Streifzüge durch eine fremde Welt

Schriftliche Zeugnisse deutscher Reisender im südl. Afrika im 19. Jahrh. und deren kulturelle Fremderfahrung
Hemme, Tanja
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Untertitel: Untersuchung ausgewählter schriftlicher Zeugnisse deutscher Reisender im südlichen Afrika im 19. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der kulturellen Fremderfahrung
Autorin: Tanja Hemme
Missionsgeschichtliches Archiv, Band 7
Herausgeber: Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte
Franz Steiner Verlag
Stuttgart, 2000
Broschur, 17x24 cm, 250 Seiten


Geleitwort von Gunther Pakendorf:

In der Geschichte der Entdeckungs- und Forschungsreisen, die von Europa ausgingen, nimmt Afrika einen eigenen Platz ein. In den ersten anderthalb Jahrhunderten nach der Berührung zwischen Europa und Nicht-Europa - die Südspitze Afrikas wurde wenige Jahre vor der "Entdeckung" Amerikas umsegelt - bleibt das Innere Afrikas von den europäischen Seemächten so gut wie unberührt: Man begnügt sich mit der Errichtung von Vorposten an der Küste. Auch lange nach der Gründung eines festen Standortes am Kap durch die Holländer im Jahre 1652 bleibt das südliche Afrika lediglich eine Zwischenstation auf der Seereise von Europa nach Ostindien.

Was Europa indessen aus den wenigen Berichten über Landschaft, Klima und Bewohner des Inneren Afrikas erfuhr, setzte sich allmählich zu einem Bild ungezügelter Wildheit, abstoßender Barbarei und unzugänglicher Fremdheit zusammen. Die heute noch verbreitete Vorstellung des von Krieg, Hungersnot, Chaos und Anarchie heimgesuchten "schwarzen Erdteils", der sich dem Einfluß westlicher Zivilisation immer mehr entzieht, ist in mancher Hinsicht jenen frühen Berichten verpflichtet, die Afrika zum Ort von Abscheu und Erschrecken für Europäer - freilich nie ohne Faszination - gemacht haben. Im 18. und 19. Jahrhundert unternahm man im Geiste der Aufklärung das große Projekt der wissenschaftlichen Erforschung der Welt. Ausgerüstet mit stets verbesserten technischen Geräten und beflügelt mit dem sprichwörtlichen Wissensdrang des europäischen Forschers reiste man auch immer mehr nach Afrika. Die entstandenen Berichte erzählen zwar nicht mehr von Menschen mit Hundeköpfen oder von Wesen, die aus Kopf und Fuß zusammengesetzt sind, aber mancher Mythos erhält sich bis in das 19, Jahrhundert.

Verhängnisvoll aber war die Metapher des dunklen Erdteils, dessen so behauptete Rückständigkeit der Eroberung durch Christianity, Civilization and Commeree, jene "drei C", von denen seinerzeit David Livingstone schwärmte, moralisch rechtfertigen sollte. In dieser Dunkelheit des Kontinents verbirgt sich für das europäische Bewußtsein aber auch jenes "Herz der Finsternis", das für Joseph Conrad Ort des Horrors ist, für Freud, der diese Metapher bekanntlich zur Kennzeichnung der weiblichen Sexualität heranzieht, Inbegriff des Rätselhaften und Unwißbaren. Daß die "Dunkelheit" Afrikas sämtliche negativ besetzte Eigenschaften der Afrikaner aus europäischer Perspektive rechtfertigen und begründen und so den durch Sozialdarwinismus auf fatale Weise weiter geschürten Wahn von der Überlegenheit der "weißen Rasse" bestätigen helfen sollte, versteht sich aus heutiger Sicht von selbst.

Wer sich also mit dem Studium von der Entstehung und Beschaffenheit rassischer Stereotypen und seiner Bewohner beschäftigen will, wird in den vielen Reiseberichten über Afrika Anschauungsmaterial in Hülle und Fülle finden. Aus dem bis zum 16. Jahrhundert zurückreichenden Schrifttum entsteht ein faszinierendes und oft widerspruchvolles Bild von Natur und Menschen, es erhellen sich aber auch die wechselnden Anschauungsweisen der Reisenden. Aus dem Gesamtbild ließe sich so etwas wie eine Auffassung des europäischen Selbst in der Beschreibung des afrikanischen Anderen zusammenstellen.

Es ist also eine gute und glückliche Wahl, die Tanja Hemme bei ihrer Untersuchung der Streifzüge von drei deutschen Afrikareisenden getroffen hat. Was die drei Autoren bei aller Unterschiedlichkeit, verbindet, das ist die gemeinsame Herkunft aus Preußen - Deutschland und die selbstverständliche Inanspruchnahme der priviligierten Position des beobachtenden und schreibenden Subjektes. Gegenstand ihrer Beschreibungen ist das Südafrika kurz vor und während der Entdeckung von Gold und Diamanten, jenes epochalen Wendepunktes in der südafrikanischen Geschichte. In den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts ist die Eroberung und Besiedelung des Landesinneren durch wie Weißen noch nicht abgeschlossen; große Teile des Landes befinden sich im Übergangszustand oder sind noch frontier, wo sich weiße Eindringlinge - oft sind es Missionare - und einheimische Ethnien in der ersten Kulturbegegnung gegenüberstehen. Allein in dieser Hinsicht sind die drei Berichte, aus je anderer Perspektive, von großem Wert für den Historiker.

Tanja Hemmes Arbeit befaßt sich jedoch eher peripher mit historischen Fakten, denn es geht ihr an erster Stelle um die Darstellungsweise der Berichtenden und den Strukturen der Fremdbegegnung. Ihr Interesse gilt der Erfassung der kulturellen Fremde und der Analyse von Wahrnehmung und Beschreibung des außereuropäischen Anderen in Berichten, die von Europäern für Europäer verfaßt sind. So legt sich in allen drei Berichten das europäische Ich - in der Gestalt des Forschers, Missionars bzw. Abenteurers konkretisiert -in seinen Anlagen und Ansprüchen bloß.

Der Beitrag dieser Arbeit liegt in ihrer grenzüberschreitenden Interdisziplinarität, die - methodisch einer literaturwissenschaftlichen Verfahrensweise verpflichtet ist - historiographische, ethnologische wie ideologie- und mentalitätsgeschichtliche Einsichten in einer drei scheinbar divergente Texte zusammenbringenden Untersuchung der Alterität aus dem Blickwinkel des viktorianischen Zeitalters am Vorabend des Imperialismus ermöglicht. Das Projekt, das Europa hier vornimmt, ist ein anthropologisches: im Mittelpunkt steht unverkennbar die Beschreibung außereuropäischer Völker und Kulturen, wie implizit der eigenen. Daß die Mission maßgeblich beteiligt war, ist hinlänglich bekannt.

Die aus einer Dissertation hervorgegangene Monographie von Tanja Hemme macht aber die gegenseitigen Bezüge zwischen den angeblich reinen Naturwissenschaften, den Erlebnissen scheinbar interesseloser Reisender und dem vom Pietismus stark geprägten Menschenbild der Mission deutlich. Diese gründlich recherchierte Untersuchung hat von der Auswertung missionsgeschichtlicher Quellen profitiert. Somit wird der Wert missionsgeschichtlicher Quellen für historische und im weitesten Sinne anthropologische Forschungen noch einmal unterstrichen. Die Veröffentlichung der Arbeit in der Reihe missionsgeschichtlicher Quellen wie auch als Beitrag zur Missionsgeschichte ist im größeren Zusammenhang der interkulturellen Textanalyse zu sehen.