Deutscher Annexionismus und Kolonialismus im internationalen Vergleich

Befunde und Berichte zur Deutschen Kolonialgeschichte
Steffan, A. W.
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19,50 € *

Herausgeber: Prof. Dr. A.W. Steffan
Befunde und Berichte zur Deutschen Kolonialgeschichte
Selbstverlag
3. Jahrgang - Band 5/ 2003
Windhoek/ Wuppertal, 2003
Broschur, 16x23 cm, 92 Seiten


Aus der Einleitung:

Will man ein Volk „für dumm verkaufen“, bieten sich dazu bereits im Schulunterricht mehrere Möglichkeiten an. Zum Beispiel: die verzerrte Darstellung der Geschichte im einseitig weltanschaulich orientierten und dogmatisch organisierten Rahmen - die Methode der Nationalsozialisten und Kommunisten. Eine andere Möglichkeit besteht darin, Geschichte nicht als ein im Zeitablauf fortwirkendes und aufeinander aufbauendes Geschehen zu unterrichten. Man vermittelt statt dessen unzusammenhängende - nur die eigene Auffassung stützende - ausgewählte Wissensfetzen, die man „Schwerpunkte“ nennt.

Letzteres findet man häufig in westlichen Demokratien. Dieser Weg eignet sich besonders, um abwegige „historische Ansprüche“ zu rechtfertigen, falsche „Vaterlandsliebe“ zu fördern, und, um die wahren Ursachen von Kriegen und anderen Verbrechen zu verdrehen oder zu verschleiern.

Der heutige Geschichtsunterricht in deutschen Schulen dürfte zwar keine Folge böser Absichten oder gar einer Verschwörung sein. Aber gäbe es die, hätte der Erfolg nicht besser sein können. Die Unwissenheit hinsichtlich maßgeblicher weltanschaulicher und geistesgeschichtlicher Grundlagen, ihrer machtpolitischen Vorgaben und Nutzanwendungen und den oft allein daraus abzuleitenden geschichtlichen Ereignissen, ist selbst bei angehenden Akademikern geradezu schockierend. Dabei zeigen Gespräche mit jungen Deutschen bei diesen oft eine Geisteshaltung, die man als Nationalmasochismus bezeichnen kann. Mangel an Tatsachenwissen macht eine vernünftige Unterhaltung meist unmöglich. Häufig mündet das Gespräch in die Erörterung von Verbrechen der Nationalsozialisten und insbesondere allein ihrer Konzentrationslager.

Es ist sicher erfreulich und wichtig, daß sich junge Menschen gerade mit verurteilenswerten Sachverhalten auseinandersetzen und das Unbegreifliche begreifen wollen. Wenn ihnen aber Unwissenheit ein Verstehen der Entwicklung, die dazu führte, unmöglich macht: Wie sollen sie rechtzeitig neue Gefahren für ihre Demokratie erkennen? Wie sollen sie die Handlungen oder Unterlassungen ihrer Großeltern und Urgroßeltern vernünftig beurteilen? Wie sollen sie sich Erpressungen mit der „Auschwitzkeule“ und deren Abkömmlingen erwehren können?

Und wie werden sie reif und fähig, auch jetzt wieder die Ansprüche des südwestafrikanischen Volksstammes der Herero auf „Wiedergutmachung“ (nach beinahe 100 Jahren!) zu beurteilen, um sich ihnen gegebenenfalls widersetzen zu können?

Um uns als Deutsche selbst zu verstehen, ist es unumgänglich zu versuchen, unsere Geschichte mit den anderen Nationen objektiv zu vergleichen. Sind wir Deutsche von heute Nachkommen von Ungeheuern, die darauf gewartet haben, daß ein Hitler sie auf die Menschheit losließ? Oder hatten unsere Vorfahren mehr Pech als die anderer Nationen? - ein Pech, das den übelsten Elementen erlaubte, in Deutschland die Macht zu ergreifen? Waren deutsche Soldaten grausamer als die der Feindmächte? Kurzum: Muß die deutsche Jugend von heute sich ihrer Vorfahren mehr schämen als die Jugend der Siegerstaaten des Ersten und des Zweiten Weltkrieges? Denn: Wie haben sich jene verhalten im Zeitalter des Annexionismus und Kolonialismus? Und haben sie weniger Schuld auf sich geladen?

