Wege zur Wahrheit

Befunde und Berichte zur Deutschen Kolonialgeschichte, Band 11
Steffan, A.W, (Hg.)
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Wege zur Wahrheit

Untertitel: Helden & Heuchler - Händler & Heloten - Hetzer & Historiker als Mitwirkende beim und nach dem Deutsch-Herero-Krieg
Herausgeber: A.W. Steffan
Schriftenreihe zur Förderung geschichts-, kultur- und naturwissenschaftlicher Forschung im Bereich der ehemaligen deutschen Einfluß- und Schutzgebiete in Übersee
6. Jahrgang - Heft 11/2006
Windhoek-Gelnhausen 2006
ISBN: 99916-793-6-7
Broschur, 16x23 cm, 100 Seiten, etliche sw- und Farbabbildungen


Inhalt:

Steffan, A. Wilhelm:
Wege zur Wahrheit Helden & Heuchler, Hetzer & Historiker

Von Koenen, Eberhard:
Schuld, Schicksal, Sühne im Hero-Krieg

Wienecke, Werner:
Hindernisse auf dem Weg zur Versöhnung

Schneider-Waterberg, Hinrich R.:
Der Wahrheit eine Gasse

Kirschnereit, Kurt:
Ein versäumtes Schuldbekenntnis

Epple, August W.:
Indoktrinierte Behandlung kolonialer Völkermorde im Schulunterricht

Horn, Hans-Rudolf:
Zeitgemäße Erinnerungskultur statt Geschichte

Steffan, A. Wilhelm:
Bemerkungen zur scheinbaren Trilogie

Von der Heyde, H. & Godendorff, S.:
Rechtfertigung zum Vorgehen der Abteilung von der Heyde

Schneider-Waterberg, Hinrich R.:
Planmäßig verbrecherische Kriegsführung?

Von Bühlow, Bernhard:
Reichstagsrede vom 04. Dezember 1904

Schulze-Rhonhof, G.:
Deutsche Kolonien und der Zweite Weltkrieg

Mayet, Peter Michael:
Berichterstattung über die Fischfluß-Operation

Godendorff, Schulze-Rhonhof, Steffan:
Besprechung neuerschienener Bücher

Herausgeber
Danksagungen und „Bisherige Ausgaben“


"Planmäßig verbrecherische Kriegsführung?"

Eine Betrachtung von Hinrich R. Schneider-Waterberg

Magisterarbeit Klaus Lorenz - Rätselhafte Stabsrevolte - Verbrecherische Kriegsführung? - Telegramme per Ochsenwagen - Der Reichstag und der Kolonialkrieg - Die Proklamation an die Herero verblaßt - Die vergessene Proklamation vom 10. Juni 1904 - Primat der Politik im Krieg - Unliebsame Realitäten

1. Magisterarbeit Klaus Lorenz

Unter Berücksichtigung des amtlichen Generalstabsberichtes [1904], einschließlich der darin enthaltenen diesbezüglichen Verschleierungen, und anhand der strategisch-taktischen Gegebenheiten rekonstruierte KLAUS LORENZ die militärischen Wirklichkeiten der Gefechte der deutschen Schutztruppe mit den Herero bei Waterberg/Hamakari, sowie deren ,Verfolgung’ in das Sandfeld. Militärisch sachlich und schlüssig versteht er den Hererokrieg als einen unter vielen Kolonialkriegen im Zeitalter des Imperialismus und lehnt dabei dessen Deutung als ‚einen planmäßigen Genozid’ klar ab.

Die Summe der Untersuchungen reichte LORENZ unter dem Titel „Die Rolle der Kaiserlichen Schutztruppe als Herrschaftsinstrument in Südwestafrika“ erfolgreich ein zur Erlangung eines ‚Magister artium’ an der Philosophischen Fakultät der Universität Hamburg [LORENZ 1999]. Man attestierte ihm damit eine deutliche Korrektur der bisherigen historischen Anschauungen und ,Forschungsbemühungen’. Ein überzeugendes Ergebnis seiner Untersuchungen sei der Nachweis, daß es zwinge sich von einer Legende zu verabschieden, die seit dem Versailler Vertrag mit der sogenannten „Kolonialschuldlüge“ im Zentrum historiographischer Kontroversen um die deutsche Kolonialgeschichte stehe.

