Läufergeschichten aus Afrika

In Kenia gehört Laufen zum Leben wie bei uns das Auto fahren
Hartmann, Robert
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Robert Hartmann:
Verlag Dr. Harald Schmidt
Hasselroth, 2004
Kartoneinband, 13x21 cm, 172 Seiten


Warum kenianische Dauerläufer den Rest der Welt beherrschen:

Rezension von Claus Dieterle, Frankfurter Allgemeine Zeitung

Die brennendste aller Fragen beantwortet Robert Hartmann scheinbar gleich im ersten Kapitel seiner „Läufergeschichten aus Afrika". Auch wenn die Überschrift „Es ist die Milch" ein wenig in die Irre
führt. Sie ist nämlich nur einer von mehreren Erklärungsversuchen auf die bislang ungeklärte Frage, warum die kenianischen Läufer seit den späten sechziger Jahren so ausdauernd dem Rest der Welt auf den Mittel- und Langstrecken davonlaufen. Es ist weder die Höhenlage noch die warme Erde, es ist weder der sogenannte kenianische Läufermuskel noch das angeblich beste Klima der Welt.

„Es gibt kein Geheimnis, außer harter Arbeit", zitiert der Autor die Legende der ostafrikanischen Laufbewegung, den zweimaligen Olympiasieger Kipchoge Keino, um später zu einem ganz anderen Schluss zu kommen: Es sind die Initiationsriten, die wohl den größten Anteil am Sieges- und Durchhaltewillen der Kenianer haben. „Wenn du unsere Initiationsriten kennen würdest, wärst du am Start bei einer Weltmeisterschaft auch nicht nervös", sagt Ismael Kirui, zweimal Weltmeister über 5000 Meter.

Aber bei dieser trotz Christianisierung immer noch praktizierten rituellen Einschwörung auf die Männerwelt stößt auch ein Intimkenner der ostafrikanischen Läuferszene wie der freie Leichtathletik-Journalist Hartmann an seine Grenzen. An strikten Tabus kommt auch ein weißer Kenianer, der das Land in mehr als fünfzig Reisen kennen gelernt hat und seit 2002 ein Haus auf der Farm von Kipchoge Keino besitzt, nicht vorbei. Warum sollte es ihm da besser gehen als den kenianischen Frauen?

Geheimnisse kann Hartmann auf den 176 Seiten also nicht lüften, aber mit jeder seiner dreißig bunten Geschichten und Anekdoten, manche kurz wie ein Sprint, die meisten aber auf kurzweiligem Mittelstreckenniveau, entsteht ein immer schärferes Bild von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen im Hochland der Laufkultur, öffnet sich ein neues Türchen zur afrikanischen Seele. Und man lernt schnell, dass nicht jedem Kenianer das Laufen im Blut liegt. Es sind eigentlich nur die Kalenjin - rund drei Millionen Menschen, die den sogenannten Läufervölkern angehören -, die das Tempo vorgeben. Und die Söhne der armen Farmer in den Streusiedlungen bringt vor allem eines auf die Beine: die Chance auf den sozialen Aufstieg.

Noch gegen Ende der sechziger Jahre hätte ein Mann, der rannte, nur einen Schluss zugelassen: Er hatte etwas ausgefressen. Hartmann erzählt in kurzen, prägnanten Sätzen, die so ökonomisch sind wie der Laufstil seiner Protagonisten, vom Gesetz der Savanne, das als Philosophie auch auf der Laufbahn seine Gültigkeit behalten hat: The winner takes it all.

Und er schildert die Mühen, die mancher spätere Olympiasieger und Weltmeister in jungen Jahren auf sich genommen hat, um laufend vorwärts zukommen. Da ist der 800-Meter-Olympiasieger Wilson Kipketer, der als Bub in den Ferien die Wände der Schule angestrichen hat, um die unerschwinglichen Gebühren abzuarbeiten, da ist die ugandische Sprinterin Grace Attenyi, die mehr als anderthalb Monatslöhne zusammensparte, um einmal im Leben an einem richtigen Sportfest teilzunehmen; da sind kenianische Frauen wie Tegla Loroupe, die einen harten Kampf ausfechten, um sich über die Traditionen hinwegzusetzen - um zu laufen. Da gibt es Geschichten zum Schmunzeln wie die von Amos Biwott 1968, der beim olympischen Finale über 3000 Meter Hindernis den Wassergraben weit übersprang, damit seine ersten geschenkten Schuhe nicht nass wurden. Aber es sind nicht nur heitere Begebenheiten mit Happy-ending, weil eben nicht jeder dem oft schwindelerregend steilen sozialen Aufstieg vom armen Viehhirten zum großen Idol gewachsen ist.

Ein paar „Geheimnisse" lüftet Hartmann am Schluss seines genauso unterhaltsamen wie lehrreichen Büchleins, das übrigens von keinem Geringeren als dem früheren 400-Meter-Hürden-Europameister Harald Schmid verlegt wird, doch noch. Er entschlüsselt die kenianischen Namen: Hinter so manchem Wohlklang verbirgt sich eine profane Zeit- oder Ortsangabe. Kleine Kostprobe: Kipchoge heißt nichts anderes als: Der Junge, der in der Nähe des Krämerladens geboren wurde.


Über den Autoren:

Robert Hartmann wurde am 26. Januar 1940 in Fulda geboren. Schon mit sieben Jahren wollte er Marathonläufer werden. So weit trugen ihn seine Füße dann allerdings nicht. Sein bestes persönliches Resultat wurde 1959 der sechste Platz über 1500 m bei den deutschen Juniorenmeisterschaften. Wenig später begann seine journalistische Laufbahn, und mit 29 Jahren publizierte er sieben Jahre lang regelmäßig im Sportteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Später wurde für den freiberuflich Tätigen die Süddeutsche Zeitung die Hauptabnehmerin seiner Artikel. Er ist auch ständiger freier Autor für Zeitungen wie die Stuttgarter Zeitung, die Frankfurter Rundschau, die Berliner Zeitung, den Zürcher Tages-Anzeiger und die Schweizer Welatwoche, dazu besonders intensiv für den Deutschlandfunk. Ein Fachgremium des Branchendienstes sport intern wählte ihn für das Olympiajahr 1992 zum deutschen Sportjournalisten des Jahres. Seit 1972 besuchte er in über fünfzig Reisen die kenianischen Wunderläufer, deren Anerkennung er schnell gewann. Seit 2002 besitzt er ein Haus auf der Kazi-Mingi-Farm von Kipchoge Keino, das für ihn das Symbol einer langen Freundschaft geworden ist.