Wenn man glaubt, verfemt zu werden, dann ist es erlaubt zu zeigen, daß einem Unrecht geschieht. Im Fall unserer Vorfahren, einfach ausgedrückt: hervorzuheben, daß die der anderen auch nicht besser waren. Und dazu ist der Vergleich des deutschen Imperialismus mit dem anderer Großmächte vor dem ersten Weltkrieg hervorragend geeignet. Man könnte zu diesem Thema ohne Ende dicke Bücher schreiben.

Im Folgenden soll lediglich versucht werden, Beispiele und Probleme herauszustellen, die von einem sachverständigen Arbeitskreis - sine ira et studio - auch zu einem Leitfaden für den Unterricht an deutschen Schulen herangezogen werden könnten. Selbstverständlich ist dabei zu betonen, daß alle Vorkommnisse und Handlungsweisen im Zusammenhang mit dem jeweils herrschenden Zeitgeist zu beurteilen sind, wobei Verstehen - nicht zugleich Billigen heißen darf. Außerdem muß dringend darauf geachtet werden, daß berechtigtes.“ Vergleichen“ nicht zum entlastenden „Aufrechnen“ wird.

Veranlaßt wurden diese Betrachtungen durch die Anregung des Herausgebers dieser Schriftenreihe, die Ansprüche einer Gruppe des Herero-Volkes in Namibia, dem Nachfolgestaat des ehemaligen „Schutzgebietes Deutsch-Südwestafrika", auf „Wiedergutmachung“ durch deutsche Firmen in eine übernationale historische Perspektive zu stellen. In einem in der New York Times am 31. Mai 1998 erschienenen Artikel schreibt DONALD G MCNEIL Jr. bezüglich der Situation in Namibia:

„The governing party, the South-West Africa People’s Organisation, is dominated by Ovambo and many Herero belong to the Opposition, so the Government does not back their quest. Per capita, Namibia gets more German aid than any other country - 350 million since 1990 - but almost every pfennig is spent in Ovambo areas."

Da die Zeitungsnachricht, in deren Rahmen diese Feststellung erfolgte, weniger als deutschfreundlich ist, darf davon ausgegangen werden, daß die Angaben nicht übertrieben sind. Sollten die Behauptungen MCNEILS also der Wahrheit entsprechen, dann hieße das, daß die Regierung des Vielvölker-Staates Namibia das Volk der Herero um seinen gerechten Anteil an der deutschen Entwicklungshilfe gebracht hat. In diesem Fall müßten sich die Herero klar zu einem solchen „Betrug“ aussprechen, bevor sie vom deutschen Staat oder von deutschen Firmen weiteres Geld verlangen - selbst wenn sie dieses als „Wiedergutmachung“ bezeichnen.

Die Klärung dieser Frage ist um so wichtiger, als die namibische Politikerin MICHAELA HÜBSCHLE bei einer Ansprache am Herero-Gedenktag („Tag der Roten Flagge“) im vergangenen Jahr unter anderem betonte, daß die „Wiedergutmachungsgelder“ unabhängig verwaltet werden müßten, und der damit geplante Ankauf von Land und dessen Verteilung transparent und nach festgelegten Regeln zu erfolgen hätte (sic!).

HÜBSCHLE haut damit in dieselbe Kerbe wie MCNEIL. Angenommen also, MCNEILS Behauptungen bezüglich der deutschen Entwicklungshilfe stimmen, dann erhebt sich die Frage, was die vom Ovambo-Volk kontrollierte Regierung des Staates Namibia dem Staatsvolk der Herero an Nachzahlungen und Zinsen aus der deutschen Entwicklungshilfe schuldet, und wie sie diese Gelder aufzubringen gedenkt.

Gleichzeitig würde das aber auch zeigen, daß die für die Auszahlung und Verwendung der deutschen Mittel verantwortlichen deutschen Stellen in ihrer Aufsichtspflicht für die Verwendung deutscher Steuergelder versagt haben.