Teile aus der Zusammenfassung dieser zuvor nicht veröffentlichten Magisterarbeit sind zusammen mit einer kurzen Einführung der Schriftleiterin in den ‚Nachrichten der Gesellschaft für Wissenschaftliche Entwicklung in Swakopmund erschienen [LORENZ / FLAMM-SCHNEEWEISS 2001]. Einen vollständigen Ausschnitt seiner Arbeit, der sich ausschließlich mit den Gefechten von Hamakari und anschließenden Unternehmungen der deutschen Schutztruppe unter dem Oberbefehl des Generals VON TROTHA befaßte, veröffentlichte der Verfasser in ‚Befunde und Berichte zur Deutschen Kolonialgeschichte’ 01: 049-066 [LORENZ 2001].

Sofort nach Erscheinen desselben kündigte er dem Herausgeber der BefBer Dtsch Kol.gesch an, noch einen weiteren Abschnitt derselben zur Veröffentlichung einreichen zu wollen, der sich mit einer Revolte im Hauptquartier des Generals LOTHAR VON TROTHA unter Führung des Generalstabschefs CHALES DE BEAULIEU befassen würde. Infolge seines plötzlichen Todes konnte er die Druckvorbereitungen nicht mehr selbst vornehmen. Aus der von den Hinterbliebenen des Verfassers dem Herausgeber der BefBer Dtsch Kol.gesch zur Verfügung gestellten Xerokopie der gesamten Magisterarbeit und mit Zustimmung derselben hat der Herausgeber den betreffenden Abschnitt (Seiten 132-138 des Originals) wörtlich in den BefBer Dtsch Kol.gesch wiedergegeben [LORENZ & STEFFAN 2004].

Weitere von LORENZ noch vor seinem Tod angeregte Veröffentlichungen seiner Magisterarbeit, so z.B im Organ des militärgeschichtlichen Forschungsamts in Potsdam, sind bisher nicht erfolgt.

Im Jahre 2000 war dem Verfasser (SCHNEIDER-WATERBERG) nur die mit „Waterberg und Omaheke 1904“ titulierte Zusammenfassung der Lorenzschen Arbeit zugänglich, in der weder Angaben über die Rolle des Stabsoffiziers DE BEAULIEU im Generalstab VON TROTHAS bei einer Stabsrevolte der Schutztruppe erwähnt werden, noch geht sie von einer langfristigen Planung für „unmenschliche oder verbrecherische Kriegsführung“ der Truppe unter deren Kommandeur oder Vermutungen über eine Rolle des ersteren bei der Aufhebung solcher Maßnahmen durch die Reichsregierung aus. Solche Aspekte wurden dem Verfasser (SCHNIEIDER-WATERBERG) erst durch die teilweise Originalwiedergabe der LORENZschen Magisterarbeit in den BefBer Dtsch Kol.gesch [LORENZ & STEFFAN 2004] bekannt. Mit diesem Teilaspekt der LORENZschen Abhandlung befaßt sich die nachstehende Erörterung.

2. Rätselhafte Stabsrevolte

Der Militärphilosoph und Generalstäbler Karl von Clausewitz schrieb schon vor 200 Jahren in seinen „Die wichtigsten Grundsätze des Kriegsführens“: „Ein großer Teil der Nachrichten, die man im Kriege bekommt, ist widersprechend, ein noch größerer ist falsch und bei weitem der größte einer ziemlichen Ungewißheit unterworfen.“

LORENZ [1999; LORENZ & STEFFAN 2004] schließt aus einer Reihe von scheinbar schlüssig zusammenhängenden Zufälligkeiten, daß es im Generalstab VON TROTHAS „am 11. September 1904“ im „Gefechtsstand Oparakane“ eine „Stabsrevolte“ gegen die „beabsichtigte verbrecherische neue Art der Kriegsführung“ des Generals gegen die Herero gegeben haben müsse. Der Chef des Generalstabs, Oberstleutnant CHALES DE BEAULIEU habe sich nach einem schweren Zerwürfnis mit seinem Kommandeur der „weiteren Mitverantwortung daran durch Krankmeldung entzogen“. Danach habe er in Berlin vermutlich zu einer ,Wende zur Gnade’ im Herero-Krieg beigetragen.

