der Kirche, vom Rundfunk, in der Familie, durch deutschsprachige Zeitungen. Die 1915 gegründete „Allgemeine Zeitung" ist traditionsreich und wird in fast jedem deutschen Haushalt gelesen. Ihr sprachliches Niveau sinkt indes seit einigen Jahren rapide. Nur zum Teil kann das die Wochenzeitung „Namibia Nachrichten" ausgleichen; sie ist manchen Südwestern „zu liberal". Dafür bemüht sie sich, fast als einzige der vielen Windhuker Zeitungen, nicht nur um parteipolitische Unabhängigkeit sowie um Auslandsnachrichten, sondern auch um eine gepflegte Sprache. Diese Hüterin des Hochdeutschen ist allerdings durch finanzielle Engpässe bedroht. Andere Zeitungen in Windhuk und an der Küste bringen gelegentlich einzelne deutsche Beiträge. Es drohen noch weitere Gefahren: Auswanderung, die zunehmen dürfte, falls die Swapo Nationalisierungen durchsetzen, Menschenrechte und Demokratie mißachten sollte, wie es so manche befürchten; und Sprachmengung, bedingt durch die Lage als Sprachinsel. Südwester Deutsche entlehnen gerne aus dem Afrikaans, Englischen, auch aus Bantu- und Khoisan-Sprachen, oder erfinden neue Worte, die ihrer Lebenswelt angepaßt sind. Eine englischsprechende Namibierin berichtet, sie verstehe Südwesterdeutsch gut, Hochdeutsch bereite ihr Schwierigkeiten. Vor einem Vierteljahr hundert schon widmete sich ein Buch über Sprachmischung in Südwestafrika neuen Begriffen und deren Ursprung. Das Fächengespenst ist ein aus Palmäpfeln gebrannter Schnaps, Infanteristen sind Heuschrecken, die noch nicht fliegen können, Rum wird zum Negertod und der Einbaum zum Seelenverkäufer. Diese Fortentwicklung, stärker in der Jugendsprache, erleichtert vielen zugleich die Benutzung der eigenen Sprache statt des vorherrschenden Afrikaans. Während der Verfasser der Studie über Sprachmischung und ein Germanist an der Windhuker Universität zu dem Ergebnis kommen, das Südwester Deutsch sei nicht Dialekt oder Mundart, ist ein Windhuker Journalist, der ein „Dickschenärie", ein Wörterbuch des Südwesterdeutsch, herausgab, davon fest überzeugt. Vielleicht werden die südafrikanischen Germanisten - es gibt im südlichen Afrika eine deutschsprachige Literatur und einige Germanisten internationalen Ansehens -sich auch diesem Thema widmen wenn sie im Juli in Windhuk über die Zukunft der Sprache in Namibia nachdenken. Eine weitere Gefährdung ist die Tendenz der Deutschen, sich in „Begegnungssituationen" sprachlich anzupassen. Das ist unter Deutschen, so zeigt eine Bonner Dissertation über „Die drei germanischen Sprachen Südwestafrikas", stärker ausgeprägt als unter Englisch- und Afrikaanssprachigen. Während jene in fast allen „Gebrauchsfeldern" die eigene Sprache behaupten, unterscheiden die Deutschen zwischen dem geschlossenen privaten Raum - Familie, Freundeskreis, Schule, Kirche, dem Sportverein - und Beruf sowie Behörden. Sprachtreue und Sprachbehauptung sind unter den Deutschen am geringsten. Den größten Sprachsog übt das Englische aus. Lediglich jüngere Deutsche neigen gegenüber Afrikaanssprachigen dazu, auf ihrer Muttersprache zu beharren. Eine unerwartete Stütze dürfte die deutsche Sprache durch 2000 bis 3000 deutschsprechende Schwarze und Farbige mit bis zu 600 schulpflichtigen Kindern erfahren, so erwarten manche, wenn diese aus dem Exil zurückkehren. In einem kulturell zerklüfteten Land mit einigen Dutzend Sprachen und Mundarten und nur gut einer Million Menschen sind sie ein wichtiger Faktor. In der DDR dürften mehr Schwarze ausgebildet worden sein als im Westen Deutschlands. Auch dort erhielten aber viele Schwarze Hilfe. Erstaunlich ist, wie oft Schwarze im Gespräch erwähnen, sie hätten Stipendien aus der Bundesrepublik bekommen, von der Otto-Benecke-Stiftung etwa oder der Hanns-Seidel-Stiftung aus München. Diese ist seit längerem in Windhuk präsent, andere politische Stiftungen ziehen nach. Ein schwarzer Geschäftsmann hat in einer katholischen Schule nur ein Jahr Deutschunterricht gehabt, spricht und versteht es aber besser als so manche Universitätsabsolventen. Viele Schwarze, das merkt man in Windhuk und auf den Farmen immer wieder, sind sprachbegabt. Der einzige schwarze Professor des Landes, der Volkswirt Fanuel Tjingaete, hatte in Berlin studiert und promoviert und spricht nun fließend einen ausgeprägten Berliner Dialekt. Wie so manche war auch er ein politischer Flüchtling. Mittelpunkt der Sprachpflege und -erhaltung bleiben die Interessengemeinschaft und die Deutsche Höhere Privatschule. Daneben gibt es eine Fülle von Gruppen in der Bundesrepublik wie in Namibia, die sich dieser Aufgabe annehmen. Nach der Unabhängigkeit könnte in Windhuk ein Goethe-Institut gegründet werden. Eine Stiftung bietet Deutschunterricht in Katutura und Khomasdal, den schwarzen und farbigen Vororten Windhuks, an. Die Höhere Privatschule bietet Deutsch als Fremdsprachenzweig an, überwiegend für Farbige und Schwarze. Die Swapo weiß, daß eine Gefährdung des Bestandes dieser Schule viele Deutsche zur Abwanderung bewegen würde. Im nächsten Semester wird auch die Universität Deutsch als Fremdsprache anbieten. In der Sicherung des Deutschen als erste Fremdsprache liegt zugleich eine Garantie für die Muttersprachler: Es sind nur 20 000, höchstens 30 000 Personen; sie prägen aber Land und Kultur weit mehr, als man annehmen möchte.

Robert von Lucius: Der Schneewambo kommt aus der Bundesrepublik: Deutsche Sprache und Kultur in Namibia nach der Unabhängigkeit gefährdet? (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29.5.89 29.5.89) Der Beitrag, unter der gleichen Überschrift, aber mit Fußnoten, Bildern usw erschien auch im Afrikanischen Heimatkalender (1990;f S. 69-73).


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