Wie YANANGOLO, der Direktor der „Namibischen Gesellschaft für Menschenrechte“ (laut „Tag der Roten Flagge“ -Artikel) ausführte, müßten die Namibier nun auch an die noch überlebenden San (Buschleute) Reparationen zahlen. Das würde generell den Stichtag für Wiedergutmachungsansprüche um 100 bis 200 Jahre - nach manchen Quellen noch viel weiter [VEDDER 1938; ESTERHUYSE 1968; BRIDGMAN 1981; GEWALD 1999] - zurücksetzen; also in die Zeit, in der die Ovambo, Herero und Nama in das heute von ihnen besiedelte Gebiet eindrangen und die Vertreibung der einheimischen Buschleute begannen.

Das Problem der Wiedergutmachung wird noch brisanter im Fall der Bergdamara, einem Bantu-Stamm, der zum großen Teil den Nama (Hottentotten) und Herero als Heloten diente. Die nicht unterworfenen Bergdamara mußten, genau wie die überlebenden Buschmänner, in unwirtlichen Gegenden vegetieren oder in Bergwerken arbeiten [VEDDER 1938; GEWALD 1999]. Es darf als Ironie der Geschichte betrachtet werden, daß ausgerechnet die deutschen Kolonialherren versklavte Bergdamara von den Herero freikauften.

Sie zahlten an diese den von jenen den Bergdamara auferlegten Tribut und wiesen letzteren eigene Wohn- und Jagdgebiete zu [ESTERHUYSE 1968]. Der Vertrag mit ihrem "Bergdamara-Kaptein“ CORNELIUS legt fest, daß er „ ... Arbeiter stellt jederzeit wenn die Regierung es wünscht, soweit dies in seiner Macht steht". Weiterhin bestimmt der Vertrag, daß die Regierung die Arbeiter zur Arbeitsstelle und zurück transportiert, ihnen genügend Essen gibt „... und wann immer die Regierung mit der Arbeit zufrieden ist, bekommen sie auch den Lohn der im Land gebräuchlich ist" (beide Zitate übersetzt aus dem Holländischen).

Ein weiteres Problem der Wiedergutmachung erhebt sich mit den Kriegen zwischen Herero und Nama im letzten Jahrhundert. Müssen nun auch die Nama Reparationen zahlen für das „Blutbad von Okahandja", in dem sie im Jahr 1850 etwa 1.000 Männer, Frauen und Kinder der Herero umbrachten, und deren Vieh raubten?

Es ist klar, daß man durch die Wahl des rechten Zeitpunkts und der geeigneten Vorfahren oder Verwandten die verrücktesten Wiedergutmachungsansprüche stellen kann. So könnte eine Armee von Rechtsanwälten auf Jahre hinaus mit Klagen und Gegenklagen versuchen, Geld herauszuschlagen für Diebstahl von Vieh, Mord und Totschlag, wie sie im Gebiet des heutigen Namibia vor Ankunft der Deutschen üblich waren [VEDDER 1938; ESTERHUYSE 1968; GEWALD 1999; FISCH 2001; RAHN 2001).

Warum zieht nun der namibische Abgeordnete Kuaima Riruako ausgerechnet gegen deutsche Firmen ins Feld? Offensichtlich, weil er während der Besuche deutscher Politiker in Namibien (Hans Genscher im Jahre 1990; Helmuth Kohl in 1995; Roman Herzog in 1998) nichts erreichte [KRÜGER 1999: 304]. So versucht er nun als „Paramount Chief“ im Namen einer Gruppe von Herero da zu melken, wo er dumme Kühe und pralle Euter vermutet. Natürlich ist das verlockender als Wiedergutmachungsansprüche seiner namibischen Mitbürger, seiner Herero-Stammesbrüder oder auch der Buschleute und Bergdamara, bei der eigenen Regierung durchzufechten.

Die in Band-04 dieser Schriftenreihe wiedergegebene Sammelklage spricht für sich selbst. Sie veranlaßt zu überlegen, weshalb Riruako in Washington D.C., also in einem Land klagt, das nichts mit der Geschichte des Staates Namibia oder dem Volk der Herero zu tun hat, und in dem eine Variante des angelsächsischen Rechts gilt, die stark abweicht von dem im gegebenenfalls zuständigen Kontinentaleuropa üblichen Recht.