Diesen Vermutungen, die hier in fünf Punkten untersucht werden sollen, liegt in der Hauptsache das damals unveröffentlichte (erst jetzt erschienene) Tagebuch des frisch im Juli 1904 zum Hauptmann beförderten FRANZ EPP zugrunde [EPP, zitiert in NUHN 1989]. Zunächst ist zum Verständnis des Ablaufes der Geschehnisse festzustellen, daß sich EPP zum Zeitpunkt seiner Eintragungen vom 11. September 1904 weder im Hauptquartier noch in Oparakane, sondern im 50 km östlich davon gelegenen Lager der Einheit unter Major VON ESTORFF in Otjunda/Sturmfeld befand. Am Vormittag traf dort auch Oberst DEIMLDMG mit seiner Abteilung ein. Hier wurde zwar anläßlich einer Lagebesprechung, bei der auch zeitweise alle Kompaniechefs, u.a EPP, zugegen waren, von einem schweren Zerwürfnis zwischen General VON TROTHA und seinem Stabschef DE BEAULIEU geredet.

Aber dieses Zerwürfnis hat in Wirklichkeit weder in Oparakane noch in Otjunda-Sturmfeld noch am 11. September stattgefunden, sondern schon am 13. August, einen Tagesmarsch südöstlich von Hamakari entfernt ‚irgendwo’ im wasserlosen Busch: General VON TROTHA hatte am Abend dieses ersten Tages der Verfolgung der Herero nach den Gefechten bei Waterberg/Hamakari seinem Stabschef Oberstleutnant CHALES DE BEAULIEU - und damit auch Oberst DEIMLING - einen scharfen Verweis erteilt [VON TROTHA: unveröff. Tageb].

Der das zweite Feldregiment, also die Hälfte der Truppe, führende Oberst DEIMLDMG nämlich hatte nicht nur bereits am 10. August, dem Tag vor dem Angriff auf Waterberg, seinen gesamten Troß im 60 km entfernten Okateitei zurückgelassen, sondern auch keine Verbindung zu diesem hergestellt [FRANKE 2002]. Demzufolge hatte der Stabschef dem völlig überraschten General die unter den Verhältnissen geradezu unglaubliche Meldung gemacht, die Abteilung unter Oberst DEIMLENG sei ohne Verpflegung und die Pferde ohne Hafer und am Verhungern. Statt der gebräuchlichen eisernen Ration war „weder für Mann noch Pferd ein Korn oder Stück vorhanden!“.

Bei der im Dunkeln so gut wie aussichtslos gewordenen Chance noch Wasserstellen für die bereits durstgeplagten Abteilungen zu finden, hatte jetzt der Hunger beim 2. Feldregiment die ohnehin überstürzte Verfolgung plötzlich zu einer lebensgefährlichen Krise verschärft: „Bloß, um zu Hause zu melden, wir haben 30 km verfolgt und konnten nicht mehr!... Nun müssen wir von vorne anfangen, resp es ist vorbei!“ notierte sich der General [VON TROTHA]. Obwohl er in seinem Bericht vom 27.08.1904 an den Chef des Großen Generalstabs, VON SCHLIEFFEN, persönlich die Verantwortung für dieses kaum begreifliche Fehlverhalten übernahm, ist dies die bisher unbekannte Erklärung für den militärisch rätselhaften Zusammenbruch der Verfolgung am 13. und 14. August 1904.

Der ,Wegführer’ und Landeskundige GUSTAV MELCHIOR, der den Rückmarsch in dieser Nacht führte, bestätigte noch 50 Jahre später diese Hergänge detailliert in einem Artikel der Windhuker Allgemeinen Zeitung [MELCHIOR 1954]: Nach MELCHIORS Erinnerung hatte Oberst DEIMLING versäumt, Warnungen vor unzureichenden und un- brauchbaren Wasserstellen an das Oberkommando weiterzuleiten.

