Kaffee, Kinder, Kolonialismus

Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung in Buhaya in der deutschen Kolonialzeit.
Boller, Markus
43019
9783825821418
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Untertitel: Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung in Buhaya (Tansania) in der deutschen Kolonialzeit
Autor: Markus Boller
Studien zur Afrikanischen Geschichte, Band 11
Lit Verlag
Münster, 1994
Broschur, 14x21 cm, 232 Seiten


Vorstellung des Verlages:

Bildet der Kolonialismus eine einschneidende Zäsur für Afrika oder ist er nur eine Epoche unter vielen in der langen Geschichte des Kontinents? Die vorliegende Arbeit geht in einer Fallstudie dieser Frage nach. Am Beispiel der Region Buhaya im Nordwesten Tansanias werden die wirtschaftlichen und demographischen Veränderungen untersucht, die sich unter der deutschen Kolonialherrschaft ergaben. Der Autor macht deutlich, daß sich einfache Antworten verbieten.

Während in wirtschaftlicher Hinsicht die "Welt der Selbstversorgung" weitgehend unverändert blieb, wurden durch Kaffeeproduktion, Importwaren und Geldwirtschaft neue Möglichkeiten eröffnet, aber auch neue Zwange geschaffen. Die demographische Entwicklung Afrikas in dieser Zeit ist wegen der desolaten Quellenlage umstritten. Der Autor belegt jedoch überzeugend, daß die Kolonialintervention zunächst zu einem Bevölkerungseinbruch führte. Langfristig aber wurde der Grundstein für die spätere "Bevölkerungsexplosion"gelegt.

Markus Boller studierte Geschichtswissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Afrika-Studien an den Universitäten Hamburg und Yaounde (Kamerun).


Aus der Einleitung:

Das 20. Jahrhundert ist durch eine zunehmende Ungleichheit zwischen Nord und Süd gekennzeichnet, die sich an verschiedenen Faktoren festmachen läßt: Die Einkommenskluft zwischen Arm und Reich wird immer größer, und auch in demographischer Hinsicht ging die Entwicklung in Nord und Süd in diesem Jahrhundert unterschiedliche Wege. Während die Rate des Bevölkerungswachstums in -den Industrieländern beständig fiel und zum Teil sogar negativ wurde, stieg sie in den Entwicklungsländern steil an, so daß das Schlagwort von der "Bevölkerungsexplosion" aufkam. Man hat diese gegenläufigen Tendenzen sarkastisch, aber treffend in der Bemerkung zusammengefaßt daß die Reichen immer reicher, die Armen aber kinderreicher würden.

Somit stellt unser Jahrhundert sowohl in wirtschaftlicher, als auch in demographischer Hinsicht eine historische Anomalie dar. Der Norden erreichte einen Lebensstandard in zuvor ungekannter Höhe, und das Bevölkerungswachstum stieg, vor allem wegen der großen Zunahme in den Entwicklungsländern, ebenfalls auf ein historisch einmaliges Niveau. Bevölkerungseinbrüche wegen Hunger oder Seuchen, wie sie in der Menschheitsgeschichte häufig waren, gab es in den letzten Jahrzehnten in großem Maßstab nirgendwo auf der Welt.

Nun steht das 20. Jahrhundert im Schatten eines neuen Schubes kolonialer Expansion. Während sich die europäischen Mächte im 18. und 19. Jahrhundert zunächst darauf beschränkt hatten, sich strategisch wichtige, aber relativ kleine Gebiete und Handelsplätze in Afrika und Asien zu unterwerfen, kamen beide Kontinente gegen Ende des vorigen Jahrhunderts zu großen Teilen unter europäische Herrschaft,. die sie erst nach dem U. Weltkrieg wieder abschütteln konnten. Gleichzeitig wurden die Ökonomien der verschiedenen Staaten zunehmend zu einer Weltwirtschaft zusammengefaßt, wenngleich mit sehr unterschiedlichen Rollen.

Der zeitliche Zusammenhang zwischen diesen Entwicklungen legt auch einen kausalen nahe, über dessen Natur sich indes trefflich streiten läßt: War der Kolonialismus ein Ausfluß des entwickelten Kapitalismus oder im Gegenteil ein letztes Aufbegehren überlebter "Gesellschaftsformationen" in Europa? Behinderte oder förderte der Kolonialismus die Integration des Südens in die Weltwirtschaft? Ist der Anschluß daran für die Entwicklungsländer von Vorteil oder von Nachteil? Ist das starke Bevölkerungswachstum dort Ursache oder Folge der Armut? Verhindert es Entwicklung oder könnte es sogar einen Beitrag dazu liefern? Dies sind Fragen, die in diesem Zusammenhang aufgeworfen wurden und über die noch immer diskutiert wird.
Diese Kontroversen bilden den Rahmen, in den sich auch die vorliegende Arbeit einordnen läßt. Selbstverständlich werde ich nicht auf alle Punkte eingehen, geschweige denn Antworten darauf geben können. Aber sie machen deutlich, daß diese Arbeit nicht frei im Raum schwebt. Solche und andere Fragen zu stellen, kann ein Beitrag dazu sein, die Ursachen für die derzeitige Lage der ehemaligen Kolonien zu suchen. Das sehr reale Elend von Entwicklungsländern wie Tansania bildet daher letztendlich den Bezugspunkt dieser Arbeit.