Der Trick ist, daß Herr Riruako eine amerikanische „Corporation“ gegründet hat
[STEFFAN & EPPLE 2002: Herero-Klageschrift], mit der er nun vor einem amerikanischen Schöffengericht gegen ausländische Firmen klagen kann, wenn diese in den USA geschäftliche Niederlassungen haben. Dem mit dem amerikanischen Justizsystem Vertrauten wird auffallen, daß die Anklageschrift praktisch keine Beweise, aber viele emotionale Passagen enthält. Das heißt, sie ist auf die übliche rührselige Masche abgestellt, mit der man bei Verfahren in den USA die Schöffen (Jurors) einzuwickeln versucht.

Eine ausführliche Analyse der Strategie der Anklage und der vielen in ihr enthaltenen Ungereimtheiten gibt WEISKOPF [2002 b].

Hätte Herr Riruako einfach und ehrlich die Karten auf den Tisch gelegt und um Hilfe für klar definierte Projekte gebeten, dann hätte man deutscherseits den Fall, vielleicht sogar wohlwollend, überprüfen können.

Leider ist seine Klage in abgedroschenem „Erpresser-Lingo“ abgefaßt. Beispiele:

“crimes against humanity“, “genocide“, “slavery“, “forcediabor“, “European holocaust“, “concentration camps“, “medical experimentation“ (Beginn der Klageschrift und zum Teil an anderen Stellen); “genocidal practices“, “human rights atrocities“ (Section Jurisdiction); “slave labor System“ (Absätze 5 und 6); “concentration camp“ (Absatz 6 und an anderen Orten); “genocidal destruction“, (Absatz 8); “racial hatred“ p.44; “oppression“ (Absatz 48); “brutal boggings“ (Absatz 77); „forced labor“ (Absatz 81 und an anderen Stellen); “Adolf Hitler“ und “Joseph Mengele“ (Absatz 135); “extermination“ (Absatz 164).

Falls es zu einem Prozeß kommt, fordert sie somit eine Reaktion heraus, die letztlich zu einem Präzedenzfall für die deutsche Regierung werden könnte.

Besonders peinlich wird es, wenn Herr Riruako das bekannte „ Wir können zwar verzeihen, aber nicht vergessen" herunterleiert und dann auch noch sanft droht:

„ Wir fordern Wiedergutmachung für den Genozid an unserem Volk. Deutschland hat sich bereits mit dem Holocaust an den Juden, Sinti und Roma auseinandergesetzt. Sich jetzt auch den Verbrechen der Kolonialzeit zu stellen, ist eine moralische Voraussetzung für die von der Bundesregierung gewünschte ständige Mitgliedschaft im Weltsicherheitsrat." (zitiert nach dem „Appell an den deutschen Bundestag“ der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ vom 4. Oktober 2000).


Inhaltsangabe:

(English) Synopsis
Einleitung
Imperialismus
Deutscher Annexionismus im europäischen Vergleich

Kolonialismus
- Der Begriff Kolonie
- Britischer Kolonialismus
- Die Opiumkriege
- Eroberung Indiens
- Die Eroberung Südafrikas
- Französischer Kolonialismus
- Die Eroberung des Maghreb
- Das mexikanische Abenteuer
- USA: Vom Annexionismus zum Kolonialismus
- Krieg mit England (1812-1814)
- Vernichtung der Cherokee Nation
- Krieg mit Mexiko-
- Die Eroberung Kubas
- Die Eroberung der Philippinen
- Der Panama Kanal
- Deutscher Kolonialismus
- Das deutsche Kolonialreich bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs
- Motive des deutschen Kolonialismus
- Frühe Versuche einer deutschen Koloniegründung
- Drei Beispiele des deutschen Kolonialismus
- Deutsch Südwestafrika
- Deutsch Ostafrika
- “Pachtgebiet“ Tsingtau-Kiautschou

Sklaverei
Konzentrationslager
Wiedergutmachung?
Themen für die Behandlung des Imperialismus im Unterricht
Zusammenfassung und Folgerungen
Empfehlung
Quellenhinweise