Dieser unsachgemäßen Kriegsführung zufolge wurde die Truppe bekanntlich in einem, der schlappen Pferde wegen, ruinös beschwerlichen nächtlichen Fußmarsch zur Rückkehr in die gänzlich abgeweidete Umgebung der Wasserlöcher von Hamakari gezwungen. „Der Höchstkommandierende zog sein Pferd am Zügel wie jeder andere.“ [BAYER 1904]. Hunderte von Pferden und Zugtieren gingen in den darauffolgenden Tagen ein; auf dem am 17. August begonnenen Abmarsch von Hamakari nach Owikokorero verendeten neben vielen anderen auch ein Pferd des Generals und eines des Hauptmanns Franke [VON TROTHA: unveröff, FRANKE: 2002]. Bei DEIMLING fütterte man den Pferden Brotmehl [VON TROTHA: unveröff].

Währenddessen vergrößerten die Herero ihren bereits uneinholbaren Vorsprung ins Ungewisse: Direktiven des Oberkommandos, die erst danach, nämlich am 20. August erlassen wurden, richteten sich daher notgedrungen nur auf Suchaktionen allgemeinster Art. Ihre Überbringung allein war schon durch das zusammenbrechende Pferdematerial gefährdet. Der wegen einer nicht ausgeheilten Malaria-Erkrankung dem Oberst Deimling nur als ‚Berater’ zugeordnete landeserfahrene Hauptmann Franke empfahl sich mißbilligend aus dessen Stab und ritt nach Omaruru, auch um sich „von dem entsetzlichen Anblick sterbender und zu Tode gehetzter Pferde und Ochsen zu befreien „ [FRANKE: 2002]. Im Generalstab machte sich Enttäuschung und Verunsicherung breit.

Was drittens die Vermutung über den Abschied des Stabschefs de Beaulieu betrifft, war dieser wohl gesundheitlich wirklich angeschlagen und diesem Druck nicht gewachsen. Schon zehn Tage nach dem erteilten Verweis schied er daher auf Anraten des Arztes wegen ‚Herzkrankheit’ aus dem Generalstab aus: Am 23. August, nach siebentägigem (!) Ritt mit dem Oberkommando in Owikokorero angekommen, meldete er sich am nächsten Morgen krank [VON TROTHA: unveröff]. Noch am gleichen Tage nach Okahandja abgeritten, kam er „Schritt reitend“ am 26. August „schwer leidend“ im nur 60 km entfernten Okahandja an [BAYER 1909]. Nach einigen Tagesreisen mit der Bahn nach Swakopmund befand er sich auf einem Schiff in die Heimat, keinesfalls mehr im September bei einer Stabsrevolte in Oparakane.

Eine Woche nachdem de Beaulieu sich aus dem Stab verabschiedet hatte, früh am Morgen des 2. September, verließ auch von Trotha mit seinem Stab Ovikokorero in Richtung Osten. Man erreichte das knapp 60 km entfernte Otjisondu nach zweitägigem Ritt in der Nacht des 3. September. In Otjisondu lagerte der Stab eine knappe Woche bis zum 10. September. Trotz der günstigen Lage der Signalstation auf dem Otjisondu-Berg gab es Schwierigkeiten mit Verbindungen zu den umliegenden Abteilungen der Truppe.

Dazu belasteten auch Probleme mit Nachschub, Typhus und Lokalisierung der Herero den Stab. Am 6. September notiert der General in einer Auflistung dieser Schwierigkeiten zusammenhanglos „Stänkereien im Stab“. Vier Tage später, am Morgen des 10.9., begibt sich der Stab in einem zweitägigen Ritt ,to the front’ in Richtung Otjunda/Sturmfeld nach dem etwa 60 km entfernten Oparakane.

Eine weitere und vierte Schwierigkeit mit den genannten Vermutungen ergibt sich daraus, daß sich das besagte Hauptquartier im Laufe jenes oben erwähnten 11. Septembers gar nicht in Oparakane, sondern auf einem zwölfstündigen Marsch dahin befand: Es kam erst abends müde, sehr hungrig, frierend und - so wird berichtet - mit allgemeinen Kopfschmerzen an der Wasserstelle Oparakane an [VON TROTHA unveröff; BAYER 1909]. […]