Die Frage nach den ökonomischen und demographischen Veränderungen in Buhaya unter deutscher Kolonialherrschaft begründet sich in diesem Zusammenhang wie folgt: Mit Ökonomie und Demographie sind zwei wesentliche Aspekte menschlichen Lebens angesprochen. Es geht um die materielle und soziale Reproduktion: Wie sichert eine Gesellschaft ihr Oberleben? Wie organisiert sie die Produktion der Güter, derer sie dazu bedarf? Welche Faktoren bestimmen die Produktion, aber auch die Bedürfnisse? Unter welchen Einflüssen vollzieht sich die Erneuerung der Gesellschaft über die Generationen hinweg?

Der zeitliche Rahmen der Kolonialherrschaft wurde gewählt, weil hier offenbar der Ausgangspunkt für die ungleichgewichtigen Entwicklungen zu sehen ist, die oben beschrieben wurden - womit noch nichts über kausale Zusammenhänge gesagt sein soll. Die Beschränkung auf die kurze deutsche Kolonialzeit erfolgte eher aus praktischen Gründen. Quellen und Literatur dazu sind in Deutschland leicht zugänglich, während eine Ausweitung auch auf die anschließende britische Kolonialperiode sehr viel umfangreichere Recherchen erfordert hätte. Da die deutsche Kolonialzeit einen Teil unserer Geschichte bildet, ist aber auch der inhaltliche Bezug größer. Es sei aber nicht verschwiegen, daß diese zeitliche Begrenzung durchaus problematisch ist, da es hier um Prozesse eher im Sinne der longue durde geht. Daher wird es nötig sein, mitunter über diesen Rahmen hinauszugehen. (Obwohl sich die Deutschen in Tansania noch bis 1918 halten konnten, soll das Jahr 1914 den Endpunkt der Untersuchung markieren. Denn hier stehen strukturelle Veränderungen im Vordergrund, für die mir die Zeit des 1. Weltkrieges - doch eher eine Ausnahmesituation - nicht eben repräsentativ zu sein scheint.)

Schließlich gilt es, noch etwas zur regionalen Begrenzung zu sagen. Eine solche Fallstudie hat den Vorteil, daß man Entwicklungen im kleinen betrachten und somit genauer erfassen kann. Die Kehrseite davon ist, daß die Ergebnisse nicht unbedingt verallgemeinert werden können. (Daneben spielt selbstverständlich der Umfang des Materials wieder eine Rolle. Dies gilt auch für die hier gewählte Region: Buhaya liegt im Nordwesten Tansanias auf einem Hochplateau am Westufer des Victoria Nyanzas (siehe Karte 1). Wegen der Nähe zu diesem Binnenmeer ist die Gegend recht niederschlagsreich, weshalb sie innerhalb Tansanias eher eine Ausnahme darstellt. Es entstand dort eine hochentwickelte Landwirtschaft auf der Basis einer Dauerkultur, der Banane. Die naturräumlichen Bedingungen sind vielleicht noch am ehesten mit den Bergregionen im Nordosten Tansanias zu vergleichen. Historisch und kulturell verbindet Buhaya mehr mit seinen Nachbarn im Westen und Norden, den heutigen Staaten Burundi, Ruanda und (Süd-)Uganda, die zusammen das Zwischenseengebiet bilden, als mit dem übrigen Tansania. Buhaya ist für Tansania also nicht eben typisch.

In der vorkolonialen Zeit war zunächst die interne Dynamik für die Geschichte Buhayas ausschlaggebend. Auf der Grundlage einer dichten Bevölkerung und einer relativ hoch entwickelten Wirtschaft bildeten sich in Buhaya wie im übrigen Zwischenseengebiet Staatswesen, die durch eine ausgeprägte gesellschaftliche Hierarchie und monarchische Herrschaft gekennzeichnet waren.

Ab etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts nahmen indes externe Kräfte zunehmend Einfluß auf die Entwicklung der Region. Von der ostafrikanischen Küste aus drangen Händler auf der Suche nach Elfenbein und Sklaven immer weiter ins Landesinnere vor. Ihnen folgten schon bald europäische Abenteurer und Missionare, die den scramble for Apica auch in Ostafrika einleiteten. Am Ende dieser sich überlagernden Kolonisierungsprozesse stand schließlich die formale Annektierung durch die europäischen Kolonialmächte.

Sobald die koloniale Herrschaft sich politisch und militärisch fest etabliert hatte, ging es an die wirtschaftliche "Erschließung" Ostafrikas. Je nach den Standortfaktoren wurden einzelne Gebiete zu Arbeiterreservoirs, Zentren europäischer Plantagenproduktion oder afrikanischer Kleinbauernwirtschaften. Buhaya eignete sich sehr gut für den Kaffeeanbau, der einen schnellen Aufschwung erlebte, jedoch ohne daß es zu größeren Ansiedlungen europäischer Plantagen kam. Wir haben es also mit einer Region zu tun, in der die einheimische cash crop -Produktion bestimmend wurde. [...]